Friday, May 3, 2024

Reisebericht: Warum ich Kants Geburtstag nicht in Königsberg feiere

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Am Montag, den 22. April, wird Immanuel Kant 300 Jahre alt. Zeit für eine Reise nach Königsberg, heute Kaliningrad, wo der Aufklärer sein gesamtes Leben verbrachte? Die Presse-Sekretärin der Kaliningrader Kathedrale empfiehlt mir auf meine Nachfrage, sogar schon einen Tag vorher auf die „Kant-Insel“ zu reisen. Das Kant-Museum eröffne nämlich in der Nacht vom 21. April nach achtmonatigem Umbau.

Man könne in dieser Nacht neun Hallen umsonst besuchen, um 22:30 Uhr halte der berühmte russische Musikwissenschaftler und Musiker Jaroslaw Timofejew einen Vortrag über Kants Beziehung zur Musik. Um Mitternacht werde der Vortrag mit Orgelklängen beendet. Am Abend darauf werde das Stand-up-Drama des russischen Dramatikers Dmitry Minchenok zum Jubiläum des Philosophen gezeigt.

Was für ein Programm! Vor meinem inneren Auge sehe ich mich durch Kants Königsberg flanieren, Blumen auf seinem Grab niederlegen, im Mondschein bei Orgelmusik mit gleich gesinnten Fans auf den berühmtesten Königsberger aller Zeiten anstoßen. Vielleicht veranstalten wir zu später Stunde sogar ein Billardturnier in einer Königsberger Kneipe, natürlich geht es dabei um Geld, denn auch Kant bestritt in jungen Jahren seinen Lebensunterhalt als Billard-Profi.

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Doch dann die Zweifel: Es ist Krieg. Einige Leute, die sich besser auskennen als ich, raten mir, zurzeit ohne offizielle Akkreditierung auf keinen Fall in russisches Gebiet zu fahren, gerade Journalisten liefen Gefahr, willkürlich schikaniert oder als Geisel gehalten zu werden. Tagelang schreibe ich mit Tourismusbeauftragten in Kaliningrad und der Axel-Springer-„Corporate Security“-Abteilung hin und her, informiere mich im Internet, beim Auswärtigen Amt. Normalerweise kann ich Gefahren gut einschätzen, aber hier befinde ich mich auf schwankendem Grund – so wie damals, als ich zum ersten Mal Kants „Kritik der reinen Vernunft“ las und das Gebäude des Wissens über mir zusammenstürzte und alles, was ich bisher geglaubt hatte, unter mir begrub.

Immanuel Kant (1724-1804)

Immanuel Kant (1724-1804)
Quelle: Universal Images Group via Getty Images/UniversalImagesGroup

Was hätte Kant in meiner Situation getan? Kaum ein Philosoph eignet sich so gut als Folie für diese Frage wie der Erfinder des Kategorischen Imperativs, der den Verzicht auf Neigungen zugunsten der Vernunft auf eine griffige Formel brachte. Hätte Kant etwaige Sicherheitsbedenken über Bord geworfen, um seinem geistigen Vorbild Ehre zu erweisen? Hätte er sich von dem Herzenswunsch, durch die Hallen des neuen Museums zu wandeln, treiben lassen? Oder von der Pflicht, Bericht zu erstatten, auch, wenn es unangenehm wird? Hätte er auf die eindrückliche Beschreibung des Feuerwerks verzichtet, das über der Kathedrale von Kaliningrad Funken in den bestirnten Himmel über mir wirft, während Russland Raketen über der Ukraine niedergehen lässt?

Während Deutschland Kafkas 100. Todestag mit der glamourös-abgründigen Serie „Kafka“ in der ARD-Mediathek und dem kitschig-zeitgemäßen Kinofilm „Die Herrlichkeit des Lebens“ Tribut zollt, erhält Kant lediglich eine olle Arte-Doku. In dieser lässt der Filmemacher Wilfried Hauke den Philosophen nachts mit einem Feuer in der Hand durch den Wald irren und dabei verzweifelt schluchzend das Wort „Mensch“ wiederholen. Kant, ein von Emotionen überwältigtes Nervenbündel? Prominente Gegenwartsphilosophen wie Susan Neiman geben ihre Meinung zur Aktualität des oft als „kalte Denkmaschine“ und „alter, weißer Mann“ abgewerteten Aufklärers zum Besten. Eine Kamerafahrt über das alte, schicke Königsberg, die einstige Hauptstadt Ostpreußens, trifft auf eher trostlose Aufnahmen des aktuellen Kaliningrads, das seine deutsche Vergangenheit weitgehend verleugnet.

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Empfehlen kann ich dagegen das locker und dennoch klug geführte Gespräch zwischen dem Schriftsteller Daniel Kehlmann und dem Philosophen Omri Boehm, das zum Kant-Jubiläum im Propyläen-Verlag erschienen ist. Auch darin finde ich Rat. „Ich wollte nur sagen“, so Boehm, „dass ich nicht zu jenen Philosophen gehöre, die nach Königsberg, dem heutigen Kaliningrad, fahren, um ein Selfie an Kants Grab zu machen …“

Was hätte Kant an meiner Stelle getan? Vielleicht wäre er zu Hause geblieben. So wie ich heute nicht nach Kaliningrad hineinkomme, kam er nie aus Königsberg hinaus. Warum auch? Er hatte dort alles, was er brauchte. Statt selbst zu reisen, las er lieber Reisebeschreibungen. Ich werde es am Montag ähnlich halten. Um viertel vor fünf werde ich mich wecken lassen (vom Wecker, nicht vom Diener), um später ein paar Runden in meiner eigenen Stadt zu drehen und ein bisschen zu lesen. Wahrscheinlich Kants Streitschrift „Zum ewigen Frieden“.

Wilfried Hauke: Kant – Das Experiment der Freiheit. Arte-Mediathek.

Omri Boehm und Daniel Kehlmann: Der bestirnte Himmel über mir. Ein Gespräch über Kant. Übersetzungen aus dem Englischen von Michael Adrian. Propyläen, 352 Seiten, 26 Euro.

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