Jetzt sollen die Deutschen die Corona-Pandemie selbst aufarbeiten. Was zunächst nach einem Witz klingt, wird in der Ampel-Regierung ernsthaft erwogen.
So schlug SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich vergangene Woche das Einsetzen eines Bürgerrats vor, in dem zufällig ausgewählte Menschen „ihre Erfahrungen mit der Pandemie schildern“ und daraus Empfehlungen für die Zukunft entwickeln. Die Ergebnisse sollen anschließend in einer nicht näher benannten Kommission weiter diskutiert werden. Grüne und FDP zeigten sich für die Idee grundsätzlich offen.
Der Vorschlag ist eine Frechheit. Statt die Pandemie-Politik systematisch mit Wissenschaftlern im Parlament aufzuarbeiten, soll diese komplexe Aufgabe kurzerhand an eine kleine Gruppe Bürger delegiert werden. Diese müsste dann auf Grundlage persönlicher Anekdoten bewerten, welche Maßnahmen wann verhältnismäßig gewesen sind. Eine schlicht absurde Idee, die zeigt, wie sehr die SPD eine ernsthafte Aufarbeitung fürchtet und versucht, jegliche Verantwortung von sich zu schieben.
Die Ampel-Koalition hat bereits im vergangenen Jahr einen Bürgerrat eingesetzt, bewusst entschied man sich für das harmlose Thema Ernährung. Nach fünf Monaten Arbeit präsentierte das Gremium seine wichtigste Forderung: kostenloses Mittagessen in Schulen und Kitas.
Die Ampel-Koalitionäre bedankten sich überschwänglich für das Engagement der Teilnehmer. Später erklärten sie, dass das kostenlose Mittagessen weder in die Zuständigkeit des Bundes falle noch finanzierbar sei.
Parlamentarische Aufarbeitung statt Alibiveranstaltung
Zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie soll nun wieder ein Bürgerrat eingesetzt werden, auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) unterstützt den Vorschlag. Gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ machte er vor wenigen Tagen klar, welches Ergebnis er erwartet: Bei dem Bürgerrat werde sich noch einmal zeigen, so Lauterbach, wie groß die Zustimmung während der Pandemie gewesen sei. Ein Satz, der an Ignoranz kaum zu übertreffen ist.
Statt einer symbolischen Alibiveranstaltung muss die Ampel dafür sorgen, dass die Aufarbeitung im Parlament stattfindet. Sicherlich wird diese Aufgabe nicht einfach. Bis heute streiten Wissenschaftler über die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen, die Fronten sind verhärtet. Impfkritiker wollen hören, dass sie mit ihrer Skepsis recht hatten, Lockdown-Befürworter die Gewissheit, dass Leben gerettet worden sind.
Am Ende wird eine Aufarbeitung, egal in welcher Form, niemandem ganz gerecht werden können. Und trotzdem ist sie absolut notwendig. Um zu zeigen, dass die Politik die Wunden, die die Pandemie in der Bevölkerung hinterlassen hat, ernst nimmt. Dass sie bereit ist, Fehler einzugestehen.
Doch dazu, so scheint es, fehlt der Ampel die Größe.