Monday, April 29, 2024

„Cowboy Carter“: Beyoncé und das Märchen vom weißen Country

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Es fing verhältnismäßig harmlos an. Beim Super Bowl im Februar, dem Höhepunkt des amerikanischen Kulturkalenders, kam es zwischen Beyoncé und Taylor Swift zum Showdown. Während Taylor Swift das Interesse und die Blicke auf sich zog, warb Beyoncé über die Videowände für ihr neues Werk, das mehr sein würde als ein weiteres Album. Ein Politikum.

„Renaissance“ hieß ihr letztes Album von 2022, auf dem Cover saß sie nackt auf einem Pferd aus Glas. Im nächsten Akt, „Act II“, verraten wurde zunächst nur der Arbeitstitel, versprach Beyoncé, die Königin des R&B, auch eine Renaissance ihrer Musik. Zwei Songs ließ sie bereits beim Super Bowl anklingen: „Texas Hold ‘em“, eine rustikale Banjohymne auf das Landleben, und „16 Carriages“, ihre biografische Ballade eines Redneck-Mädchens über den frühen Verlust der Unschuld, Mutters Tränen, Vaters Lügen und die Last des Haushalts, ebenfalls ein Countrysong. Beyoncé wuchs in Texas auf, in Houston.

Als die beiden Songs erschienen, tat ihnen KYKC, ein Countrysender in Byng, Oklahoma, den Gefallen, sie erklärtermaßen nicht zu spielen: Sie, KYKC, spielten grundsätzlich nichts von Beyoncé, weil sie ein Countrysender seien. Damit rief KYKC die BeyHives auf den Plan, die international vernetzten Fans der Sängerin. Die BeyHives zwangen den Geschäftsführer mit ihren Hörerwünschen in die Knie und zu einer reumütigen Ausrede: Er habe einfach nicht gewusst, dass Beyoncé inzwischen auch Musik mache, die zum Programm des Senders passe. Er hätte auch sagen können: Beyoncés Musik war immer schwarz und was KYKC spielt, weiß.

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VARIOUS CITIES - JUNE 28: In this screengrab, Beyoncé is seen during the 2020 BET Awards. The 20th annual BET Awards, which aired June 28, 2020, was held virtually due to restrictions to slow the spread of COVID-19. (Photo by BET Awards 2020/Getty Images via Getty Images)

Brief aus dem Feuilleton

Nun ist das Album in der Welt. Es trägt den Titel „Cowboy Carter“ und zeigt Beyoncé im Sattel eines weißen Pferds mit einer Schärpe um den Leib wie bei einer Parade alter amerikanischer Kavalleristen oder wie Buffalo Bill als Frau bei einer seiner Shows zum Wilden Westen. Hautfarben, Geschlechter, alles, was ihr Land identitätspolitisch umtreibt, scheint sich aufzulösen. Dazu singt sie Hymnen wie „American Requiem“, in der sie sich an ihre alten Freunde wendet und ihnen erklärt, weshalb sie wieder einmal ihren Namen ändert, Cowboy Carter, „Amen“. In „Protector“ bittet sie um Schutz für sich und ihre Tochter Rumi, für ihre Familie und für ihr Volk. Wie einst James Brown, der Soulvater, erklärt sie, stolz auf sich zu sein: „Feel proud of who I am!“ Sie knödelt, wie es sich gehört im Country, ihre Basstrommel klingt wie ein leeres Whiskeyfass.

Das Album, „Cowboy Carter“, hat aber auch eine längere Vorgeschichte, die weiter zurückreicht als bis zum Super Bowl und zum KYKC-Eklat vor wenigen Wochen. Bereits vor acht Jahren besang Beyoncé in „Daddys Lessons“ ihren Vater, der sie zwar durch seine Härte stark und schlau gemacht habe, aber eben auf seine Weise auch ein Cowboy sein wollte, mit Bibel und Gewehr, traditionell, texanisch, männlich. „Daddys Lessons“ sang sie sogar bei den CMAs, den Country Music Awards in Nashville, mit den Dixie Chicks.

