Sunday, May 5, 2024

Klimaziele erreichen: In der Zukunft ist die Müllverbrennung CO2-neutral – WELT

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Die Zukunft der Müllverbrennung in Deutschland steckt in zwei Überseecontainern. Die stehen derzeit aufeinandergestapelt neben den großen Schornsteinen der Müllverbrennungsanlage (MVA) von EEW Energy from Waste am Stadtrand von Hannover. Verpackt ist darin ein Wirrwarr aus Technik, Leitungen und Messgeräten. Zudem ragen sieben jeweils 20 Meter lange Rohre aus dem Containerdach.

Eins davon ist verbunden mit der Abluftanlage der MVA. Die bläst jährlich fast 200.000 Tonnen klimaschädliches CO2 in die Luft als zwangsläufige Folge der notwendigen Verbrennung von Hausmüll und Sperrmüll aus der Region. Das aber passt künftig nicht mehr zu den Umweltzielen der EU, von Deutschland – und auch von EEW. Spätestens 2030 will der hierzulande größte Betreiber von Müllverbrennungsanlagen klimaneutral wirtschaften.

Um das zu schaffen, testet EEW nun ein Verfahren zur CO₂-Abscheidung. Projektpartner ist der norwegische Technologieanbieter Capsol. Von ihm stammen die beiden Schiffscontainer in Hannover. Durch die darin verbaute Demonstrationsanlage strömen derzeit täglich ein bis zwei Tonnen Rauchgas aus den MVA-Schloten.

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Erdgas und CO₂

Dieses Gas wird zunächst abgekühlt und dann in einen sogenannten Absorber geleitet. Dort bindet unter hohem Druck eine Aminlösung das enthaltene CO₂ und trennt es damit von den restlichen Abgas-Bestandteilen. Die mit dem Kohlendioxid angereicherte Lösung fließt dann weiter in einen Desorber.

Darin wird das Gemisch erhitzt und das CO₂ als Gas wieder ausgetrieben. Die Aminlösung geht anschließend zurück in den Absorber, um in einem Kreislauf immer wieder neu Kohlendioxid zu binden. Das abgeschiedene CO₂ wiederum kann wahlweise aufbereitet und dann verkauft werden an Kunden aus zum Beispiel der Chemieindustrie oder an die Hersteller von alternativen Treibstoffen. Oder aber es wird in unterirdische Lagerstätten gepresst.

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Einstiegschance

Carbon Capture and Utilisation (CCU) oder Carbon Capture and Storage (CCS) – also Nutzung oder Lagerung von CO₂ –heißen die beiden Varianten in der Fachsprache. Für die Deponierung bietet sich dabei Norwegen offensiv als Partner an. Seit 1996 schon wird in dem skandinavischen Land CO₂ in alten Öl- und Gas-Lagerstätten unter dem Meeresboden eingelagert.

„Die Technik ist erprobt und sicher, das haben wir bewiesen“, sagt Norwegens Energieminister Terje Aasland am Rande der weltgrößten Industrieschau Hannover Messe. Nun will er daraus ein Geschäftsmodell machen. Sein Land habe Lagerkapazitäten für rund 80 Milliarden Tonnen. „Das entspricht rund 1600 Jahren der norwegischen CO₂-Emissionen auf heutigem Niveau.“ Genug, um die Möglichkeit anderen Ländern Europas zur Verfügung stellen, vor allem Deutschland. Eine erste Pipeline durch die Nordsee sei bereits geplant.

Auch die Grünen sind für das Verfahren

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zeigt sich aufgeschlossen. „Es ist besser, CO₂ im Boden zu haben als in der Atmosphäre“, lautet das Credo des Grünen-Politikers. Die Bundesregierung vollzieht damit einen Meinungsumschwung. „Wir waren skeptisch gegenüber CCS“, gibt Habeck zu. „Aber das haben wir überwunden.“ Dank der Erfahrungen in Norwegen wisse man inzwischen, dass die Technik sicher ist.

Und für die deutschen Klimaziele notwendig, angesichts eines Industrieanteils von rund 20 Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Zwar hat die Transformation in Richtung einer emissionsfreien Produktion längst begonnen, etwa in der CO₂-intensiven Stahlindustrie. Dort sollen in Zukunft mit Wasserstoff betriebene Direktreduktionsanlagen die klassische Stahlerzeugung mit Koks und Kohle im Hochofen ersetzen.

Das reduziert den Kohlendioxidausstoß auf einen Bruchteil. „Wir wissen aber, dass es einige Bereiche der Industrie gibt, die schwer zu dekarbonisieren sind“, sagt Habeck und verweist unter anderem auf die Kalk- und die Zementindustrie.

