Friday, May 3, 2024

Biennale von Venedig: Die Kunst im Strudel der Weltpolitik

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Die Biennale von Venedig hat allen Grund zu feiern. Zum 60. Mal findet die international wohl bedeutendste Kunstausstellung statt. In den Giardini, im Arsenale und den vielen über die ganze Stadt verteilten Schauplätzen werden Trends gesetzt, Künstler neu entdeckt und manch vergessene wiederentdeckt. Im Zentrum steht die Kunst des „Globalen Südens“. Es ist ein politisches Signal des diesjährigen künstlerischen Leiters Adriano Pedrosa aus Brasilien, der Dominanz des Westens vielfach übersehene Strömungen gegenüberzustellen.

Und auch die aktuellen Krisen sind auf der Biennale spürbar: Polen und Ukraine halten die Erinnerung daran wach, dass ein Krieg mitten in Europa tobt. Israel eröffnet seinen Pavillon gar nicht erst. Und Demonstranten schreien vor den israelischen, amerikanischen und deutschen Pavillons ihre feigen Parolen. So darf man sehr neugierig sein, wie die Argumente ausfallen, die in Venedig mit den Mitteln der Kunst vorgetragen werden.

Migrationsdramen

Kein Reinkommen in den Deutschen Pavillon. Zwischen die Pfeiler wurde ein großer Erdhaufen geschüttet. Vor dem Seiteneingang bildet sich eine lange Schlange. Es gibt (nach den eher spröden Auftritten zuletzt) einiges zu sehen in dem Monumentalbau. Im Inneren dann Überwältigung.

Ein Haus im Haus. Bauhaus-Style. Kratzputz an den Fassaden, auch an den Innenwänden des Pavillons, der sich angesichts seiner Nazi-Vergangenheit auch immer selbst zum Thema macht. Das ist eine gewitzte Frechheit des Dramaturgen Ersan Mondtag, einer der beiden Künstler des Deutschen Pavillons.

Mit der Effektmacht des Theatermachers erzählt er die Geschichte seines Vaters, der als türkischer Gastarbeiter nach Deutschland gekommen war, in einer Firma arbeitete, die Faserplatten herstellte und schließlich an den Folgen der Asbestbelastung starb. Beim Aufstieg in das Haus, im Bühnennebel (oder ist es gefährlicher Feinstaub?), begegnet man Schauspielern, die ermattet durch kleine Zimmer schleichen, nackt auf dem Boden liegen. Das ist dick aufgetragen, aber berührend.

Performance von Ersan Mondtag und Videoinstallation von Yael Bartana im Deutschen Pavillon

Performance von Ersan Mondtag und Videoinstallation von Yael Bartana im Deutschen Pavillon
Quelle: picture alliance/dpa

Der zweite Beitrag aber ist beklemmend. In der Apsis, wo 1939 eine martialische Skulptur von Arno Breker den Nationalsozialismus verherrlichte, läuft ein Video der israelischen Künstlerin Yael Bartana: sechs Frauen in weißen Kleidern auf dem Moosboden eines Waldes. Sie fassen sich an den Händen, bilden einen Kreis, recken beschwörend die Köpfe, manche tragen Tiermasken, alle öffnen die Arme, als würden sie eine himmlische Botschaft empfangen. Schnitt.

Vom Waldesrand nähert sich eine Flamme, ein nackter Hüne kommt auf eine nächtliche Lichtung, ein Fackelträger, den auch Leni Riefenstahl nicht pathetischer hätte inszenieren können. Diese ästhetische Assoziation wird garniert von einer Science-Fiction-Erzählung in zwei Nebenräumen. Dort gleitet ein prähistorisch computeranimiertes Raumschiff durch den Äther, es transportiert einen großen Wald, dockt an einer Station an. Bartana nennt es das „Pre-enactment“ einer kommenden kosmischen Migrationsbewegung. Eskapismus? Hier mag man jedenfalls nicht bleiben, bloß da will man auch nicht hin. woe

Israels Botschaft

Die Forderung einer Aktivistengruppe namens Art Not Genocide Alliance (ANGA) hat sich auf tragische Weise erfüllt. Sie hatten in einem offenen Brief verlangt, den Pavillon Israels zu boykottieren, das Land aus der Kunstgemeinschaft auszuschließen. Die Biennale war dem Aufruf entschieden entgegengetreten. Doch nun ist der Pavillon doch geschlossen.

