Saturday, May 18, 2024

Jan Ullrich: Das Geständnis – Doping und Exzesse

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Jan Ullrich hat erstmals über jahrelanges Doping im Team Telekom gesprochen und den Griff zu verbotenen Substanzen mit fehlender Chancengleichheit begründet. „Ohne nachzuhelfen, so war damals die weitverbreitete Wahrnehmung, wäre das so, als würdest du nur mit einem Messer bewaffnet zu einer Schießerei gehen“, sagte der 49-Jährige dem „Stern“. Nachdem er 1995 zum damaligen deutschen Top-Rennstall gekommen war, habe er „ziemlich schnell gelernt, dass Doping weitverbreitet war“. 1997 gewann Ullrich als bisher einziger Deutscher die Tour de France.

Mit der Argumentation der Chancengleichheit wollte er 2006, nachdem er vom Team wegen Verbindungen zum spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes suspendiert worden war, allerdings nicht an die Öffentlichkeit gehen. „Ich wollte kein Verräter sein. Ich wollte auch nicht mit Halbwahrheiten raus und schon gar nicht mit der ganzen Wahrheit“, sagte Ullrich und begründete es mit juristischen Zwängen. „Da hingen Existenzen dran, Familien, Freunde. Die Anwälte haben mir gesagt: Entweder du gehst raus und reißt alles ein, oder du sagst gar nichts.“

Für den Satz „Ich habe gedopt“ habe ihm in der Vergangenheit die Kraft gefehlt. Er kommt ihm auch in dem „Stern“-Interview nicht über die Lippen. Ullrich redet über Doping ohne explizites Geständnis. Dieses könnte allerdings in der Amazon-Dokumentation „Jan Ullrich – Der Gejagte“ folgen, die am 28. November erscheint.

Jan Ullrich Anfang September dieses Jahres vor einem Auftritt beim Streaming Anbieter Amazon Prime

Jan Ullrich Anfang September dieses Jahres vor einem Auftritt beim Streaming Anbieter Amazon Prime
Quelle: dpa/Christian Kolbert

Doping war im Radsport Normalität, die Hemmschwelle entsprechend niedrig. „Allgemein überwog die Einstellung: Wenn man das nicht macht – wie will man in einem Rennen bestehen? Dann fährst du im Peloton und weißt, du bist wahrscheinlich einer derjenigen, die nichts drin haben, und deswegen hast du auch null Chancen“, sagte Ullrich.

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Mittlerweile bereut er, sich nicht früher ausführlich über Doping geäußert zu haben. „Aus heutiger Sicht hätte ich reden sollen. Es wäre für einen kurzen Moment sehr hart geworden, aber danach wäre das Leben leichter gewesen“, sagte der gebürtige Rostocker. Es mache jedoch keinen Sinn, dem nachzutrauern.

Strafverfahren verhinderte Geständnis von Ullrich

2007 räumten Fahrer wie Bert Dietz, Christian Henn, Udo Bölts, Rolf Aldag, Erik Zabel und Bjarne Riis Doping öffentlich ein. Ullrich schloss sich seinen Teamkollegen nicht an. „Gegen mich lief damals noch ein Strafverfahren. Meine Anwälte haben mir empfohlen zu schweigen. Ein Rat, den ich befolgt habe, an dessen Folgen ich aber lange gelitten habe“, sagte der Sydney-Olympiasieger.

Ullrich nach dem Tour-Sieg mit dem Zweitplatzierten Richard Virenque of France (links) und Sprint-Sieger Erik Zabel von Ullrichs Team Telekom

Ullrich nach dem Tour-Sieg mit dem Zweitplatzierten Richard Virenque of France (links) und Sprint-Sieger Erik Zabel von Ullrichs Team Telekom
Quelle: Getty Images/Mike Powell

2012 wurde Ullrich vom Internationalen Sportgerichtshof Cas für zwei Jahre gesperrt, diverse Erfolge zwischen 2005 und 2006 wurden ihm aberkannt. Zwischen 2010 und 2020 sorgte Ullrich privat für viele Negativ-Schlagzeilen.

2015 wollte er mit dem Umzug nach Mallorca ein neues Leben beginnen. Es sei „zuallererst eine Flucht vor dem trüben deutschen Winterwetter“ gewesen, erzählte Ullrich. „Aber es hat nicht funktioniert für mich. Im Gegenteil. Am Ende folgte der Absturz – so tief, tiefer ging es nicht“, sagte Ullrich. Aufgrund seiner Alkohol-Eskapaden ging seine damalige Frau Sara mit den drei Kindern zurück nach Deutschland. Dann habe der „Totalabsturz“ begonnen.

Der „Zeit“ sagte er: „Du bist aussortiert – über Nacht. Keine Sau interessiert sich dafür, wie es dir geht. Keiner will mehr was mit dir zu tun haben – weder die Sponsoren noch all die Freunde aus dem Umfeld des Radsports.“ Die Folgen seien gravierend gewesen. „Ich lag praktisch drei Jahre lang nur auf der Couch. Ich hatte viel zu verarbeiten. Und dann habe ich zum Alkohol gegriffen.“ Gut drei Jahre lang habe er ein Rennrad nicht einmal angucken können. „Der Anblick hat zu viel in mir getriggert, ich fing sofort an zu zittern“, sagte Ullrich.

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Im „Stern“ dokumentierte er, ihm habe die Einsamkeit zu schaffen gemacht, als ihn seine Familie verlassen hatte. „Aus Wein wurde Whiskey. Erst eine Flasche am Tag, später bis zu zwei. Es war ein einziges Betäuben“, sagte der gebürtige Rostocker. Seine Finca wurde in der Folge zum „Party-Place“, beichtete Ullrich, „irgendwann brachte einer Kokain mit“ und das „macht dich innerhalb kürzester Zeit vom Menschen zum Monster“. Es sei „ein einziges Betäuben“ gewesen, berichtete er.

Erst als seine Frau Sara damit drohte, dass er seine Kinder nicht mehr sehen dürfe, sei bei ihm Schritt für Schritt die Vernunft wieder zurückgekehrt. Das sei „der einzige Grund“ gewesen, „mich in ärztliche Behandlung zu begeben“, sagte er: „Ich wusste: Ich musste etwas tun, wenn ich sie überhaupt nur wiedersehen wollte.“

Unter anderem mit der Hilfe seines einst größten Rivalen Lance Armstrong kämpfte sich Ullrich aus dem langjährigen Tief und fand den Weg zurück in einen geregelten Alltag. „Es war bisher ein Leben in Extremen. Ich war im Himmel, und ich war in der Hölle. Jetzt bin ich zurück auf der Erde, auf dem Weg in die Mitte. Ich bin wieder hungrig aufs Leben“, sagte Ullrich.

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