Sunday, May 5, 2024

Frankfurter Schule: Philipp Lenhard über das Institut für Sozialforschung

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Es war ein Kapitalist, der dem Marxismus half, eine weltweit wirksame, politisch folgenreiche Gesellschaftslehre zu werden. Ohne die großzügige Unterstützung von Friedrich Engels, dem Sohn eines Baumwollfabrikanten, der nach dem Verkauf seiner Anteile am väterlichen Unternehmen zu Reichtum gekommen war, wäre der Versuch von Karl Marx, „das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen“, unvollendet geblieben. Engels nutzte die Mechanismen des Finanzkapitalismus, um sein Vermögen durch Spekulation zu mehren: „So kindlich bin ich nicht, mir bei meinen Operationen in der sozialistischen Presse Rat zu holen.“

Ohne das Engagement eines Kapitalisten und seines Sohnes wäre es vor einhundert Jahren nicht zur Gründung des „Café Marx“ gekommen, wie das Frankfurter Institut für Sozialforschung genannt wurde, Ursprungsort einer Sozialphilosophie, die bis heute die geistes- und sozialpolitischen Debatten prägt. Hermann Weil war Inhaber einer in Argentinien ansässigen Getreidehandelsfirma. Sein Sohn Felix wurde durch die Lektüre des „Erfurter Programms“ der SPD zum Sozialisten, der im „Privateigentum an Produktionsmitteln“ das Grundübel der kapitalistischen Gesellschaft sah. Zusammen mit seinen Studienfreunden, den Unternehmersöhnen Friedrich Pollock und Max Horkheimer diskutierte er die Chancen einer „sozialistischen Revolution“ nach dem Ende von Monarchie und Erstem Weltkrieg. Die Antwort sollte in einem Institut für Sozialforschung gefunden werden. Die finanzielle Großzügigkeit von Vater und Sohn Weil schuf dafür die Voraussetzung.

Nicht nur Horkheimer und Adorno

Die Geschichte des Instituts ist mehrfach erzählt worden. Der in Berkeley lehrende Historiker Philipp Lenhard versucht in „Café Marx“ dieser Geschichte neue Akzente zu verleihen. Er folgt den durch Naziherrschaft und Krieg erzwungenen Ortsveränderungen, die das Institut zu einer Wanderinstitution machten: von Frankfurt über Paris nach New York und Kalifornien und wieder zurück nach Frankfurt.

Detailliert beschreibt Lenhard die „physischen und symbolischen Räume“, in denen sich die Entwicklung des Instituts vollzog: Beispielsweise erinnert das Kapitel „Im Bahnhofshotel“ an die „Erste Marxistische Arbeitswoche“ in Gera, an der im Mai 1923 u.a. Friedrich Pollock, Felix Weil und Georg Lukács teilnahmen, „Im Kaffeehaus“ schildert die Atmosphäre des Café Laumer, wo die Mitglieder des Instituts miteinander stritten und auf konkurrierende intellektuelle Cliquen trafen wie den Kreis um Karl Mannheim und Norbert Elias. Im Kapitel „Auf der Couch“ kommt es zur Kooperation des Instituts für Sozialforschung mit dem Frankfurter Psychoanalytischen Institut und Erich Fromm. Horkheimer wollte diese Kooperation in seiner Person repräsentieren und eine Analyse machen. Als ihm bedeutet wurde, dies sei nur bei Vorliegen eines „Symptoms“ möglich, nannte er seine Unfähigkeit, Vorträge frei zu halten. Horkheimer durfte auf die Couch.

Die „raum- und netzwerkgeschichtliche Erzählung“, wie Lenhard sein Buch nennt, gewinnt ihren narrativen Charme durch die auf Fakten beruhenden, literarisch überformten Eröffnungsszenen am Anfang jeden Kapitels. Hinzu kommt die Interpretation von Schlüsseltexten wie Horkheimers Gegenüberstellung von traditioneller und kritischer Theorie oder der zusammen mit Theodor W. Adorno verfassten „Dialektik der Aufklärung“. Ursprünglich an Marx anknüpfend, sich dann immer deutlicher vom Marxismus distanzierend, blieb die Suche nach einer Theorie mit emanzipatorischem Anspruch, die der Komplexität des Spätkapitalismus und seinen inhärenten Widersprüchen gerecht würde, Leitfaden des Instituts für Sozialforschung.

