Friday, April 26, 2024

Wie uns die Fröhlichkeit abhanden kam: Vermisstenanzeige für ein Gefühl

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Wenn Worte in die Jahre kommen, hilft ihnen manchmal bloß noch der Kalender auf. Glück und Erfolg zum Beispiel wünscht man sich in diesen Zeiten ständig, Fröhlichkeit aber eigentlich nur noch zweimal im Jahr. In der Weihnachtszeit bringt man der Fröhlichkeit sogar ein Ständchen, indem man Johannes Daniel Falks „O du fröhliche“ singt, ein Lied übrigens, das Anfang des 19. Jahrhunderts noch als „Dreifeiertagslied“ geschrieben wurde, für Weihnachten und Ostern und Pfingsten gleich mit: „O du fröliche, o du selige,/ gnadenbringende Pfingstenzeit!“

Dem Lieddichter Falk, einem evangelischen Theologen, war sein Luther noch nah: „frölich“, verlässlich ohne h geschrieben, ist nämlich ein typisches Lutherbibelwort: „seid frölich und getrost“, schreibt Luther etwa oder, durchaus irritierend: „lasz mich hören freude und wonne, das die gebeine frölich werden, die du zeschlagen hast“.

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All diese Stellen verzeichnet das Wörterbuch der Brüder Grimm, und vor diesen Belegstellen kommt eine Umschreibung, die es in sich hat. FRÖHLICH, steht da, das sei „an sich weniger als froh“. Der Fröhliche sei vielmehr „gleichsam halbfroh“, er beginne erst, sich zu freuen, „frohe empfindung“ und „froher mut“ gingen tiefer.

Das fröhliche Gesicht

Und vielleicht fängt ja genau da das Geheimnis der Fröhlichkeit an – und auch das unseres fadenscheiniger werdenden Verhältnisses zu ihr: Anders als Glück oder Wut, Trauer, Hass, Verzweiflung oder Liebe ist Fröhlichkeit kein großes, sondern ein kleines Gefühl. Vielleicht ist es sogar gar kein Gefühl, sondern bloß eine Stimmung. Das aber bitte nicht mit Laune verwechseln, denn wie es aussieht, ist Fröhlichkeit eine Stimmung, die man zumindest ein Stück weit kontrollieren kann.

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Auch da hilft die Sprache auf die Sprünge: Liebe trägt man im Herzen, Wut hat man im Bauch, fröhlich aber ist ein Gesicht – ein Körperteil, das erstens nicht so tief drinnen liegt, zweitens leichter beherrschbar ist und drittens in seiner Zugewandtheit eigentlich immer irgendwie sozial. Mimik ist für andere, fühlende Innereien sind das nicht. Ein fröhliches Gesicht kann man machen, ohne dass das gleich Verstellung wäre (und damit, OMG, Verrat am zeitgenössischen Gebot der Authentizität).

Tatsächlich ist Fröhlichkeit sogar etwas, zu dem man einigermaßen ungefährdet raten kann. „Cheer up!“, sagt man im Englischen und nichts ist böse, gemein oder respektlos daran. Fröhlichkeit, schreibt der im kalifornischen Berkeley lehrende Kulturwissenschaftler Timothy Hampton, sei eine „subjektive Emotion, die zugleich sozial ist. Sie wirkt außerhalb von uns selbst, auch wenn wir paradoxerweise in der Lage zu sein scheinen, sie für unser eigenes Wohlbefinden zu nutzen.“

Von Spinoza bis Armstrong

Hampton hat in diesem Jahr eine Kulturgeschichte der Heiterkeit herausgebracht („Cheerfulness. A Literary and Cultural History“, Zone Books, 280 Seiten, ca. 29 Euro), in der er dem Begriff der Fröhlichkeit (oder Heiterkeit) durch die Jahrhunderte folgt – allesamt Zeiten, die (wie alle Zeiten) heiter höchstens insofern waren, als sie drohten, heiter zu werden. Hamptons Kronzeugen – von Baruch Spinoza („Die Fröhlichkeit ist ein Affekt, welcher des Körpers Macht zu handeln vermehrt und unterstützt“) bis Louis Armstrong („Just direct your feet / To the sunny side of the street“) – haben von Pest bis Krieg so ziemlich alles erlebt – und dennoch an der Fröhlichkeit festgehalten.

