Wednesday, May 15, 2024

Falk Richter inszeniert „Asche“ von Elfriede Jelinek in den Münchner Kammerspiele

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Vor zwei Jahren teilte Elfriede Jelinek mit, dass ihr Mann Gottfried Hüngsberg plötzlich gestorben ist. „Ich bin am Boden“, sagte sie damals. Fast 50 Jahre war sie mit dem Informatiker und Filmkomponisten verheiratet. Ihrem Lebensmenschen hat die Literaturnobelpreisträgerin ihr neues Theaterstück „Asche“ gewidmet, das nun in den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurde. Den persönlichen Verlust verbindet Jelinek in ihrem großen Nachruf mit dem Weltverlust durch die Klimakatastrophe.

„Asche“ ist, wie bei Jelinek üblich, kein Theatertext mit Figuren und dramatischer Handlung, sondern ein Sprachfluss, der sich über viele Rinnsale kalauernd zu einem großen Strom verbindet und in einem Flussdelta mit unzähligen offenen Enden mündet. Diese „Textflächen“, wie es über Jelineks Postdramatik heißt, sind für die Regie eine Herausforderung. Die Uraufführung von „Asche“ stammt von Falk Richter, der bereits 2017 in Hamburg erfolgreich Jelineks Trump-Stück „Am Königsweg“ inszenierte.

Keine 25 Seiten umfasst der fein gesponnene, melancholische Text von Jelinek, der das Unwiederbringliche alles Lebendigen umkreist. Nichts ist von Dauer, alles vergeht. Die unbeständigen Kohlenstoffverbindungen zerfallen, der Rest ist Asche. „Alles ist verbrannt. Alles Asche“, heißt es bei Jelinek. Bei ihr gibt es keine Idealisierung der Natur als ewig oder gütig. Die Natur ist Unruhe, ein Werden und Vergehen, in dem es keinen Weg zurück gibt – es geht nur weiter. „Ein neuer Anfang? Das geht nicht.“

Ein tolles Ensemble

Auf die Bühne hat Katrin Hoffmann einen tiefschwarzen Vulkanstein gesetzt, mit einer Antenne darauf, dahinter ein Rundhorizont für die Videoprojektionen von Lion Bischof. Der Gipfel eines Berges, von dem man mit nietzscheanischem Pathos der Distanz auf die Welt herabblickt. Oder wie „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ von Caspar David Friedrich, der in einer Szene in die Bühnenmitte gestellt wird. Weitab der Menschen, mit Blick auf das Undurchdringliche – diese Pose teilen Jelinek und die deutsche Romantik.

Trauer ist auch romantisch: Szenenfoto aus „Asche“ an den Münchner Kammerspielen

Trauer könnte fast romantisch sein: Szenenfoto aus „Asche“ an den Münchner Kammerspielen
Quelle: Maurice Korbel

Später spuckt der in rotes Licht getauchte Vulkan selbst noch Nebel, während das tolle Ensemble – Bernardo Arias Porras, Katharina Bach, Svetlana Belesova, Johanna Kappauf, Thomas Schmauser und Ulrike Willenbacher – übers Gestein krabbelt wie die ersten Menschen. Oder die letzten Menschen? In einer anderen Szene wird der Gipfel komplett zugemüllt, vor allem mit Accessoires des maritimen Massentourismus, zudem schüttet ein Lieferando-Fahrer noch eine Menge Plastikverpackungsmüll aus seiner Box.

Wieder ein paar Szenen später taucht ein laufender Erdball auf, aus dem Rauch steigt. Er schreit nach Hilfe, konkret und jetzt – und kein „Scheißtext“. Der Müll wird beseitigt, über Video sieht man vom alten Ägypten bis zu den Azteken die Ruinen untergegangener Zivilisationen. Irgendwann kommen noch irgendwelche Terminator-Fantasievögel aus dem Vulkan gekrochen, ein Neonröhrenungetüm schwenkt über die Bühne. Man ist inzwischen im gefühlt fünften Schlussbild gelandet und so ausgelaugt wie der Erdball.

