Friday, April 26, 2024

Iranischer Rapper Toomaj Salehi „Spuren von Folter sind eindeutig“

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Welcher Text wird dies wohl sein: ein Abschied? Teil einer Rettung? Welche Worte könnten helfen, um Toomaj Salehi davor zu bewahren, mit 32 Jahren der Nächste zu sein? Nach der Hinrichtung von Mohsen Shekari, dem 23-jährigen Barista, Sänger, Gamer, dem jungen Mann, der in Teheran die Straße versperrt und einen Sicherheitsbeamten verletzt haben soll, der dafür am 8. Dezember gehängt wurde. Zu denen, die auf den Straßen erschossen, erschlagen, ermordet werden – an die 440 sollen es inzwischen sein, darunter 44 Kinder – kommen nun also diejenigen hinzu, die in den Gefängnissen hingerichtet werden. Den „Krieg gegen Gott“, warf man Shekari vor.

Der Familie war versprochen worden, dass er in ein Berufungsverfahren kommt, sollten sie seinen Fall nicht öffentlich machen. Sie wurden getäuscht. Das Video vom Schrei der Mutter, als sie vom Tod ihres Sohns erfährt, erschüttert seither. Auch Toomaj Salehi sitzt, wenn man so will, seit Ende Oktober in der Todeszelle. Keine Anhörung, kein Prozess haben ihn jedoch dort hingebracht, ja, nicht einmal ein Verbrechen.

Seine Familie fordert, dass ihn überhaupt irgendjemand zu Gesicht bekommt, dass zumindest sein Anwalt zu ihm kann. Mohammad Hossein Aghasi, ein prominenter iranischer Verteidiger, bestätigt in einem Telefonat, die Familie habe ihn beauftragt, das Gericht jedoch habe ihn nicht zugelassen, er habe keine Akteneinsicht, keinen Kontakt. Und kein Lebenszeichen von Toomaj.

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Dessen Cousine Arezoo Babadi betont, dass die internationale Aufmerksamkeit das Einzige ist, was Toomaj womöglich am Leben halten könnte. Anwalt Aghasi bestätigt: „Ich denke, es ist wichtig, dass wir die Aufmerksamkeit auf die Personen richten, die zum Tode verurteilt sind. Und ihre Namen nennen. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, nicht vorhersehen, aber ich denke, wenn die Welt zusieht, dann werden sie Toomaj nicht hinrichten wie Mohsen Shekari.“

Inzwischen ist sein Gesicht eines der bekanntesten der iranischen Revolution von 2022, auch außerhalb Irans. Seit seiner Festnahme wuchs Salehis Instagram-Account von etwas über einer halben Million auf über eine Million Follower, ebenso wächst das Publikum auf Twitter und YouTube im In- und Ausland.

Heute warst Du nicht an meiner Seite

Aber wer ist Toomaj Salehi? Zunächst einmal ist er Rapper. Und es zeugt bereits von so viel, wenn einem Regime ein Rapper so gefährlich wird, dass es ihn von der Erdoberfläche verschwinden lässt. Sich auf die Spuren dieses jungen Mannes zu machen, kann einem Angst machen. Nach allem, was Familie, Freunde, Beobachter und Beobachterinnen während dieser Recherche berichten, verfährt das Regime erbarmungslos mit ihm und seinen Angehörigen.

Und gleichzeitig sprechen alle davon, dass Toomaj Salehi genau dafür gemacht ist. Für diese Revolution. Dass alles ihn darauf vorbereitet hatte. Dass er schon Monate, vielleicht Jahre, vielleicht sein ganzes junges Leben darauf ausgerichtet hatte, dass es zu dieser Revolution kommen würde. Und dass er sogar darauf vorbereitet war, nun verhaftet zu werden, wer weiß für wie lang und mit welchem Ausgang. Und deshalb die Zugänge zu seinen Social-Media-Accounts alle einer jungen Frau schickte, die nun von Deutschland aus die Kanäle füttert. Weitermachen sollte sie, so sagte er ihr. Sich nicht mit einer Partei gemein machen, sondern nur für die stark, die keine Stimme haben. Sich auf die Forderungen der Demonstrierenden fokussieren und nicht auf Verteidigung gegen das Regime.