Wie Beyoncé stammen die Dixie Chicks, drei weiße Frauen, aus Texas. Allerdings waren sie damals schon beim Countryvolk in Ungnade gefallen, weil sie öffentlich den Krieg im Nahen Osten kritisiert und sich dafür entschuldigt hatten, sich den Bundesstaat mit George W. Bush teilen zu müssen. Als sich auch noch Beyoncé hinzugesellte, gab es Buhrufe im Saal, die von den Sängerinnen auf der Bühne wiederum sichtlich genossen wurden. Alan Jackson, älter, männlich, weiß, verließ unter Protest die Preisverleihung.

„Cowboy Carter“ von Beyoncé, das Cover

„Cowboy Carter“ von Beyoncé, das Cover
Quelle: Sony Music

Beyoncé weiß also, was sie tut mit „Cowboy Carter“, ihrem Countryalbum, und was auf sie zukommt in Amerika im Jahr 2024. „Reifen, Sporen, Stiefel“, lästert sie in „Texas Hold ‘em“. Dazu trägt sie einen schwarzen Stetson auf ihren blondierten Haaren als Revolverbraut im Video. Ihre Renaissance der Hillbilly-Musik ist eine dialektische Provokation, ein feierliches, fröhliches Bekenntnis zum konservativen Süden und zu ihrer Herkunft mit der Botschaft: Country, älter, männlich, weiß, ist ein Klischee und kann auch jünger, weiblich, schwarz sein und für alle da. „Ich bin ein riesengroßer Fan von Beyoncé und freue mich, dass sie ein Countryalbum aufgenommen hat“, erklärt die Königin des Country, Dolly Parton, schwesterlich bei Instagram. Auch sie weiß, wo die Fronten der Kulturkämpfe verlaufen und dass Beyoncé den Beistand nötig haben könnte.

Da kommt eine Frau, die in der Spielpause beim Super Bowl vor Jahren schon gesungen hat, dass jede Frau mit krausem Haar und breiten Nasenflügeln alles werden könne, Beyoncé, Queen B oder Bill Gates, „Formation“ hieß der Song, ein Marschgesang. Auf ihrem Album „Lemonade“ versampelte sie eine Wutrede von Malcolm X: „Niemand wird in Amerika respektloser behandelt als die schwarze Frau.“ In Videos sang sie vor „Stop Shooting Us“-Graffiti an den Wänden, sie tanzte auf Polizeiwagen, die mit ihr in der Flut von New Orleans versanken, und sie trat in weißen Herrenhäusern auf als schwarze Lady mit erhobenem Mittelfinger. Sie sang für Barack Obama. Niemand spendet mehr als sie an „Black Lives Matter“. Beyoncé drehte für Disney „Black is King“, ein „visuelles Album“, einen Film, in dem sie selbst als heilige Mutter eines schwarzen Sonnenvolkes im gelobten Land auftrat, aus Afrika wurde Amerika.

Ein Land, zwei Charts

Seit Wochen steht sie nun mit „Texas Hold ‘em“ auf Platz eins der Country-Charts der USA, als erste schwarze Sängerin in der Geschichte der getrennten Hitparaden. Was früher, zur Zeit der offiziellen Rassentrennung, „Hillbilly“ und „Race“ waren, die weißen und die schwarzen Charts, führt „Billboard“ heute als „Hot Country“ und „Hot R&B/Hip-Hop“. Als Eminem als Weißer in den Nullerjahren immer wieder auf Platz eins bei R&B und Hip-Hop stand, war die Nation so irritiert wie von Obamas Präsidentschaftsambitionen und von Tiger Woods beim Golf.

Dabei war weißer Country immer schon ein Märchen, eine amerikanische Legende. In den Sechzigern und Siebzigern des 20. Jahrhunderts stand der schwarze Sänger Charley Pride so häufig oben in den Country Charts wie Johnny Cash. Er galt als Sonderfall. Im Radio, wo seine Hautfarbe verschwiegen werden konnte, wurde sie verschwiegen. Wo sie sichtbar war, im Fernsehen und im Konzert, stellte sich Pride dem weißen Publikum als „Bruder mit dem Sonnenbrand“ vor.

