Thursday, May 16, 2024

Shakespeares „Rom“ von Luk Perceval: So sieht es aus, wenn ein Imperium untergeht

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Vor 25 Jahren zählte „Schlachten!“ zu dem Aufregendsten, was man im Theater sehen konnte. Der Autor Tom Lanoye und der Regisseur Luk Perceval schufen ein Wimmelbild der Gewalt: In zwölf Stunden wurden acht Königsdramen von Shakespeare gespielt, mittendrin Thomas Thieme als überragender „Dirty Rich Modderfocker der Dritte“. Nun hat sich Perceval am Wiener Volkstheater mit „Rom“ erneut an ein großes Shakespeare-Panorama gewagt, über den Untergang des römischen Imperiums. Düsternis de luxe.

Wie dunkel sind die Zeiten des Niedergangs? Stockfinster, so lautet die Antwort von Perceval. Nur die Lichtkegel der Taschenlampen beleuchten zu Beginn die Gesichter des Ensembles, das sich vor einer großen Mauer verteilt. Obwohl es sich später etwas aufhellt, mit Nebel im dämmrigen Gegenlicht, bleibt es lichtloser Abend. Scheuen die finsteren Machthaber das Licht? Oder wird noch der kleinste Lichtstrahl an Hoffnung für das fragile Großreich von dem selbstzerstörerischen Bürgerkrieg geschluckt?

Offenbar gehören Orientierungsprobleme zu Untergangsepochen. In welcher der vier selten gespielten römischen Tragödien befinden wir uns gerade? Oder ist das egal? Die 1982 geborene Autorin Julia Jost (ihr Debütroman „Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht“ wurde hochgelobt) hat in „Rom“ die Stücke „Titus Andronicus“, „Coriolanus“, „Julius Caesar“ und „Antonius und Kleopatra“ von Shakespeare verarbeitet, zudem zahlreiche weitere Quellen – eine Monumentalcollage.

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An einer Stelle des düsteren Parcours heißt es lapidar: „Der Macht ist es egal, wer sie ausübt.“ Und offenbar auch, wer sie spielt. Weil inzwischen auch die Drehbühne Fahrt aufgenommen hat, ist in dem über Mikroports verstärkten Tonbrei kaum auszumachen, wer gerade zu wem spricht. Handeln verflüchtigt sich. Andreas Beck sitzt als zynischer Feldherr Coriolan im Rollstuhl an der Rampe, der Weltekel in Person. Das Volk? Beschissen. Die Politik? Widerwärtig. Lieber Rom den Rücken kehren, als Hochverräter.

Von „Julius Cäsar“ bleiben nur die berühmten Reden von Brutus und Mark Anton erkennbar – „Freunde, Römer, Landsleute!“ –, die hübsche Intrige zuvor wird nicht erzählt. Man ahnt zwar, dass Brutus alles andere als der „ehrenwerte Mann“ ist, als der er gerühmt wird, doch mehr als eine Ahnung der Verlogenheit und Heuchelei ist es kaum. Ein Kindertrio, erinnernd an die Hexen in „Macbeth“, kommentiert im dialektalen Kauderwelsch das Nichtgeschehen. Rom, so denkt man sich, ist echt richtig kaputt.

Rom, die „ewige Stadt“, ist an diesem Theaterabend mehr ein mythischer als ein geschichtlicher Raum. Das Zentrum eines Imperiums, das stets mit den Fliehkräften der eigenen Ausdehnung zu kämpfen hatte. Das mit einem elaborierten politischen und rechtlichen System zu verhindern suchte, dass ein Machtwechsel innerhalb der Eliten nur durch Bürgerkrieg erreicht werden kann. Doch das Bemühen um Stabilisierung scheitert, damals wie heute – wie es gerade im Kino mit Alex Garlands Film „Civil War“ zu sehen ist.

