Bundesfamilienministerin Lisa Paus hat sich zufrieden über die Koalitionseinigung bei der Kindergrundsicherung geäußert. Nach Jahrzehnten der Diskussion sei es diese Bundesregierung, die eine Antwort auf Kinderarmut in Deutschland gefunden habe, sagte die Grünen-Politikerin am Montag in Berlin. Zum Teil seien es „wirklich sehr harte Verhandlungen“ gewesen. „Aber es hat sich gelohnt.“
Das Ergebnis sei die umfassendste Sozialreform seit vielen Jahren. „Bis zu 5,6 Millionen armutsbedrohte Familien und ihre Kinder bekommen dadurch die Leistungen schneller, einfacher und direkter.“ Darunter seien Millionen, die vorher nicht wussten, dass sie ihnen zustehen.
Die Ampel-Koalition hatte sich nach monatelangem Streit vor allem zwischen Grünen und FDP über die Finanzierung in der Nacht zu Montag auf ein Modell geeinigt. Am Sonntagabend waren Scholz, Paus und Lindner zu Gesprächen im Kanzleramt zusammengekommen.
Für die Kindergrundsicherung werden im Einführungsjahr 2025 zunächst 2,4 Milliarden Euro Mehrkosten veranschlagt, wie Paus sagte. Die Gesetzespläne sollen nun weiter in der Regierung abgestimmt werden. Aus Regierungskreisen hieß es zudem, dass bei steigender Inanspruchnahme der Leistungen die Kosten in den Folgejahren auch auf bis zu 6 Milliarden Euro ansteigen könnten.
Ursprünglich hatte Paus 12 Milliarden Euro pro Jahr für das Vorhaben gefordert, Finanzminister Christian Lindner (FDP) hingegen als „Merkposten“ eine Summe von nur 2 Milliarden Euro veranschlagt. Am Ende, so Lindner „gehen wir 2025 von 400 Millionen Euro über Plan aus. Das erhöht den Handlungsbedarf, den wir im Haushalt 2025 haben werden, weiter“, sagte der FDP-Politiker. „Weshalb ich die Prognose wage, dass es sich bei der Kindergrundsicherung mit Blick auf die nächsten Jahre um die letzte größere Sozialreform handelt, die noch in den Haushaltsrahmen des Bundes passt.“
Lindner betonte, die Kindergrundsicherung werde für viele Tausend Familien einen Unterschied machen. Es werde aber keine generellen Leistungsverbesserungen für Eltern geben, die nicht erwerbstätig seien. Der beste Weg, Armut zu überwinden, sei Arbeit. „Deshalb darf von einer Reform der sozialen Unterstützungsleistungen für Familien kein Anreiz ausgehen, nicht sich um Erwerbsarbeit, um Integration und Sprachkenntnisse zu bemühen“, sagte Lindner.
Abschied vom Kindergeld
In der Kindergrundsicherung sollen bisherige Leistungen wie das Kindergeld, Leistungen aus dem Bürgergeld für Kinder oder der Kinderzuschlag gebündelt werden. Durch mehr Übersichtlichkeit und mithilfe einer zentralen Plattform sollen auch viele Familien erreicht werden, die bisher wegen Unkenntnis oder bürokratischer Hürden ihnen zustehende Gelder nicht abrufen. „Künftig wird es nur eine Anlaufstelle für alle Kinderleistungen geben“, heißt es in dem Papier.
Zuständig sein soll demnach der „Familienservice der Bundesagentur für Arbeit“. Die Familienkassen sind bereits heute etwa für die Auszahlung des Kindergelds zuständig. Paus kündigte an, das Kindergeld werde in Zukunft „Kindergarantiebetrag“ heißen.
