Es ist mit Abstand Deutschlands größter Verein, mit Strukturen, von denen die meisten Beitragszahler nichts ahnen dürften – der Allgemeine Deutsche Automobil-Club, kurz ADAC. Ende 2022 zählte der ADAC 21,4 Millionen Mitglieder, erneut ein Rekordwert.
Für die Verantwortlichen in der Zentrale des ADAC in München ist damit längst noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Nach netto gut 190.000 neuen Mitgliedern 2022 dürften in diesem Jahr „mindestens weitere 200.000“ hinzukommen, sagt Vereins-Vorstand Dieter Nirschl.
Das wären dann mehr als 21,6 Millionen ADAC-Mitglieder. Zum Vergleich: Der ADAC hätte dann rund dreimal so viele Vereinsmitglieder wie der DFB (Deutscher Fußball-Bund) und wird in diesem Jahr vermutlich sogar die Zahl der Katholiken in Deutschland übertreffen. Die katholische Kirche meldete zuletzt für 2021 rund 21,6 Millionen Mitglieder, jedoch bei stark fallender Tendenz.
Hinter dem ADAC-Zuwachs stehen gewaltige Zahlen. So wurden im vergangenen Jahr 1,2 Millionen neue Mitglieder gewonnen. Nur auf diese Weise konnte das Ausscheiden von rund einer Million Beitragszahlern, etwa durch Tod oder Kündigung, ausgeglichen werden.
Zu den Besonderheiten gehört, dass es Ende 2022 sogar gut 1100 Mitglieder im Alter von über 100 Jahren gab und gut 270.000 18-jährige. Das Durchschnittsalter beträgt 52 Jahre, das Durchschnittseintrittsalter 34.
„Kümmerer“ für alles
Seit Jahrzehnten wächst der ADAC – bis auf zwei Ausnahmen. 2014 gab es einen Dämpfer nach dem Skandal um gefälschte Angaben beim Autopreis „Gelber Engel“ und Verfehlungen in der ADAC-Organisation. Minimal rückläufig war die Mitgliederzahl auch 2020 durch die Corona-Pandemie sowie eine rund zehnprozentige Beitragserhöhung.
Nach dem Ende der Corona-Auflagen wird jetzt wieder mehr gefahren und verreist. Damit werden auch wieder mehr Aufnahmeanträge unterschrieben und Beiträge bezahlt. Der ADAC erklärt das Plus auch mit seinem erweiterten Leistungs- und Hilfeangebot.
Es geht nicht mehr ausschließlich darum, dass sich die als „Gelbe Engel“ bezeichneten Straßenwachtfahrzeuge um Autobatterien kümmern. Inzwischen werden bundesweit auch Fahrradpannen behoben. Demnächst kommt ein bundesweiter Schlüssel-Notdienst.
Die Palette reicht bis zu Angeboten für Elektroautos, -Fahrräder, Photovoltaikanlagen oder Pflege-Hilfe-Apps. „Hilfe, Rat und Schutz“ werde umfassender als früher definiert, heißt es werbewirksam. Neben dem Traditionsbereich Mobilität stehen inzwischen auch Haus und Gesundheit in der Satzung.
In der Corona-Krise wurden die Reisebestimmungen teilweise häufiger online beim ADAC abgefragt als auf Internet-Seiten der Bundesregierung. „Wir werden als Kümmerer wahrgenommen“, lautet eine Erklärung. Dieses Image nutzt der ADAC zur Erweiterung seines Geschäftsmodells.
Aufspaltung im Jahr 2016 in drei Säulen
Dabei ist von den Grabenkämpfen zwischen der Zentrale in München und den Regionalvereinen nur noch wenig zu hören. Auslöser war die ADAC-Neuaufstellung nach seiner schweren Krise und der Aufspaltung im Jahr 2016 in drei Säulen (Verein, Wirtschaftsaktivitäten, Stiftung). Damit wurde der steuersparende Idealverein bewahrt und das kommerzielle Geschäft ausgegliedert.
Einige der Protagonisten, wie der langjährige ADAC-Präsident August Markl als Verfechter des neuen Modells und sein Widersacher Peter Meyer vom größten ADAC-Regionalclub Nordrhein in Düsseldorf sind inzwischen in Ruhestand.
Eine Altersgrenze von 70 Jahren zwingt Verantwortliche zum Abtreten und sorgt für frischen Wind. Seit zwei Jahren steht der neue ADAC-Präsident Christian Reinicke an der Spitze. Der Jurist zieht Reformen konsequent durch.
Praktisch unbemerkt von den Mitgliedern spielen sich Verein und Wirtschafts-Aktiengesellschaft inzwischen die Geschäftsideen und Einnahmen zu. Die Angebote der ADAC SE sind für Vereinsmitglieder etwas billiger und animieren so zur Mitgliedschaft.
Die Millionen Beitragszahler zeigen ohnehin kaum Interesse daran, was sich intern in dem Verein der Vereine (Zentrale plus 18 Regionalvereine) sowie dem Wirtschaftskonzern abspielt. Ihre Wünsche sollen Delegierte wahrnehmen, wie bei der ADAC-Hauptversammlung am kommenden Wochenende in Bonn. Der einst von motorsportbegeisterten Männern geprägte Verein ist vielfältiger geworden.
Nach wie vor gibt es die Autofraktion, die gegen ein Tempolimit ist. Doch die Stimmung ist gekippt. Mit 52 Prozent (2022) spricht sich inzwischen eine knappe Mehrheit der Mitglieder für eine generelle Geschwindigkeitsbeschränkung aus.
2014 betrug die Quote erst 34 Prozent. Für den ADAC ist das Reizthema eine Gratwanderung. Weil auch die Bevölkerung in der Frage gespalten ist, hält es der ADAC inzwischen offiziell für unangemessen, sich für die eine oder andere Seite zu positionieren.
Verein versteht sich nicht mehr nur als Auto-Lobby-Club
So versucht der ADAC mit Kompromissformeln, ohne anzuecken, neue Mitglieder zu finden. Der Verein versteht sich nicht mehr nur als Auto-Lobby-Club, sondern plädiert für „attraktive, komfortable und individuell zugeschnittene Mobilitätsoptionen“. Nicht ausschließlich für E-Autos, sondern technologieoffen, heißt es jetzt.
Dabei steckt hinter dem gelben ADAC-Markenlogo ein gewaltiges, kapitalkräftiges Wirtschaftsgeflecht. Neben dem Hilfe-Dachverein samt Regionalvereinen gibt es den kommerziellen Wirtschaftskonzern ADAC SE, mit dem Verein als Großaktionär. Aus Mitgliedsbeiträgen und internen Verrechnungen kassierte der Dachverein 2021 fast eine Milliarde Euro, bei Finanzanlagen von gut 2,3 Milliarden Euro.
Für über Erwarten gute Einnahmen sorgt die neue Premiummitgliedschaft ab 139 Euro jährlich. Sie bietet weltweiten Schutz bis zur telemedizinischen Hilfe im Ausland. Im Verein sind die „Gelben Engel“ als Pannenhelfer angesiedelt.
Der getrennt operierende ADAC-Wirtschaftskonzern kommt ebenfalls auf rund eine Milliarde Euro Umsatz. 80 Prozent entfallen auf das Versicherungsgeschäft, vor allem für das Auto. Dabei kooperiert der ADAC mit der Allianz und will künftig auch einen Schutzbrief für das Zuhause mit einer Hausratversicherung anbieten.
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