Der schiere Bildersturm

Nicht einmal im Ansatz lässt sich wiedergeben, welche Menge an Stimmungen, Atmosphären, Kostüme und Spielweisen an diesem Abend auf die Bühne gebracht wird, es ist ein exorbitanter Verbrauch. Ein Theaterverbrenner der schlimmsten Sorte, der alles pulverisiert und kaum mehr als ästhetische Aschehäufchen hinterlässt. Einen „Bildersturm“ wird ein solches Dauerbombardement mit Bildern von der Kritik oft ehrfürchtig genannt, als ob die bloße Beschussmasse ein Ersatz für Präzision wäre.

Was dem „Bildersturm“ fehlt, ist eine Sinnlichkeit, die über eine oberflächliche Reizung der Netzhaut hinausgeht. Nur genau kennt man bereits aus dem Alltag, den unablässigen Strom von Bildern, die erfahrungslos an einem vorbeiziehen. Könnte nicht das Theater daran arbeiten, sich auf die Suche nach der verlorenen Erfahrung zu machen? Und dem kulturindustriellen Bildersturm widerstehen? Das freilich ist ein prinzipieller Einwand, der ebenfalls auf andere Jelinek-Inszenierungen wie von Nicolas Stemann zutrifft, der vor knapp zwei Jahren in Zürich „Sonne, los jetzt!“ machte.

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Das Ende der Exzentrik

Und es ist nicht so, als könnte Richter nicht Theaterbilder bauen, die in die Tiefe gehen. Bei „Asche“ hat man nur den Eindruck, er reißt sie ab, bevor er sie fertiggebaut hat. Das Ausgeliefertsein des gebrechlichen Körpers im Krankenbett, wie er schreit, keucht, röchelt, wird im nächsten Moment mit einer ans Peinliche grenzenden „National Geographic“-Diashow weggeschwemmt, kurz darauf wird der inzwischen fast übliche Katastrophenporno (Brände, Fluten, Bomben, …) über die Leinwand gejagt.

Was berührt, sind die Momente des völlig Verlorenen, wie sie sich in der wiederkehrenden Zeile „Ich bin ausgegangen in stiller Nacht wohl über die dunkle Heide“ finden, die den „Liedern eines fahrenden Gesellen“ des Spätromantikers Gustav Mahler entnommen ist. Es scheint, als ob Jelinek der Welt abhandenkommt. „Alter ohne Gott. Erde ohne Menschen“, heißt es bei ihr. An den Transhumanismus, die vollkommene Befreiung vom Körper, in dem sich das Ich zur körperlosen und somit gottgleichen Substanz aufschwingt, glaubt Jelinek nicht: „Jeder stirbt für sich allein.“

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So kehrt Jelinek am Ende zu dem Boden zurück, an dem sie mit dem Tod ihres Mannes angelangt war. Es sind Sätze voller Schmerz und Trauer: „Mein lieber Schatz, wir werden keinen Boden mehr unter den Füßen haben, wir werden selber Boden sein, ist das nicht fein! Ja, nicht nur dich, mein Liebster, gibt es nicht mehr, es gibt, da es dich nicht mehr gibt, keine Menschen mehr auf der Welt“, heißt es in „Asche“. Oder auch: „Also im Feuer war sein Körper ja schon, diese Erfahrung hat er bereits hinter sich, die hat er mir voraus.“ Passend dazu wird an einer Stelle eine Urne über die Bühne getragen.

Das Problem bleibt: Es ist, als ob Richters Regiefeuerwerk die Zartheit von Jelineks Text selbst unter einem Ascheregen begräbt und erstickt. Doch im Theater ist so etwas nicht das letzte Wort zu einem Bühnentext. So hat das Hamburger Thalia-Theater bereits angekündigt, dass Jette Steckel in der neuen Spielzeit „Asche“ inszenieren wird.

„Asche“ von Elfriede Jelinek an den Münchner Kammerspielen

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