Wo der Country herkam, aus den Appalachen und dem Hinterland der Südstaaten, lebten bekanntlich nicht nur Weiße. Mit den schwarzen Sklaven hatten sich die weißen Siedler auch gewisse Spielarten der afrikanischen Musik ins Land geholt. Ohne den Blues der schwarzen Landarbeiter hätte es den Country nie gegeben. Im Begleittext zu „The Soul of Black Country“, einer vom Münchner Label Trikont veröffentlichten CD-Anthologie, wird Andy Williams als einer der unzähligen R&B- und Soulsänger, die Countrysongs und Countryalben eingespielt haben, zitiert: „Ich wuchs bei meinen Großeltern auf, arbeitete täglich auf den gepachteten Baumwollfeldern. Wenn der weiße Grundbesitzer vorbeikam, um Wasser, Samen oder Gräte zu bringen, ließ er die Tür zu seinem Lastwagen offen, und aus dem Radio plärrten Hank Williams, Lefty Frizzell und Patsy Cline. Das war alles, was ich kannte. Wenn ich das Feld pflügte, sang ich ihre Lieder.“

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DW Kultur Country als Leitkultur ++ Dixie Chicks ++ Flower Gas Mask Band Shot 2020 Philippa Price ++ Quelle: Sony Music Presse insidesonymusic

Country und Kulturkampf

Countrypioniere wie die Carter Family fuhren umher und sammelten die Lieder wieder von den Feldern ein. Hank Williams (weiß) ließ sich von Leadbelly (schwarz) inspirieren. Blues und R&B machten den Country erst zur Popmusik Amerikas und darüber hinaus, was wiederum die Soul- zu Countrysängern machte. Ike und Tina Turner, James Brown und Sam Cooke, Al Green, Aretha Franklin und Salomon Burke sangen Countrysongs. Ray Charles nahm „Modern Sounds in Country & Western Music“ auf. Im Memphis-Soul von Stax Records, im Detroit-Pop von Motown, überall war Country drin, mehr als in Spuren. Dolly Parton landete mit „Starting Over Again“ von Donna Summer auf dem ersten Platz der Country-Charts. Auf „Cowboy Carter“ grüßt sie: „Hey, Miss Honey B, it’s Dolly P“, sie lobt das blonde Haar von Beyoncé, die sich mit Dolly Partons größtem Hit, „Jolene“, bedankt. Das Label „Volksmusik der ärmeren Weißen auf dem Land“ war Marketing für Konsumenten, die man für Provinzler hielt mit eher althergebrachten Ansichten von „Rasse“ und Geschlecht.

Im Country, wie er für ein solches Marktsegment, für eine solche Zielgruppe gemacht wurde, hat sich die Zuschreibung manifestiert. Als Jason Aldean aus Macon in Georgia im vergangenen Sommer „Try That in a Small Town“ sang, über die kriminelle Großstadt und die heile Kleinstadt, wo die Einwohner schon dafür sorgen, dass sich niemand traut, gegen Gesetze zu verstoßen, wurde wieder einmal heftig debattiert, ob Country die Musik der Rechten sei oder einfach Musik aus der Provinz für Leute mit strengeren Wertmaßstäben. Neu ist nur die Hysterie solcher Debatten. Es geht nicht mehr um Ästhetik und Soziologie, sondern um Ideologie und Politik. Und Donald Trump.

