Sunday, May 5, 2024

Natur in der Ukraine: Das vergessene Opfer des Krieges

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Seit zwei Jahren kämpft Andrii Plyha an der Front gegen die russischen Invasoren. Er kennt die verheerenden Wirkungen von Artilleriefeuer und Drohnenangriffen: das Leid und den Schmerz seiner verwundeten und sterbenden Kameraden, die zerschossenen Häuser und aufgerissenen Straßen.

Und er sieht, wie Bomben und Granaten die Natur um ihn herum in eine trostlose Mondlandschaft verwandeln. „Das Ausmaß der Zerstörung kann sich niemand vorstellen“, schreibt der 34-Jährige in einer Mail an WELT. Das zeige ihm, wie verletzlich die Natur doch sei und wie naiv und zwecklos die Bemühungen waren, sie zu schützen.

Plyha ist Ornithologe. Bis zum Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 arbeitete er für die Umweltorganisation WWF. Rund zehn Prozent der ukrainischen Landesfläche stehen unter besonderem Schutz. Bären, Wölfe und Luchse streifen durch uralte Wälder. Kleinere Flüsse wie die Desna, ein Nebenfluss des Dnipro, sind noch relativ naturnah. Die Landwirtschaft profitiert von der außergewöhnlich fruchtbaren Schwarzerde.

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Vince Ebert

WWF-Naturschützerin Ganna Lobchenko erlebte den Beginn des Krieges in der Nähe von Butscha. Die Kiefernwälder in der Umgebung, wo die Menschen früher Beeren pflückten oder Pilze sammelten, können nach den Kämpfen nicht mehr betreten werden. Zu groß ist die Gefahr durch nicht explodierte Munition. „Ich habe die Verwüstungen mit eigenen Augen gesehen“, erklärt Lobchenko WELT. Ein trauriger Anblick, der längst zu ihrem Alltag gehört.

Solange der Krieg andauert, geht es für die Menschen natürlich zuallererst ums Überleben: Verletzte müssen versorgt, zerstörte Stromnetze repariert und beschädigte Trinkwasserleitungen instandgesetzt werden. Ausgebombte Familien brauchen ein Dach über dem Kopf. Wenn die Menschen frieren, interessiert es sie nicht, wie schützenswert ein Wald ist. Dann werden Bäume gefällt, um ein wärmendes Feuer zu machen.

Erst wenn die Waffen schweigen, mag es angemessen erscheinen, sich um die Natur zu kümmern. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) warnt, dass es lange dauern werde, bis sich Natur und Umwelt von den Zerstörungen erholt haben. „Das Ausmaß der Umweltfolgen des Krieges wird sich noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte auswirken. Wenn die natürlichen Lebensgrundlagen zerstört oder gefährdet sind, wird das Leid der Menschen zusätzlich verstärkt“, sagte Lemke WELT.

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Kriegsfolgen

„Sauberes Wasser und intakte Böden sind für die Gesundheit der Menschen vor Ort und ihre Versorgung unerlässlich“, so Lemke weiter. Deshalb unterstütze Deutschland die Ukraine mit akuten Hilfeleistungen, etwa beim Wasser- und Abwassermanagement. Lemke fordert, mit weiteren Maßnahmen nicht bis zum Ende des Krieges zu warten: Bei der internationalen Unterstützung für den Wiederaufbau müssten schon jetzt auch Klima- und Umweltaspekte einen „hohen Stellenwert“ bekommen.

Vor allem die Böden werden durch die Kampfhandlungen in Mitleidenschaft gezogen. Aus zerborstenen Panzern laufen Schmieröle und Treibstoffe aus, die das Erdreich vergiften und über kurz oder lang ins Grundwasser sickern. Wo das Gelände zudem vermint ist, kann es auf absehbare Zeit ohnehin nicht betreten, geschweige denn landwirtschaftlich genutzt werden. Das Kiewer Umweltministerium hat eine App eingerichtet, über die Schäden in der Natur gemeldet werden können.

Tiefe Krater überziehen weite Landstriche entlang der Front und machen das Gelände zu wertlosem Niemandsland. Und es ist nicht absehbar, dass sich daran schnell etwas ändern könnte. Auf den großen Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs bei Verdun oder an der Somme haben Millionen Geschosse bis heute ihre Spuren hinterlassen. Der Boden ist tiefgründig durcheinander gewühlt und für immer verändert.