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Das macht N. nun seit jenem 30. Oktober. Sie bleibt ihm Hintergrund und aus Sicherheitsgründen anonym. Inzwischen gibt es die Videos von Toomaj, seine Posts und Texte auch immer auf Englisch. Wie vor seiner Verhaftung geht es darum, die Moral für die Proteste hochzuhalten. Für Einigkeit zu sorgen, unter den verschiedenen Ethnien und Gruppierungen, die er immer wieder adressiert hat. Weiterzumachen und niemals einzuknicken, auch nicht vor der immer brutaler werdenden Gewalt. Es ist, was Toomaj in seinen Songs beschwört:

„Egal ob arm oder reich, von jeder Rasse, jedem Volk (…) komm, ohne Dich fehlt ein Teil…“ rappt er in „Meydooone Jang“, „Kriegsschauplatz“, seinem Song über die Revolution. Ja, darin spricht er von „Krieg“, dem „Feind entgegentreten ohne Angst.“ Aber eben auch davon: „Unsere Schwerter sind unsere Herzen.“ Toomaj zeigte sich offen bei den Protesten, bereits am 22. September schrieb er „Unsere Einigkeit ist das Geheimnis unseres Sieges“ unter ein Video, das ihn nachts auf den Straßen zeigt. Nur wenige Tage später konstatiert er: „Wein nicht, wenn ich morgen gestorben bin, denn heute warst Du nicht an meiner Seite.“ Seine Texte sind lyrisch, auch wenn sie nicht mit Musik untermalt sind, findet er Bilder, in der ohnehin sehr expressiven persischen Sprache. Der Rap-Stil ist hart, doch rhythmisch und mit Gespür für Inszenierung und gekonnte Pointierung.

Als Teenager beginnt Toomaj Salehi im Zuhause seiner Familie Musik aufzunehmen. Wenig später ist es sein großer Traum, Rapper zu werden. Seine Cousine Arezoo erinnert sich, dass vielen Menschen seine Stimme aufgefallen war. „Er war wirklich sehr talentiert als Kind und liebte Musik.“ Der Vater betreibt in Isfahan ein Geschäft mit Werkstatt, in der auch Toomaj arbeitete. In einem früheren Video führt er mit leichter Ironie CNC-Maschinen vor.

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In einem Interview vor einigen Jahren gibt Toomaj auf die Frage, mit wem er mal auf der Bühne stehen will, den US-amerikanischen Rapper NF an. Er selbst verkörpert das Image des harten Rappers, inklusive Goldkette, er posiert auf einem Pferd mit Gewehr in der Hand, er liebt Kampfsport und zeigt sich in Videos beim leidenschaftlichen Boxtraining. Wenn da nicht die Texte wären, in denen er immer wieder den Finger in die Wunde legt. Lehrern und Lehrerinnen, Studierenden, Arbeiterinnen und Arbeitern widmet er Songs – in „Blind Spot“, den er Mitte März veröffentlichte, trägt er eine Armbinde mit der ukrainischen Flagge.

