Thursday, May 16, 2024

Caspar David Friedrich: Bei ihm ist jeder Baum ein Individuum

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Für den Künstler ist die erste Begegnung mit einem faszinierenden Sujet oder einem Motiv der alles entscheidende Augenblick, sagte der Kunsthistoriker und Grafikkenner Gerd Presler einmal. Das Skizzenbuch war (und ist) für viele der unentbehrliche Begleiter schlechthin. Rasch aus der Jackentasche gezogen, lässt sich die „Notiz“, der Einfall vermerken, der unwiederbringliche Augenblick einer Idee, die unerwartet erhaschte Grundlage für eine Überführung auf die Leinwand. Sofort oder irgendwann.

Skizzenbücher sind Gedankenarchiv und Experimentierfeld, manchmal vielleicht auch nur die Vorlagensammlung für bildnerische Elemente. Wichtig genug, um von den Künstlern über die Jahre im Atelier aufbewahrt zu werden. Während Michelangelo die Bewertung seiner Studien und Skizzen fremd war (er verbrannte sie „nach Gebrauch“, sie hatten „ausgedient“), behandelte Max Beckmann sie wie einen geheimen Schatz, den er niemandem zeigte.

Es ist auffällig, dass Skizzenbücher und einzelne Blätter aus ihnen von den Künstlern selbst fast nie in den Handel gegeben worden sind. Zu persönlich. Es gibt Dinge, die verkauft man nicht. Ihre Bedeutung für das Gesamtwerk, für die formale, die methodische und erzählerische Entwicklung macht sie zu kostbar. Es gab allerdings Zeiten, da wurden die Skizzenbücher aus dem Nachlass berühmter Künstler gefleddert. Antrieb war blanker Geschäftssinn – oder schiere Not. Erna Kirchner sah sich beispielsweise gezwungen, einzelne Skizzenbuchblätter zu verkaufen. Heute macht man das nicht mehr. Es wäre ein Frevel, der sich ohnehin nicht auszahlen würde.

Äußerste Seltenheit auf dem Kunstmarkt

Ein Skizzenbuch von Caspar David Friedrich, dem großen Melancholiker und Neuerer unter den Künstlern der deutschen Romantik, wird nun beim Auktionshaus Grisebach in Berlin am 30. November mit einem Schätzpreis von 1 bis 1,5 Millionen Euro zur Versteigerung aufgerufen. Es ist das älteste von 20 bekannten, bis 1818 geführten Skizzenbüchern des Meisters, überwiegend gefüllt mit Natur- und Baumstudien, aber auch zarten Landschaften, Schiffen, Wolken und Vögeln aus der Zeit zwischen April und Juni 1804. Es ist eine seiner sechs gebunden (unter anderem in Oslo und Dresden) erhaltenen Kladden. Und es ist die erste, die überhaupt auf den Kunstmarkt kommt.

Caspar David Friedrichs „Karlsruher Skizzenbuch von 1804“ wird vom Berliner Auktionshaus Grisebach versteigert

Caspar David Friedrichs „Karlsruher Skizzenbuch von 1804“ wird vom Berliner Auktionshaus Grisebach versteigert
Quelle: © Christian Hagemann

Quelle: © Christian Hagemann

Quelle: © Christian Hagemann

Man kann annehmen, dass Caspar David Friedrich dieses Skizzenbuch seinem zehn Jahre jüngeren Malerfreund Georg Friedrich Kersting, den er zwischenzeitlich auch finanziell unterstützte, noch persönlich geschenkt hatte. Jedenfalls blieb es bis dato in Familienbesitz der Nachfahren Kerstings und wird gemäß seinem Standort als „Karlsruher Skizzenbuch“ bezeichnet.

Kersting, 1818 zum Malervorsteher der Königlich-Sächsischen Porzellanmanufaktur in Meißen berufen, hielt das 33 Seiten umfassende fragile Büchlein in höchsten Ehren. Genauso wie den älteren Kollegen mit dem er einst durchs Riesengebirge gewandert war und von dem er zwischen 1811 und 1819 drei Bildnisse an der Staffelei in sehr ähnlichen Varianten geschaffen hatte.