Habeck, Esken und Mützenich begrüßen Einigung
Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) bezeichnete die geplante Kindergrundsicherung als „großen, bedeutsamen Schritt“. Der Wirtschafts- und Klimaschutzminister sagte am Montag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin: „Sie vollzieht einen Systemwechsel und wird vielen Kindern aus der Armutsfalle helfen. Das ist auch ökonomisch geboten. Das System wird einfacher, schneller und besser zugänglich, alle wichtigen Leistungen für Kinder werden gebündelt, es wird Leistungsverbesserungen geben.“
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sieht die Einigung als gute Nachricht für Familien mit geringem Einkommen. „Die Kindergrundsicherung ist ein Meilenstein im Kampf gegen Kinderarmut in Deutschland“, sagte sie der Düsseldorfer „Rheinischen Post“. „Jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut oder ist davon bedroht. Diesen Kindern mangelt es an vielem, was für andere selbstverständlich ist“, betonte Esken. Mit der Kindergrundsicherung werde dafür gesorgt, „dass Kinder Zukunftsmut fassen können, statt sich mit den finanziellen Sorgen ihrer Eltern herumzuplagen“.
Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich begrüßte die Einigung. Er sei „zuversichtlich, dass der Deutsche Bundestag (…) bald auch einen belastbaren Gesetzentwurf bekommt“, sagte er im ARD-„Morgenmagazin“. Er schloss dabei Änderungen der Vorlage im parlamentarischen Verfahren nicht aus.
„Wir sind manchmal auch gebrannte Kinder, selbst innerhalb der Koalition“, sagte Mützenich, dessen Fraktion am Montag in Wiesbaden eine zweitägige Klausurtagung beginnt. „Wir werden mit Sicherheit noch als selbstbewusstes Parlament, aber auch als selbstbewusste SPD-Fraktion das ein oder andere möglicherweise dann auch am Gesetzentwurf präzisieren.“
Verbände und Linke: Einigung bei Kindergrundsicherung unzureichend
Kinderschutzorganisationen sind unzufrieden mit der Einigung der Ampel-Koalition bei der Kindergrundsicherung. „Das, was die Bundesregierung vorschlägt, ist enttäuschend. Das ist keine Kindergrundsicherung“, kommentierte die Präsidentin des Kinderschutzbundes, Sabine Andresen, am Montag in Berlin die Verständigung zwischen SPD, Grünen und FDP. Zwar sei zu begrüßen, dass künftig der Anspruch für den Kinderzuschlag für erwerbstätige Eltern automatisiert geprüft werde. Auch sei es ein gutes Signal, dass die schwierige Situation von Alleinerziehenden in den Fokus genommen werde. „Darüber hinaus bleibt das Konzept aber mutlos und schafft nicht den erhofften Beitrag zu Bekämpfung der Kinderarmut“, erklärte Andresen.
Auch das Deutsche Kinderhilfswerk befand, dass die Einigung hinter den Erwartungen zurückbleibe. Zwar gehe es endlich einen Schritt vorwärts mit der Einigung, sagte der Präsident der Organisation, Thomas Krüger. „Die Kindergrundsicherung ist aber nach jetzigem Planungsstand nicht der erhoffte große Wurf, der die Kinderarmut in Deutschland umfassend und nachhaltig beseitigt“, urteilte Krüger.
Auch die Linke kritisierte die jetzigen Pläne der Koalition. „Die Einigung der Ampel hat nichts mit der vernünftigen und notwendigen Idee einer Kindergrundsicherung zu tun und ist kein Neustart der Familienförderung“, sagte Fraktionschef Dietmar Bartsch. Mit 2,4 Milliarden Euro könne man Kinderarmut nicht relevant bekämpfen. Aus Sicht von Bartsch hat sich Finanzminister Christian Lindner (FDP) „auf ganzer Linie“ durchgesetzt. „Die Kindergrundsicherung der Ampel ist faktischer Wahlbetrug. Diese Einigung mag gut sein für die Familienministerin, für Millionen Familien ist sie ein Schlag ins Gesicht“, erklärte Bartsch.