An der Scheibe hängt ein Plakat, darauf steht geschrieben, was all das zu bedeuten hat: „Die Künstlerin und die Kuratoren des Israelischen Pavillons werden die Ausstellung erst öffnen, wenn eine Vereinbarung über einen Waffenstillstand und eine Freilassung der Geiseln erreicht ist.“ Ruth Patir, deren Thema Mutterschaft sein sollte, „hasse es“, dass sie diese Entscheidung habe treffen müssen. Aber sie habe ein Zeichen setzen wollen, für die Solidarität mit Israel, für die Gefangenen, die sich in der Hand der Hamas-Terroristen befinden.

Der sich weitgehend in einseitiger Parteinahme für die Palästinenser gefallende Kunsttross nimmt davon wenig Notiz. ANGA hat den Protest der Künstlerin als hohle und anbiedernde Geste abgetan, die auf Presseberichterstattung abziele. Etwa 100 Aktivisten demonstrierten vor dem Pavillon, Flyer mit der Aufschrift „No Death in Venice. No to the Genocide Pavilion“ wurden verteilt. Die Gruppe zog dann weiter zum Amerikanischen und Deutschen Pavillon.

Ein italienischer Soldat bewacht den Israelischen Nationalpavillon der Biennale von Venedig

Ein italienischer Soldat bewacht den Israelischen Nationalpavillon
Quelle: dpa

Redner bezeichneten Israel als „Terrorstaat“, Deutschland als „faschistischen Staat“, und skandiert wurde auch die antisemitische Parole „From the river to the sea“, die zur Auslöschung Israels aufruft. Zu fragen ist, wie die Protestler auf das Gelände der Giardini gelangen konnten – die Preview-Tage sind ausschließlich für geladene Gäste, akkreditierte Journalisten und Mitarbeiter. woe

Gemalte Männerliebe

Ist queere Kunst eigentlich automatisch Outsider-Kunst? Das lässt sich zumindest von Salman Toor und Louis Fratino nicht behaupten. Beide amerikanischen Künstler sind Shootingstars und malen gern intime, häusliche Szenen zwischen Männern, von denen gleich ein Dutzend auf der Biennale zu sehen sind. An James Ensor erinnernde, traumartige Szenerien sind das bei Toor, während Fratino sich zwischen Kubismus, Georgia O’Keeffe und David Hockney bewegt.

Beide stellen Freunde und Liebhaber dar, beide fragen auch nach der Rolle der Malerei in der Zeit, in der wir leben und was sie bisher nicht gezeigt hat. Zu sehen sind sie in der Hauptausstellung von Adriano Pedrosa – „Foreigners Everywhere“. Fremde, das sind eben auch Menschen, die nicht im Exil leben oder ausgewandert sind, sondern einfach anders leben, als die Gesellschaft sich das wünscht.

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Brisantes Gutachten

Auf den Fotos des Südafrikaners Sabelo Mlangeni sehen wir die Bewohner des Royal House of Allure, eines sicheren Ortes für queere Menschen in Lagos, Nigeria. Omar Mismar aus dem Libanon schafft antikisierende Mosaike, die neben den Bewachern eines archäologischen Museums in Syrien auch verliebte Männer zeigen.

Und zu Beginn jener langen Folge von Räumen im Arsenale kann man, wenn man Frieda Toranzo Jaegers Installation „Rage is a Machine in Times of Senselessness“ aufmerksam betrachtet, zwei Skelette im lesbischen Liebesakt ausmachen. Dass es queere Kunst vor 90 Jahren auch schon gab, beweisen etwa kleine, lange nur privat gezeigte Akte von Filipo de Pisis (1896–1956), die neben die Bilder von Louis Fratino gehängt wurden.

