Zu Silvester gehören Böller – für die einen. Zu den Tagen davor gehört eine Böller-Debatte – für die anderen. So auch in diesem Jahr.
Auf der einen Seite bereiten sich die Pyro-Branche und manche Bürger nach zwei Jahren pandemiebedingter Pause darauf vor, wieder in den Bereich der gut 120 Millionen Euro zu kommen, die in Deutschland 2019 fürs Silvesterfeuerwerk ausgegeben wurden. Auf der anderen Seite stehen jene, die einen dauerhaften Stopp verlangen.
Nachdem im November schon die Deutsche Umwelthilfe vor allem wegen der starken Feinstaub-Belastung für ein dauerhaftes Böller-Verbot plädiert hatte, sagte nun der Präsident der Bundesärztekammer, die „ungeregelte Knallerei“ passe nicht mehr in die Zeit. Dies gelte umso mehr, so Klaus Reinhardt in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, als die Verletzungen durch unsachgemäßen Feuerwerksgebrauch „eine starke zusätzliche Belastung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kliniken“ seien, „die ohnehin schon seit Monaten am Limit arbeiten“.
Tatsächlich: Wer bei Silvester an Krankenhäuser denkt, muss gegenwärtig fast mehr alarmiert sein als in den Corona-Jahren 2020 und 2021. Denn Personalmangel und sehr hohe Patientenzahlen führen jetzt schon zur völligen Überforderung vieler Kliniken und zumal der Notaufnahmen. Dass diese durch ein wie üblich begangenes Silvester zusätzlich stark belastet werden, steht außer Zweifel.
Doch unklar ist, welche Rolle dabei die Knallerei spielt.
Vernunft statt Verboten
So hatte 2019 eine Erhebung des Berliner Krankenhaus-Betreibers Vivantes ergeben, dass in den Rettungsstellen von dessen Kliniken nur rund fünf Prozent der Silvester-Notfälle auf Böller zurückzuführen waren. Eine viel größere Rolle spielten – wie auf Twitter auch der Pfleger und Charité-Personalrat Alexander Eichholtz berichtete – schwerste Betrunkenheit und deren Folgen, zumal Verletzungen nach alkoholbedingten Stürzen.
Hingegen zeigte eine Erhebung der Barmer Ersatzkasse, dass die Corona-Einschränkungen den Kliniken zu Silvester durchaus nutzten. So ging beim Jahreswechsel 2020/2021 die Zahl der Krankenhausaufnahmen aufgrund von Silvesterunfällen stark zurück, von etwa 6200 Fällen im Jahr 2019 auf rund 3800 Fälle. Nicht ersichtlich aber ist, welchen genauen Anteil die Feuerwerksverletzungen dabei hatten. Möglicherweise sorgten schon die allgemeinen Kontaktbeschränkungen dafür, dass sich typische Silvesterverletzungen wie Stürze und Unterkühlungen von Betrunkenen im Freien deutlich reduzierten.
Einen starken Effekt des Knallerei-Verzichts aber sieht die Deutsche Krankenhausgesellschaft: „In der Zeit des Böller-Verbots“, sagte ihr Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß WELT, „haben die Kliniken etwa zwei Drittel weniger stationäre Fälle mit feuerwerksbedingten Verletzungen registriert.“ Auch die Notaufnahmen seien entsprechend weniger belastet gewesen.
Beim bevorstehenden Jahreswechsel seien wohl wieder ähnlich viele Verletzungen dieser Art wie vor Corona zu versorgen. Aber: „Verbote halten wir nicht für zielführend“, betont Gaß. Stattdessen appelliere man „unbedingt an die Vernunft, vorsichtig mit Feuerwerk umzugehen, Abstand insbesondere zu Kindern zu halten, es nur im nüchternen Zustand zu zünden und die Vorschriften zu beachten“.
Was Ampel-Politiker dazu sagen
Eine explizite Verbotsforderung erhebt auch Janosch Dahmen nicht, der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag. Das Problem als solches aber hält der Mediziner für sehr gravierend: „Mich persönlich als Politiker und Notarzt beschäftigen seit vielen Jahren die schlimmen Verletzungen durch Feuerwerkskörper, gerade auch bei Kindern, die oft jahrelange Schädigungen davontragen. Immer wieder habe ich mich nach solchen furchtbaren Einsätzen gefragt, ob es das wirklich wert ist, dass wir in Deutschland solche Gefahren von Böllern und Feuerwerk durch die seit Jahrzehnten übliche weitestgehend ungeregelte Nutzung in Kauf nehmen.“
Auch Dahmen verweist darauf, wie sehr die Kliniken ohnehin belastet sind. „Diese knappen Ressourcen müssen wir für die unvermeidlichen Gesundheitsgefährdungen bereithalten.“ Zwar verstehe er „den Reiz eines Feuerwerks gut“, denke aber, „dass wir uns Verletzungen durch Böller zurzeit einfach nicht erlauben können und auch grundsätzlich besser sparen sollten“.
Dahmen weiter: „Es geht ja nicht darum, alle Feuerwerke zu verbieten, sondern statt privatem Böllern lieber professionelle öffentliche Feuerwerke zusammen zum Neujahrsfest zu genießen.“ Der Nutzen von Einschränkungen lasse sich an jenen Böller-Verbotszonen erkennen, die manche Städte seit einiger Zeit eingerichtet haben, und „wo beispielsweise in Berlin auch die Zahl der Angriffe mit Feuerwerkskörpern auf Einsatzkräfte zurückgegangen ist“.
Verbotszonen hält auch die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus für praktikabel: „Selbstverständlich sollten Städte und Kommunen weiterhin entscheiden, ob ein partielles Feuerwerksverbot sinnvoll ist, beispielsweise an viel belebten Plätzen oder in historischen Altstädten“, sagte Aschenberg-Dugnus WELT.
„Ein generelles Böller-Verbot halte ich für nicht zweckmäßig“, betont die Liberale, fügte aber hinzu: „Angesichts der derzeitigen prekären Versorgungslage in den Krankenhäusern müssen wir allerdings an die Bevölkerung appellieren, sich vorsichtig und rücksichtsvoll zu verhalten.“ Sie warne deshalb „eindringlich vor dem Kauf illegaler und nicht in Deutschland zugelassener Pyrotechnik“.
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