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Ein paar Monate bevor sich Friedrichs Geburtstag zum 250. Mal jährt, kommt damit ein Objekt auf den Markt, das sein Schaffen in seinem intimsten Ausdruck beleuchtet, das ihn aber auch gleichzeitig als zeitgemäß experimentierenden Künstler vorstellt. Der an der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen ausgebildete Greifswalder wandte sich erst 1807, da hatte er sich längst schon in Dresden niedergelassen, der Malerei zu.

Wie Christina Grummt, Verfasserin des Catalogue raisonné der Zeichnungen Caspar David Friedrichs, in einem lesenswerten Essay im Auktionskatalog schreibt, prägten zwei Erfindungen den Zeichner Friedrich maßgeblich: Das waren 1795 die Erfindung des „Bleistifts“, mit einer Mischung aus pulverisiertem und gereinigtem Grafit mit geschlämmtem Ton, und ein paar Jahre zuvor die Gewinnung der Sepia-Tinte.

Skizzenbuch aus einer Umbruchsphase

In dem Skizzenbuch – die Seiten sind manchmal in Teilen und mit exakten Kanten lasiert – finden sich fulminante Baumstudien, präzise Aststrukturen, knorrig, tausendfach belaubt, es gibt Baumstämme, aufgerissen, gewunden, verbogen. Sie haben sämtlich Charakter – nun ja, welcher alte Baum hat keinen? Grummt nennt sie Baum-Individuen, ihre Verwendung beziehungsweise ihre Weiterentwicklung etwa in den Gemälden „Hünengrab im Schnee“ von 1806/07 (Staatliche Kunstsammlungen Dresden) und „Abtei im Eichwald“ von 1809/10 (Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie) kann sie schlüssig nachweisen.

Dies belegt die Wirkungsmacht dieses und sicherlich auch der anderen Skizzenbücher für das gesamte Œuvre des bedeutendsten Protagonisten der Frühromantik. In Friedrichs Studien ging es zeitlebens darum, die Dinge besser zu verstehen, indem er ihre Charakteristiken betonend nachvollzog, sie förmlich untersuchte. Hatte er sich dahingehend orientiert, war die brauchbare Grundlage für eine malerische Weiterentwicklung geschaffen.

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Leben ohne Sinn

Das kleine Skizzenbuch fällt noch in eine schwierige persönliche wie künstlerische Phase Caspar David Friedrichs, der inzwischen in Dresden arbeitete und ab 1806 schließlich in den Genuss erster Berühmtheit gelangte. Er wohnte in halbwegs gediegenen Verhältnissen mit seiner Familie in einem Haus an der Elbe. Der Universalgelehrte Carl Gustav Carus, Arzt, Naturphilosoph und Maler, sah in ihm ein großes Vorbild für seine eigenen künstlerischen Bestrebungen. Philip Otto Runge, ebenfalls Absolvent der Kopenhagener Akademie, gehörte, bevor er nach Hamburg übersiedelte, ebenfalls zum Freundeskreis Friedrichs. Ab 1818 wohnte hier auch der norwegische Maler Johan Christian Clausen Dahl.

Sinnbild der deutschen Romantik

Nach den napoleonischen Siegen war Friedrich glühender Anhänger einer nationalen Befreiungsbewegung geworden, sein Atelier ein Treffpunkt chauvinistischer Patrioten. Was sich nicht nur positiv auf seine angestrebte Karriere als Akademieprofessor auswirkte. Gegen Mitte der 1830er-Jahre zeichnete sich allmählich ab, dass seine Stellung im aktuellen Kunstbetrieb nachließ. Seine Ablehnung der neurealistischen Landschaftsmalerei der Düsseldorfer Schule, sein Festhalten an der romantischen Schule taten ein Übriges.

Der heute wohl bedeutendste Maler der Frühromantik hatte sich ins Abseits manövriert. Erst nach der Wende zum 20. Jahrhundert setzte in der Rückschau zusammen mit einer zeitgemäßen Werkbetrachtung eine neue, durch nichts mehr zu erschütternde Würdigung Caspar David Friedrichs ein. Die einst so begehrten, freilich von akademischer Langeweile geprägten Landschaften der Zeitgenossen seiner späten Jahre hatten längst schon ausgedient. In der darauffolgenden hastigen Kette von Schulen, Stilen und Ismen konnten Friedrichs Werke – alle Moden überdauernd – sich stets als unangefochtenes Sinnbild der deutschen Romantik behaupten.

Winterauktionen bei Grisebach in Berlin, 30. November bis 1. Dezember 2023

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