Die Chemieindustrie spottet über den Bundeskanzler: „We walk alone“, kommentiert der Präsident des Branchenverbands VCI, Markus Steilemann, sarkastisch. Es geht um die Milliardensummen an Energiepreishilfen, die seine Branche erwarten kann.
Die Abwandlung von Olaf Scholz‘ derzeitigem Lieblings-Slogan „You’ll never walk alone“ soll auf angebliche Versäumnisse der deutschen Politik hinweisen.
Die Kritik der Branche hat etwas Maßloses. Die Chemie-Manager fordern grenzenlose Energie-Hilfen vom Staat – also dem Steuerzahler.
Dabei ist die Branche in den vergangenen Jahren nicht mit dem Versuch aufgefallen, irgendetwas gegen die hohe Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas zu tun – im Gegenteil. Der Chemieriese BASF hat über seine Gastochter Wintershall kräftig in Russen-Gas investiert.
Im Detail ist die Bundesregierung zudem der falsche Adressat für die Kritik. Großverbraucher bekommen wegen einer Intervention aus Brüssel nicht dieselbe Gaspreisbremse wie der Bäcker um die Ecke – und das ist sinnvoll.
Die EU stemmt sich wie so oft gegen einen ungebremsten Subventionswettlauf der Mitgliedstaaten. Die Auflagen, mit denen die Chemieindustrie bei der Gaspreisbremse umgehen muss, sind dabei vergleichsweise gering.
Was die Branche indessen verlangt, ist der ungehinderte Zugang zu Staatsgeld. Es ist gut, dass sie ihn nicht bekommt.
Denn wogegen wendet sich die Branche? Sie klagt nebulös, die Unternehmen seien gezwungen, Rücklagen zu bilden. Dahinter steht eine Regelung, die verhindern soll, dass Unternehmen das Staatsgeld gleich in Gewinn umbuchen können.
Großverbraucher werden die Gashilfe nur so lange bekommen, wie ihr Betriebsgewinn tatsächlich deutlich sinkt – nämlich um mindestens 40 Prozent. Solche Unternehmen, die bislang Verluste schreiben, sollen nicht allein durch die Subvention in die Gewinnzone kommen.
Das stellt sicher, dass die Empfänger tatsächlich unter den hohen Energiekosten leiden – und nicht etwa die Kosten über oft bereits erfolgte Preiserhöhungen für Chemieprodukte einfach an ihre jeweiligen Kunden durchreichen können.
Im Umkehrschluss bedeutet das: Unternehmen, die trotz der hohen Gaspreise keinen großen Gewinneinbruch verzeichnen, müssen Staatsgeld zurückzahlen – und dafür Geld bereithalten, also eine Rücklage bilden.
Das ist richtig so: Falls der VCI bezüglich der Schwere der Lage übertreibt – und da wäre er momentan keine Ausnahme unter den Lobby-Verbänden – erhält der Staat dank der EU-Vorgaben Geld zurück, das sonst als Mitnahmeeffekt an brummende Unternehmen geflossen wäre. Die Regelung ist also im Sinne der Steuerzahler.
Chemie kritisiert Regeln gegen Mitnahmeeffekte
Die Branchen-Kritik trifft weitere Regeln, die Mitnahmeeffekte verhindern sollen. Diese Auflagen schützen Politik und berechtigte Subventionsempfänger auch davor, dass in den kommenden Monaten üble Schlagzeilen die Hilfen delegitimieren.
Denn die Regeln schreiben vor, dass Unternehmen, die Gaspreishilfen erhalten, ihren Managern keine freiwilligen Boni ausschütten dürfen und das Geld auch nicht als Dividende an die Aktionäre fließt.
Dass die Branche dagegen Sturm läuft, spricht Bände: Offenbar geht es ihr nicht allein, wie behauptet, um das Verhindern von Deindustrialisierung, sondern auch um die gewohnten Auszahlungen, die nun eben mit Steuergeld abgesichert werden sollen.
Zuletzt kritisierte die Branche die Obergrenze von 150 Millionen Euro Beihilfe je Unternehmen. Für Großverbraucher ist das tatsächlich relativ wenig. Allerdings besteht die Möglichkeit, für mehr Geld individuelle Anträge nach Brüssel zu schicken.
Das scheuen die Unternehmen, weil das mehr Auflagen bedeutet – etwa zur Beschäftigungssicherung. Allerdings: Geht es wie vom VCI behauptet tatsächlich um das Abwenden von finanziellen Katastrophen, dürften Auflagen kein Hindernis sein.
Der Kurs, zu dem Brüssel die Bundesregierung zwingt, ist konsequent. Der Staat kann sich nicht allein auf die Warnungen aus der Branche verlassen, denn diese waren in den vergangenen Jahren etwa bei EU-Auflagen zu Chemikalien oft nachweislich völlig überzogen.
Geld der Steuerzahler darf nicht in Dividenden fließen
Aktuell steckt der Steuerzahler sehr viel Geld in die Gaspreisbremse, um die Industrie zu entlasten. Er darf erwarten, dass das Geld nicht in Gewinnausschüttungen fließt. Er darf auch maßvolle Auflagen etwa zur Beschäftigungssicherung stellen. Denn eine soziale Marktwirtschaft ist kein Vollkasko-System.
In den vergangenen Jahren hat die deutsche Chemiebranche das billige Gas aus Russland nur zu gern bezogen – und dabei selbst versäumt, alternative Gasversorger zur Absicherung heranzuziehen. Dennoch springt in der aktuellen Krise der Staat ein, der dazu nicht verpflichtet ist.
Denn die hohen Energiepreise sind diesmal nicht direkt von Berlin oder Brüssel verursacht. Deutschland hat die Gasverträge mit Russland nicht gekündigt, vielmehr war es Russland, das die Lieferung eingestellt hat.
Den Chemie-Managern stünde also angesichts der hohen Summen, die sie vom deutschen Steuerzahler erhalten, ein wenig Demut gut zu Gesicht. Spott jedenfalls ist völlig fehl am Platz.
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