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Historischer Wendepunkt

Aber auch die Müllverbrennung gehört zu denjenigen Wirtschaftszweigen, in denen sogenannte „unvermeidbare Emissionen“ entstehen. Denn diejenigen Abfälle, für die es keine besseren Verwertungswege wie etwa Recycling gibt, müssen hierzulande verbrannt werden. Also entstehen zwingend CO₂-Emissionen in den entsprechenden Anlagen. Auch das Umweltbundesamt (UBA) empfiehlt daher in einem Positionspapier aus dem Herbst 2023, CCS in der Abfallwirtschaft zu testen.

Entsprechende Versuche dürften aber nicht nur mit den Klimazielen zusammenhängen. Handlungsdruck ergibt sich auch durch die Einbindung der Müllverbrennung in die CO₂-Bepreisung nach dem Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG). Dadurch müssen die privaten und kommunalen Anlagenbetreiber nun für jede ausgestoßene Tonne Kohlendioxid Zertifikate kaufen, die zum Start 35 Euro kosten und dann jährlich im Preis steigen sollen.

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Energiewende

Jede Tonne CO₂, die nicht durch den Schornstein geht, ist damit bares Geld wert für die Anlagenbetreiber. Gleichzeitig sieht Branchenriese EEW auch Chancen durch die neue Technologie. „Kohlenstoff hat in Zukunft einen Wert, dafür gibt es Käufer, zum Beispiel in der Chemieindustrie“, ist Timo Poppe überzeugt, der Vorsitzende der Geschäftsführung des Unternehmens aus Helmstedt in Niedersachsen.

Rund fünf Millionen Tonnen CO₂ emittiert EEW jährlich in seinen bundesweit 15 Müllverbrennungsanlagen. Damit gehört der Branchenführer zu den größten CO₂-Emittenten überhaupt in Deutschland.

Ludwigshafen verklagt den Bund

Die entsprechende Umrüstung der Anlagen kostet allerdings viel Geld, die Rede ist von einem dreistelligen Millionenbetrag – und zwar pro Standort. „Das muss man sich leisten können und es muss sich wirtschaftlich rechnen“, sagt Poppe im WELT-Gespräch und gibt zu bedenken, dass Vorhaben dieser Größenordnung sowohl kurzfristig als auch flächendeckend kaum zu realisieren sind. Das gelte erst recht für die kommunalen Anlagenbetreiber angesichts leerer Kassen.

Dort ist der Aufschrei ohnehin schon groß wegen der Einbeziehung der Müllverbrennung in den Emissionshandel. Das Gemeinschafts-Müllheizkraftwerk Ludwigshafen (GML) hat sogar eine Musterklage gegen die Bundesrepublik eingereicht. „Wer die Abfallverbrennung mit einer CO₂-Bepreisung versieht, der hat nicht verstanden, wie Klimaschutz und Abfallvermeidung funktionieren“, sagt GML-Geschäftsführer Thomas Grommes. Beim Verbrennen und damit am Ende der Wertschöpfungskette anzusetzen, sei jedenfalls der falsche Weg.

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Rheinenergie-Chef

Auch Poppe sieht keinerlei Lenkungswirkung. „Indem CO₂ teurer wird, soll der Verbrauch klimaschädlicher Stoffe reduziert werden. Was bei Benzin oder Gas unmittelbar einleuchtend ist, funktioniert beim Müll aber überhaupt nicht. Denn wir als Anlagenbetreiber können die Höhe des Müllaufkommens doch gar nicht beeinflussen. Wir sind nicht die Verursacher.“

Noch dazu ergebe sich ein weiterer Widerspruch, meint Poppe. Denn Müllverbrennungsanlagen seien wichtige Produzenten von sowohl Dampf und Strom als auch von Fernwärme, die bekanntlich als elementarer Teil der Wärmewende gesehen werde.

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„In Hannover zum Beispiel stammt rund ein Viertel der genutzten Fernwärme in der Region aus unserer Anlage. Da ist es paradox, die Erzeugung mit einem CO₂-Preis zu belasten. Zumal sie von einer Anlage stammt, die ohnehin laufen muss, weil sie für Entsorgungssicherheit und Siedlungshygiene sorgen muss. Wenn Müllverbrennungsanlagen ihre Arbeit einstellen, bricht in drei Wochen der Notstand auf Deutschlands Straßen aus.“

Wie es bei EEW nun weitergeht mit dem Thema CO₂-Abscheidung, hängt aber nicht nur am Geld. Mitentscheidend sind auch die Ergebnisse der aktuellen Testphase in Hannover. Die Demonstrationsanlage „CapsolGo“ sammelt über einen Zeitraum von sechs Monaten in den zwei Überseecontainern jeden Tag Daten, die im Anschluss ausgewertet werden.

Dieser Artikel ist im Rahmen der BETTER FUTURE EARTH WEEK von WELT erschienen.

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