Belesen und gebildet

„Gefängnisse“, so schreibt er dazu, „kenne ich seit ich ein Jahr alt und in den Armen meiner Mutter war.“ Tatsächlich wird seine Mutter Afsar Eqbali kurz nach der Geburt Toomajs in der Heimatstadt Isfahan inhaftiert. Sie soll Oppositionelle finanziell unterstützt haben. Die Mutter stirbt, als Toomaj 13 Jahre alt ist. Ihr Bruder fragt sich bis heute, ob Folgen der Haft zu ihrem frühen Tod führten. Eqbal Eqbali lebt in Bochum und betreibt dort einen Copyshop, in dem tatsächlich, auch 2022 noch, ohne Unterlass Studierende ein und aus gehen. Diese würden sich immerzu nach seinen Neffen erkundigen. „Alle kennen Toomaj. Und alle verstehen, was er mit seinen Texten sagen möchte. Es ist universell. Alle Menschen wünschen sich, frei leben zu können.“

Eqbali erklärt, ihn wundere nicht, dass sein Neffe so offen und furchtlos aufgetreten ist. Bereits 2021 war Toomaj inhaftiert worden, nachdem er den Song „Soorak Moosh“ veröffentlicht hatte: über das „Mäuseloch“, in das sich die korrupten Funktionäre verkriechen sollten, weil ihre Zeit abgelaufen sei. „Er wurde geschlagen und gefoltert. Seelisch und körperlich“, sagt Arezoo Babadi. Sie wisse nicht, warum auch er, wie so viele, die die Gefängnisse in Iran überleben, nicht über die Details dieser Folter spricht. „Ich denke, es ist eine so starke, so vereinnahmende Erinnerung. Sie wollen dich wirklich fertigmachen, dich entmenschlichen. Das möchte keiner noch einmal nacherleben. Das verstehe ich.“

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Toomaj jedoch macht nach seiner Freilassung weiter. Und Onkel Eqbal erklärt es sich so: „In unserer Familie gibt es eine Tradition. Wir waren alle im Gefängnis. Der Großvater, der Vater, ich. Zwei meiner Brüder wurden getötet. Wir haben nie eine Arbeit gefunden, weil alle Angst hatten, dass sie Schwierigkeiten mit Behörden bekommen, wenn sie uns anstellen.“

Die Familie von Toomaj sind Baschtiaren, ein ehemaliger Nomadenstamm aus dem Südwesten Irans. Toomajs Verwandtschaft im Speziellen sei zudem in Protestbewegungen der vergangenen Jahrzehnte – und weit darüber hinaus – aktiv gewesen. „Auch Reza Shah war ein Despot, unter ihm ist unser Großvater hingerichtet worden“, sagt Eqbali.

Er, der Onkel war es auch gewesen, der den Hinweis bekommen hatte, dass sie Toomajs Aufenthaltsort ausfindig gemacht hatten, dass seine Verhaftung bevorstand. Doch zu spät. Auf der kanadischen News-Seite CBC geht am 28. Oktober ein Bericht mit einem Interview mit Toomaj online. Die Journalistin Nahayat Tizhoosh führte das Gespräch, über Zoom, mithilfe einer VPN-Verbindung, um die Internetsperren zu umgehen. Tizhoosh trifft einen professionellen wie leidenschaftlichen jungen Mann an, der „belesen, gebildet, geradezu philosophisch“ spricht. „Bevor er dem Gespräch zustimmte, wollte er sichergehen, dass wir nicht in Farsi ausstrahlen. Ich denke, er wollte vorsichtig sein, nicht im falschen Kontext zu erscheinen. Und gleichzeitig wollte er ganz bewusst ein internationales Publikum erreichen.“

Hinter Toomaj sind an der Wand die Bilder von Demonstrierenden zu sehen, von Getöteten, direkt neben seinem Kopf das von Jina Mahsa Amini, mit der alles begann. Da ist die 16-Jährige Nika Shakarami, die ebenfalls 16-Jährige Sarina Esmailzadeh, beide waren schwer verletzt aufgefunden worden; über beide hieß es später offiziell, sie hätten Selbstmord begangen.