Gemälde von Louis Fratino: „Kissing my Foot“, 2024

Louis Fratino, „Kissing my Foot“, 2024
Quelle: © Louis Fratino/Courtesy the artist, Galerie Neu and Sikkema Jenkins & Co.

Eine offen ausgestellte, queere kunsthistorische Tradition gab es eben im 20. Jahrhundert nicht. Der Ansatz der Schau an sich ist aber nicht neu. Schon einige Biennalen zuvor wagten den Blick auf das Vergessene, und die Ausgabe von Cecilia Alemani im Jahr 2022 bestand praktisch nur aus Künstlerinnen. bp

Bomben auf Venedig

Das Plakat leuchtet rot von der venezianischen Hauswand: ein Hinweis auf den nächsten Luftschutzkeller. Ein kurzer Moment des Erschreckens. Warum sollte jemand Venedig bombardieren? Aber es ist ein Hinweis auf den ukrainischen Pavillon.

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Während die Kunstwelt sich feiert, ist ein europäisches Land im Krieg. Was macht das mit der Biennale? Russland ist nicht vertreten, im ukrainischen Pavillon im Arsenale sieht man Videos von europäischen Schauspielern, die stereotype ukrainische Flüchtlinge performen. Das ist ernst und witzig zugleich.

Daneben läuft ein Video, das aus lauter Handy-Aufnahmen von Zivilisten besteht, die unter Feuer geraten sind – so real, so kontextlos, so voller Flüche, dass es im Raum ganz still wird. Die Wirklichkeit braucht keine Inszenierung.

Hinweis zur Ausstellung im Ukrainischen Pavillon

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Quelle: Boris Pofalla

Der polnische Pavillon zeigt wiederum zwei Filme, in denen Ukrainer die Geräusche jener Waffen nachmachen, mit denen sie terrorisiert wurden – Cruise Missiles, Raketen und Panzer. Die Besucher können das vor Mikrofonen ebenfalls lernen. „Repeat after me“ ist eine Karaoke-Bar aus der Hölle – und einer der stärksten Pavillons in Venedig. bp

Kunstsammler am Kreuz

Im Niederländischen Pavillon riecht es nach Schokolade. Doch die Atmosphäre passt nicht zu dieser Süße. Gut 20 beninbronzebraune Skulpturen sehen aus wie aus Metall gegossen, sind aber aus einer Masse aus Kakao und Palmöl.

Ein „Engel des Geldes“ breitet seine Schwingen aus, eine Frau wird vergewaltigt, ein Eroberer enthauptet. Es gibt das Denkmal eines „Fischbeschützers“ und eines „Plantagenmeisters“, die Statue eines vergifteten Monsters, dann wird noch ein Kunstsammler ans Kreuz geschlagen.

Blick in die Ausstellung im Pavillon der Niederlande

Blick in die Ausstellung im Pavillon der Niederlande
Quelle: Peter Tijhuis

Es kommen viele Themen zusammen, die die Biennale bestimmen: Kunst, Macht, das große Geld, Kolonialismus, Ausgrenzung, Widerstand. Das Kollektiv Cercle d’Art des Traivailleurs de Plantation Congolaise fordert hier den Aufbruch aus der kolonialen Vergangenheit, das Ende der Ausbeutung oder die Aufforstung ihres heiligen Waldes.

Dass Kunst für diesen Neuanfang tatsächlich ein Vehikel sein kann, hat der Künstler Renzo Martens bewiesen, der im kongolesischen Lusanga einen „White Cube“ als Museums und Treffpunkt (Architekturbüro OMA) bauen ließ und so die Wirtschaftsströme des globalen Kunstsystems ins Land umleitete. „The International Celebration of Blasphemy and the Sacred“ ist eines der wenigen Projekte, die Aktivismus und Kunst verbinden, ohne das eine oder andere in Frage zu stellen. Es hätte den Goldenen Löwen verdient. woe

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