Vielen Gerichten und Staatsanwaltschaften fehlen Kapazitäten für die Bearbeitung großer Wirtschaftsstrafsachen wie des Wirecard-Falls. Sven Rebehn, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbunds, sieht dringenden Handlungsbedarf.
WELT: Herr Rebehn, ist der Staat für eine Verfolgung von Wirtschaftskriminalität gerüstet?
Sven Rebehn: Während große Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Wirtschaftskriminalität gut aufgestellt und hoch spezialisiert sind, ist das flächendeckend nicht überall der Fall. Gerade kleinere Staatsanwaltschaften stoßen bei komplexen Wirtschaftsstrafsachen an ihre Grenzen. Das Problem stellt sich ähnlich bei den Gerichten. In kleineren Gerichten führen gemischte Dezernate dazu, dass komplexe Wirtschaftsstrafsachen länger liegen bleiben, weil sie durch vorrangige Haftsachen aus anderen Deliktsbereichen verdrängt werden. Bezogen auf alle Bereiche der Strafverfolgung, fehlen den Staatsanwaltschaften und Strafgerichten mehr als 1000 Stellen.
WELT: Woran fehlt es vor allem?
Rebehn: Die technische Ausstattung muss flächendeckend noch besser werden, um Verfahren wegen Wirtschaftskriminalität effektiver bearbeiten zu können. Sichergestellte Datenvolumen im Petabyte-Bereich sprengen die Auswertekapazitäten vieler Ermittlungsbehörden. Spezialisierte Anwaltskanzleien können häufig nicht nur mehr Personal hinzuziehen, sie können vor allem auf die beste IT zurückgreifen. Intelligente Auswertesoftware, die regelmäßig von Kanzleien eingesetzt wird, steht den Ermittlungsbehörden nicht überall zur Verfügung.
Die Datenaufarbeitung und Datenauswertung ist in vielen Fällen der Flaschenhals. Deshalb sind Bund und Länder gemeinsam gefordert, deutlich mehr in die IT-Infrastruktur zu investieren und die Ermittlungsbehörden personell zu verstärken. Es braucht eine breit angelegte Investitionsoffensive, um die Justiz auf die Höhe ihrer gewachsenen Aufgaben zu bringen.
WELT: Können Sie bei den Gehältern mit den Wirtschaftskanzleien denn mithalten?
Rebehn: Die Besoldung eines Berufseinsteigers in der Justiz liegt im bundesweiten Schnitt bei etwa 55.000 Euro brutto pro Jahr. Vergleichbar qualifizierte Juristen in Großkanzleien erhielten einer Vergütungsstudie zufolge schon vor fünf Jahren ein durchschnittliches Gehalt von 118.000 Euro auf der ersten Karrierestufe, Juniorpartner verdienen im Schnitt 179.000 Euro. In den vergangenen Jahren hat die Justiz im Gehaltsvergleich mit Unternehmen und großen Anwaltskanzleien weiter an Boden verloren.