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Fragwürdiges Comeback

Es ist das letzte Interview, das Toomaj gegeben hat, das letzte Video von ihm in Freiheit. Es wirkt wie ein Manifest. Er erklärt, dass es noch viel mehr Proteste, viel mehr Menschen auf den Straßen gäbe, auch mehr Grausamkeiten. Dass jedoch nicht überall die Handys parat waren, auch aus Angst, identifiziert zu werden. „Ich habe keine Angst. Aber ich kann eine Vorhersage geben. Dieser mutige Teil der Gesellschaft, der Widerstand leistet, der wird immer weiter Widerstand leisten. Andere werden sich ihm anschließen. Und er wird auf Millionen anwachsen, er muss das, denn sonst hat es keinen Zweck. … Dies sind keine Soldaten, keine Menschen der Waffe. Sollte innerhalb der Proteste Gewalt entstehen, werden die Menschen Angst bekommen und wieder gehen. Deshalb ist meine Vorhersage: Genauso wie wir sind, (unbewaffnet), mit leeren Händen, werden wir wachsen.“

Ein Rechtsstaat?

In der Nacht vom 30. Oktober nehmen Beamte in Zivil in der Ortschaft Gerde Bisheh in der Provinz Tschahar Mahal und Baschtiari Toomaj fest, gemeinsam mit zwei seiner Freunde, darunter der Profiboxer Mohammad Reza Nikraftar. Am Tag danach taucht das erste Foto von der Verhaftung auf. Toomaj sitzt mit verbundenen Augen auf dem Rücksitz eines Autos. Merkwürdig nur: Draußen ist es taghell. Die staatliche Nachrichtenagentur berichtet zudem, Toomaj sei an der Grenze festgenommen worden. Sie wollen ihn als jemanden darstellen, der flüchten wollte, als feige. „Wir haben schon so oft auf ihn eingeredet, er solle nach Europa kommen“, berichtet Arezoo Babadi. „Aber er wollte den Iran nicht verlassen.“

Es folgen zwei Geständnisvideos, in denen Toomaj Fehler einräumt und Erklärungen findet, als sei er missverstanden worden. „Die Spuren von Missbrauch und Folter sind eindeutig“, postet N. zu einem Screenshot auf den Social-Media-Kanälen des Rappers. Die Familie sammelt Informationen, erfährt, dass Toomaj im Isfahaner Gefängnis Dastgerd in Einzelhaft festgehalten, regelmäßig gefoltert werde. Seine Hände und Finger sind gebrochen. Am Nacken eine schwere Verletzung. Auch die Knochen im Gesicht sollen an mehreren Stellen gebrochen sein.

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Seine Freunde sind inzwischen wieder freigelassen worden, aber sie können nicht, sie dürfen nicht reden. Die Aachener SPD-Bundestagsabgeordnete Ye-One Rhie postet Anfang Dezember auf Instagram den Brief des iranischen Botschafters. Ihr Schreiben vom 26. November, in dem sie sich nach Toomaj Salehi erkundigt hatte, hätte man erhalten: „Ich halte es notwendig zu betonen, dass entgegen Ihrer Annahme Rechtsstaatlichkeit in der Islamischen Republik Iran durchaus existiert.“

Der Prozess werde „rechtmäßig, gerecht und unter Berücksichtigung der islamischen Barmherzigkeit“ verlaufen. Die kanadische Journalistin Tizhoosh ist sich sicher, dass die Anklage für Toomaj ebenfalls auf „Krieg gegen Gott“ hätte lauten sollte, dass es allerdings doch eine Angst vor zu großem Druck aus der Öffentlichkeit gegeben habe. Nun findet sich unter den Vorwürfen, die iranische Medien Ende November verbreiteten, „Korruption auf Erden“, was jedoch unter dem islamischen Scharia-Recht des Iran ebenfalls unter Todesstrafe steht.

„Wem gehört die Straße, wenn nicht uns?“ Und: „Das ist unsere Stadt“, sagte Toomaj Anfang Oktober in einem Video auf Instagram. Nichts ist falsch daran. Und doch kann es sein, dass dies genug war für sein Ende.

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