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Ukraine-Krieg

Das UN-Umweltprogramm (Unep) spricht von der Natur als dem „vergessenen Opfer“ des Krieges. In einem Report („Rapid Review“) hat Unep im Herbst 2022 kriegsbedingte Schäden auch aus anderen Krisenregionen aufgelistet. So wurden im ersten Golfkrieg 1991 in Kuwait mehrere hundert Ölquellen in Brand gesetzt. Hunderttausende Kubikmeter Ruß und andere Schadstoffe gelangten in die Atmosphäre und waren noch tausende Kilometer entfernt nachweisbar.

In beiden Golfkriegen, in Bosnien-Herzegowina, in Serbien, Montenegro und im Kosovo wurde Uranmunition verschossen. Die dabei freigesetzte Alphastrahlung kann die Haut des Menschen zwar nicht durchdringen. Werden aber strahlende Partikel eingeatmet oder mit der Nahrung aufgenommen, können sie Nieren- oder Leberschäden verursachen. Es ist unklar, ob diese Munition auch im Ukraine-Krieg eingesetzt wird.

Über die Ukraine werden in dem Report unter anderem Angriffe auf verschiedene Fabriken erwähnt, bei denen ätzendes Ammoniak entweichen konnte. Auch Raffinerien, Tanklager und eine Sondermülldeponie wurden getroffen und setzten Schadstoffe frei. Schutt und Trümmer zerstörter Gebäude können mit Asbest belastet sein und müssen entsprechend entsorgt werden.

Viele Bienenvölker wurden zerstört

Die Landwirtschaft ist dem Bericht zufolge besonders in Mitleidenschaft gezogen. Vor dem Krieg war die Ukraine nicht nur ein wichtiger Weizen-Exporteur, sondern auch einer der größten Honigproduzenten weltweit. Viele Bienenvölker wurden zerstört, und wo kriegsbedingt etwa weniger Raps angebaut wird, finden die Insekten weniger Nahrung.

Um Natur und Umwelt wirksam regenerieren zu können, ist es notwendig, die Schäden zu erfassen. Die Ukrainerin Oleksandra Shumilova, die derzeit in Berlin am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei arbeitet, untersucht mit Kollegen aus Kiew, Odessa und Mykolajiw welche Folgen die Zerstörung des Kachowka-Staudamms am Unterlauf des Dnipro hat. Das Sammeln von Proben ist aufgrund des anhaltenden Konflikts gefährlich und derzeit nur in begrenzten Gebieten möglich.

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Im Juni 2023 war die Staumauer gebrochen. Die plötzlich ausströmenden Wassermassen hatten mit Schwermetallen belastetes Sediment mitgerissen und rund 600 Quadratkilometer überflutet – Wohngebiete, Industrieanlagen, Ackerland. Eine humanitäre und wirtschaftliche Katastrophe mit schwerwiegenden Folgen für Mensch und Natur. Shumilova schätzt: „Die langfristigen Ausmaße des Schadens sind vergleichbar mit der Atomkatastrophe von Tschernobyl.“

Nun stand die Ukraine auch schon vor dem Krieg vor ökologischen Problemen. Intensive Landwirtschaft ging zulasten von Lebensräumen für Pflanzen und Tiere. Nur etwa 15 Prozent der Landesfläche waren noch bewaldet, was die Erosion der Böden begünstigte. Aber es gab auch erfolgreiche Anstrengungen, zum Beispiel um den Ausstoß von klimarelevantem Kohlendioxid zu reduzieren.

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Nataliia Miroshnyk vom Kiewer Forschungsinstitut für Ökologie fürchtet, dass nicht nur die Ukraine, sondern ganz Europa beim Bemühen um Nachhaltigkeit um Jahrzehnte zurückgeworfen wird. „Der Krieg in der Ukraine hat Folgen für die Umwelt weltweit“, so Miroshnyk gegenüber WELT. Auch deshalb soll bei der nächsten Ukraine Recovery Conference zum langfristigen Wiederaufbau der Ukraine am 11. und 12. Juni in Berlin das Thema Umwelt eine wichtige Rolle spielen.

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