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Beyoncé & Tidal

Seit Beyoncé ihr Countryalbum angekündigt hat, wird sie als Modekönigin des „Cowboy Core“ gefeiert, Westernhüte seien gerade schick, bei Fashion Weeks, bei Grammys und bei Instagram. Auch das mag Beyoncé bewogen haben, „Cowboy Carter“ aufzunehmen und in ihren Videos mit strassbesetzten Texashüten aufzutreten. Aber da wurde schon Lil Nas X, der schwule schwarze Sänger, unterschätzt, der vor fünf Jahren auf Platz eins der Country-Charts gelandet war mit „Old Town Road“, bis er von dort verbannt wurde, weil sein Song „nicht genügend Country-Elemente“ aufweise. Um welche Elemente es sich dabei handeln könnte, wurde nicht genannt. Es geht bei Lil Nas X, Rihannon Giddens, die in „Texas Hold ’em“ Banjo spielt und Bratsche und bei Beyoncé nicht nur um modische Accessoires, sondern ums große Ganze. Um identitätspolitische Pointen, die den aktivistischen Diskursen um die Ismen dieser Zeit, um „Rassen“ und Geschlechter, die Empörung nehmen.

Willie Nelson spricht, Linda Martell, die erste Schwarze, die in Nashville in der Grand Ole Opry auftrat, im Tempel der Countrymusik, moderiert auf „Cowboy Carter“ einen Song an, „Ya Ya“. Countrysongs von Beyoncé wie „Just For Fun“ mit Willie Jones, „Most Wanted“ mit Miley Cyrus, „Levi’s Jeans“ mit Post Malone, die Heimholung von countryesken Klassikern wie „Blackbird“ von den Beatles nach Amerika und Gags wie „Oh Louisiana“, wo sich Beyoncé in eine singende Micky Maus verwandelt, lockern die Verhärtungen und lassen alle Einwände ins Leere laufen. Die Kulturkämpfe werden in Kunstwerke verwandelt.

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GLASGOW, SCOTLAND - JUNE 09: Beyonce and Jay-Z kiss ending their performance on stage during the "On the Run II" Tour at Hampden Park on June 9, 2018 in Glasgow, Scotland. (Photo by Kevin Mazur/Getty Images For Parkwood Entertainment)

Beyoncé & Jay-Z

Hinter allen Einwänden, die gegen Beyoncé, ihr aktuelles Album, ihre Hüte und ihren Besuch im Country, vorgebracht werden, lauern die Vorwürfe der kulturellen Aneignung. Das ist der beste Witz dieser Geschichte. Kulturelle Aneignung, ob unabsichtlich oder absichtlich, gilt als perfide Strategie von Weißen, um farbige Minderheiten auch noch ihrer ureigenen Ausdrucksmittel zu berauben. Weiße singen R&B, wäre nach strenger Auslegung im 21. Jahrhundert kulturelle Aneignung. Dann hätte es den R&B niemals gegeben und auch Country nicht, als Genres, die sich immer schon im Pop vermischt haben, bis alles eins war. Beyoncé vertont nichts weiter als den Renaissancebegriff der Popkultur, eine Besinnung auf die Utopie, dass jedem alles offen steht. Der R&B den Weißen und Country den Schwarzen.

Taylor Swift begann in Nashville, wo sie Countrysongs wie „Should’ve Said No“ und „Our Song“ aufnahm, die sich in den Hot-Country-Charts den ersten Platz warmhielten. Als sie sich davon entfernte und in aller Welt für ihre Hits gefeiert wurde, schmollten ein paar Kritiker in Tennessee. Allerdings gab es auch Trumpisten, die in ihr eine Art weiße Göttin sahen, was sie sich nicht ausdrücklich verbat. Dieses Enigmahafte sorgt gerade in Gegenden, wo Countrysongs zur Leitkultur gehören, für einige Unruhe. Wird Taylor Swift über die Swifties, ihr Millionenheer von instagramenden und tiktokenden Anhängern, die Präsidentenwahl beeinflussen und Donald Trump verhindern? Beyoncé, die Gegenpäpstin, die vom R&B zum Country wechselt, macht nun die Musik dazu, für ein harmonisches Amerika.

Songs wie „American Requiem“ sind kein Abgesang, sondern ein Neuanfang. Der Super Bowl war weniger ein Showdown als ein Gipfeltreffen. Taylor Swift und Beyoncé lassen wieder zusammenfinden, was zusammengehört. Das Album, „Cowboy Carter“, endet, wie es üblich ist im sogenannten Bibelgürtel von Amerika, mit „Amen“. Im Gebet.

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