Diese Länderspiel-Reise war das, was die deutsche Fußball-Nationalmannschaft so dringend gebraucht hat. 2:0 gegen Frankreich, 2:1 gegen die Niederlande: vor allem die Art und Weise, wie die Auswahl von Bundestrainer Julian Nagelsmann auftrat, macht Hoffnung für die EM in Deutschland.
Mutig, offensiv, selbstbewusst, strukturiert, kontrolliert, endlich stabiler, konstanter und sicherer – es gab viele positive Erkenntnisse für den Bundestrainer, Fans und Experten. Wenngleich die Leistung gegen die Niederlande am Dienstagabend in Frankfurt/Main nicht so überzeugend war wie die auswärts gegen die Franzosen und die Mannschaft diesmal einige Torchancen ungenutzt ließ. Dennoch: Deutschland war gegen einen großen Gegner die bessere Mannschaft, verarbeitete den frühen Rückstand gut und gewann verdient. So war es eine zehntägige Reise mit wichtigen Erfolgserlebnissen – obwohl Manuel Neuer (verletzt) und Leroy Sané (gesperrt) fehlten.
Die letzten beiden Tests vor Beginn der EM-Vorbereitung haben mehrere Gewinner hervorgebracht. Und auch klare Verlierer. Robert Andrich und Rückkehrer Toni Kroos sind im zentralen Mittelfeld die ideale Lösung, Jamal Musiala und Florian Wirtz aus dieser Mannschaft nicht wegzudenken. Debütant Maximilian Mittelstädt präsentierte sich insgesamt gut.
Gewinner ist auch Nagelsmann, dessen mutige Nominierungen aufgingen. Er setzt auf das richtige System, ließ dieselbe Startelf in beiden Partien spielen. Endlich, nach vielen Experimenten seit der desolaten WM 2022 in Katar, sind die Rollen klar verteilt. Die Mannschaft sendete in den beiden Spielen und drumherum ein wichtiges Signal, sie ruft ihr Potenzial endlich mehr ab und strahlt Spielfreude aus.
Die größten Verlierer hingegen sind die nicht nominierten Nationalspieler von Borussia Dortmund. Bis auf Niclas Füllkrug hatte Nagelsmann keinen BVB-Profi berufen. Der Stürmer saß auch gegen die Niederlande zunächst nur auf der Bank und erzielte kurz vor Schluss das 2:1. Die nicht nominierten Borussia-Stars werden es sehr schwer haben, es noch in Nagelsmanns EM-Aufgebot zu schaffen. Es drohen Dortmunder Härtefälle: Mats Hummels, Nico Schlotterbeck, Niklas Süle, Emre Can, Julian Brandt, Marco Reus, Karim Adeyemi, Youssoufa Moukoko, Felix Nmecha – derzeit deutet alles darauf hin, dass sie im Sommer freihaben. Die Nationalelf braucht sie derzeit auch einfach nicht.
Welch bittere Bilanz für die Dortmunder, die mit ihren vor allem in der Bundesliga zu schwankenden Leistungen dafür verantwortlich sind. Das Momentum spricht gegen sie. Auf dieser Länderspielreise wurden sie auf dem Rasen nicht vermisst. Sie müssen in den nächsten Wochen im Klub sehr gut bis herausragend spielen, um ihren EM-Traum doch noch wahrzumachen.
Auch beim FC Bayern droht ein Härtefall: Nagelsmann verzichtete auf dieser Reise überraschend auf Leon Goretzka. Der Mittelfeldprofi hat weiter Chancen auf einen EM-Platz, seine Körperlichkeit, Spielweise und Erfahrung können bei einem langen Turnier sehr wichtig sein. Doch die Lage hat sich aufgrund der Leistungen von Kroos und Andrich und weiteren Optionen wie Pascal Groß für Goretzka zugespitzt. Das hätte man vor dieser Reise nicht unbedingt gedacht.
Bis zum EM-Eröffnungsspiel gegen Schottland in München sind es noch rund drei Monate. Im Fußball eine lange Zeit. Die deutsche EM-Elf hat deutlich Konturen angenommen. Das ist wichtig – und war überfällig.
Der Kampf um die EM-Plätze ist leistungsfördernd. Nagelsmann und seine Spieler haben spannende Wochen vor sich.