Selbst Theodor W. Adornos Antwort auf die Frage „Ist Kunst heiter?“, gestellt nach dem Zivilisationsbruch durch die Nazis, ist komplizierter als das berühmte Zitat „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“ einen glauben macht. Aber womöglich ist Heiterkeit ja nie ganz frei von Barbarei (was dann noch eine ihrer Paradoxien wäre). „Immer wieder“, schreibt Friedrich Nietzsche in seiner „Fröhlichen Wissenschaft“, „wird von Zeit zu Zeit das menschliche Geschlecht decretiren: ‚es giebt Etwas, über das absolut nicht mehr gelacht werden darf!‘“

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Gute Gründe aber haben die Fröhlichkeit nie gehindert. Fröhlich kann man am Ende nur trotzdem sein, zumal Fröhlichkeit – anders als heftigere Regungen – die Welt ja nicht vergessen macht: Blind machen Liebe und Zorn, und verrückt ist man vor Freude; wer fröhlich ist hingegen, verliert nicht die Kontrolle, sondern gewinnt sie vielmehr zurück. Kunst, glaubte Adorno, sei etwas, das zwischen Ernst und Heiterkeit „vibriert“, und Timothy Hampton, der seinen Adorno gelesen hat, findet die Fröhlichkeit in allen möglichen sonderbaren Paarungen wieder: als Medizin gegen die Melancholie, als Katalysator christlicher Nächstenliebe, als Schmiermittel der höfischen und der bürgerlichen Gesellschaft und noch der kapitalistischen Ordnung. Offenbar ist Fröhlichkeit manchmal einfach das, was die Dinge am Laufen hält.

Die kleinen Versprechen

Als der Werbegrafiker Harvey Ball – anno 1963, für 45 Dollar – den klassischen gelben Smiley erfand, tat er das im Auftrag einer amerikanischen Versicherungsgesellschaft, die das Betriebsklima verbessern wollte. Bis heute hält das reduzierte Lächelgesicht Groupware und soziale Netzwerke in Gang, doch selbst dort wird es zunehmend vom Herzchen verdrängt, das irgendwie gefühliger, optisch lauter und noch viel plakativer ist. Selbst in ihrer grafischen Schwundstufe scheint die Fröhlichkeit auf dem Rückzug zu sein.

Aber warum? Weil eine überreizte Gesellschaft höhere Dosen Gefühligkeit braucht – und ausgerechnet die sozialen Medien wenig anfangen können mit einem kleinen sozialen Gefühl? Weil man auf Instagram lieber happy ist und auf Twitter lieber empört? Weil es niemanden wütend macht, wenn jemand fröhlich ist, und ein bisschen vorübergehende Heiterkeit nicht mal richtig neidisch macht? Oder liegt es daran, dass Fröhlichkeit immer nur die kleine Lösung ist und wir in unbescheidenen Zeiten leben?

Fröhlichkeit, schreibt Timothy Hampton in seinem schönen, kleinen Buch, sei eben nicht die messianische Hoffnung und nicht einmal der billige Optimismus der Politik – die Versprechen der Fröhlichkeit seien kleiner: seinem Nachbarn ein bisschen näherzukommen zum Beispiel oder einfach bloß die nächsten paar Stunden zu überdauern. Doch vielleicht müssen die Zeiten erst richtig schlecht werden, damit wir das wieder richtig verstehen. Fröhlichkeit, wenngleich auch „weniger als froh“, ist eigentlich schon eine Menge.

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