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In Lenhards Buch spielen „Konstellationen“ eine große Rolle. Am Anfang steht der Freundschaftspakt zwischen Pollock und Horkheimer, die sich mithilfe ihrer Eltern 1922 eine Villa im Taunus kauften und dort zwei Jahre vor der offiziellen Eröffnung „zunächst einmal gedanklich“ das Institut gründeten. Von Weggefährten ironisch als „Freundespaar Lenin & Trotzkij“ apostrophiert, hatten sie sich ein Lebensmotto gewählt: „Das intérieur geht dem extérieur immer voraus“. Dieses Motto wurde für das Institut leitend. Seine öffentliche Wirkung verdankte es einzelnen großen Namen, im Inneren agierte es, trotz unvermeidlicher Cliquenbildungen, als Kollektiv. Frauen spielten dabei eine große Rolle.

Dazu zählten neben den Ehefrauen wie Maidon Horkheimer und der promovierten Chemikerin Margarete („Gretel“) Adorno auch Sekretärinnen wie Juliette Favez, die in Genf die Rolle eines „Office Manager“ einnahm. Die „Diktatur des Direktors“ machte niemand Max Horkheimer streitig. Ursprünglich zögerte er, Adorno einzustellen, dessen Eitelkeit und Selbstüberschätzung ihm missfielen, in der Spätphase des Instituts verweigerte er „einem begabten, unablässig auf geistige Überlegenheit sich verweisenden Menschen“ namens Jürgen Habermas die Habilitation.

Horkheimer war aber auch zu kollegialer Fürsorge fähig: Als der in Genf auf seine Überfahrt in die USA wartende Leo Löwenthal sich Sorgen um seine Schiffspassage machte, beruhigte ihn der in New York befindliche Horkheimer, seine Frau werde dafür sorgen, dass Löwenthal zu jeder Schiffsmahlzeit eine zusätzliche „Portion Blumenkohl“ serviert werde. „Wenn Sie an mich persönlich kabeln, werde ich für Karamellpudding sorgen.“

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Lenhard zeigt, wie sehr das Institut von finanzpolitischer Cleverness profitierte. So gelang es, das Stiftungskapital dem Zugriff der Nazi-Behörden zu entziehen und das Überleben des Instituts an den wechselnden Orten seines Exils zu sichern. Als nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten die deutschen Emigranten verstärkt in das Visier der amerikanischen Behörden gerieten, hatte das FBI Mühe, sich im Dickicht der Trusts zurechtzufinden, die das Vermögen des Instituts verwalteten, es war, schreibt Lenhard, „zu diesem Zeitpunkt nicht nur ein Forschungsinstitut, sondern auch ein Finanz-Imperium“. Als Horkheimer und Adorno nach Kalifornien gezogen waren, giftete Hannah Arendt, beide lebten dort im großen Stil, „das Institut hier in New York ist rein administrativ. Was administriert wird außer Geldern weiß kein Mensch.“

Anders als Walter Benjamin gelang es den meisten jüdischen Mitgliedern des Instituts, sich vor der Nazi-Verfolgung in Sicherheit zu bringen. Erstaunlich bleibt, dass viele von ihnen 1938 die drohende Kriegsgefahr unterschätzten. Die Rückkehr des Instituts nach Frankfurt war vom Enthusiasmus für den Wiederaufbau eines moralisch wie physisch zerstörten Landes geprägt. Dann stellte die Studentenrevolte das kritische Potenzial der „Frankfurter Schule“ rabiat infrage. Das „Café Marx“ war Vergangenheit.

Stephan Lessenich, sein gegenwärtiger Direktor, will das Institut für Sozialforschung von der „drückenden Last der Geschichte großer Männer und früherer Zeiten“ befreien und hat ihm aufgegeben, „den Kanon der Bezugstheorien um queerfeministische und posthumanistische Ansätze, antirassistische und dekoloniale Perspektiven zu erweitern“. Leitfaden für das Institut ist jetzt politische Korrektheit.

Philipp Lenhard: Café Marx. Das Institut für Sozialforschung von den Anfängen bis zur Frankfurter Schule. C. H. Beck, 624 Seiten, 34 Euro

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