Übung im Untergang

Man fragt sich: Konnte Shakespare, der aus dem Epochenbruch der Neuzeit in die Geschichte des römischen Imperiums zurückblickte, die Gegenwart prophetisch vorausahnen? Oder ist sein Blick auf das Getriebe der Macht so präzise, dass er bis heute gültig ist? Der Harvard-Professor Stephen Greenblatt spricht in seinem lesenswerten Buch „Der Tyrann“ von „Shakespeares Machtkunde für das 21. Jahrhundert“. Perceval jedoch interessiert sich nicht so sehr für die Machtanalyse.

Es ist ein Bilderreigen, den Perceval mit „Rom“ geschaffen hat, begleitet von den hübsch verhallten Sounds der Musikerin Lila-Zoé Krauß. Die Szenen erinnern an Tableaus mit erstarrten Menschen, fast wie Gemälde. Mehr Bewegung als im Schauspiel ist in dem Wasserrinnsal, das nach der Pause bei unveränderter Beleuchtungssituation die Wand herunterplätschert. Durch den kunstvollen Lichteinfall verwandelt sich der Wasserstreifen in ein kleines Schattenspielmeisterwerk. Ist das der Strom der Geschichte, der – zunächst unscheinbar – am Ende das Imperium fortreißen wird?

Oder handelt es sich um einen Verweis auf den Nil? Im zweiten Teil geht es nämlich um Kleopatra und Antonius, das verlorene Liebespaar in Zeiten des Bürgerkrieges, weit weg in Ägypten. Die in rotes Tuch gehüllte Julia Riedler und Frank Genser im strahlend weißen Hemd stehen im Wasserbecken vor der sich auftürmenden Wand. Die Körper leuchten hell im Kontrast zum dunklen Bühnenhintergrund, wie auf den Gemälden von Caravaggio. „In diesem Palast strahlt schon länger keine Sonne mehr“, sagt Kleopatra.

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Wie Kleopatra und Antonius wortlos miteinander ringen, sich an die Wand und ins Wasser werfen, Arme und Beine umeinanderschlingen, drücken und ziehen, ist ein ergreifendes Bild von zärtlicher Brutalität, wie in den besten Tanzstücken von Boris Charmatz. Ist das noch Kampf oder schon Sex? Keine Ahnung. Man weiß nur, dass es sehr flüchtig ist, wie sie danach sagt: Das Glück dauert nämlich nur so lange wie der „Flügelschlag eines Schmetterlings“. Dieser Wasserringkampf ist der Höhepunkt des Abends, der für all die verdüsterten und vernebelten Momente zuvor entschädigt.

Auch der Schluss schwingt sich noch einmal zu größter Bildmächtigkeit auf: Ganz ohne Schauspieler dreht sich die leere Bühne immer weiter, ein knarzendes Weltgetriebe, in dem die Momente des Glücks schon wieder vergessen sind. Man hört nur Riedlers Stimme: „Fühl‘ ich mich befreit oder leer?“ Ihre letzten Worte sind ein „Hamlet“-Moment: „Einfach schweigen.“ Knapp drei Stunden hat diese Übung des Untergangs gedauert, die wie ihr Gegenstand ist: sehr düster, mit nur wenigen schönen Momenten.

„Rom“ wird, anders als „Schlachten!“, kein neuer Theaterhit werden. Ist der Untergang eines Weltreichs nicht interessant genug, wie Heiner Müller in seinem Gedicht „Mommsens Block“ vermutet? Müller hat den Historiker Theodor Mommsen vor Augen, dessen berühmte „Römische Geschichte“ abbricht, sobald es um den Zerfall geht. „Wer wollte das aufschreiben?“, fragt Müller, der allerdings mit der Shakespeare-Bearbeitung „Anatomie Titus Fall of Rome“ doch einen Versuch wagte. Auch Percevals „Rom“ nährt den Verdacht, dass Niedergangsepochen für die Kunst letztlich nicht sehr ergiebig sind.

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