Fuchsteufelswild stürmte Henrik Kristoffersen durch den Zielraum von Gurgl, nur mit Mühe konnten Betreuer und Polizisten den Ski-Star aufhalten. Außer sich vor Wut hatte der Norweger jene Klimaaktivisten im Visier, die gerade mit einer Aktion das Finale des Weltcup-Slaloms in den Tiroler Bergen unterbrochen hatten. Viel fehlte nicht, dann wäre Kristoffersen den Protestlern in Gurgl an die Gurgel gegangen. Und schon wieder rückte in diesem bislang vermaledeiten Ski-Winter der Sport in den Hintergrund.
Als Kristoffersen am Samstagnachmittag in Tirol tobte, hatten die Abfahrerinnen in Zermatt-Cervinia den Rennhang unterhalb des mächtigen Matterhorns längst unverrichteter Dinge verlassen. Wie schon beide Männer-Rennen eine Woche zuvor fiel auch der Speed-Auftakt der Frauen dem Wetter zum Opfer: Wegen heftiger Windböen war kein Wettkampf möglich, weder am Samstag noch am Sonntag. „Das ist schon sehr enttäuschend und hart“, sagte OK-Chef Franz Julen.
Horror-Bilanz: Null statt acht Rennen am Matterhorn
Mit spektakulären Abfahrten im Schatten des weltbekannten Berges wollte der Weltverband Fis dem Skisport neuen Schwung bringen – das sogenannte Speed-Opening auf mehr als 3000 Metern Höhe mit Start in der Schweiz und Ziel in Italien wird für den Verband um den umstrittenen Präsidenten Johan Eliasch aber immer mehr zum PR-Desaster. 2022 fiel die Premiere wegen Schneemangels aus, dieses Mal sorgten zu viel Neuschnee und der Wind für die Absagen an den beiden Wochenenden. Insgesamt acht Rennen waren in den zwei Jahren geplant – kein einziges fand statt.
„Wir geben nicht auf“, kündigte Julen trotzig an und verwies auf einen Fünfjahresvertrag bis 2026. Seit langer Zeit fordern diverse Akteure aus der Ski-Welt, die Rennen von Zermatt-Cervinia vom wechselhaften Herbst in das Frühjahr zu verlegen. Keine Chance, stellte Julen klar: Der riesige Aufwand für die Vorbereitungen des Rennens – etwa der Aufbau von Tribünen und Zelten im Hochgebirge – sei mitten in der Saison nicht möglich. Und die Hotels in Zermatt und in Cervinia seien dann voll mit Touristen und hätten keinen Platz für Sportler, Betreuer, Helfer und Journalisten.
Klimaaktivisten stürmen Zielbereich
280 Kilometer nordöstlich konnten die Männer am Samstag nach zuvor drei Absagen ihren ersten Weltcup der Saison durchführen. Der Slalom von Gurgl wird aber vielen nicht wegen des Sports in Erinnerung bleiben – abgesehen vielleicht von den Österreichern, die beim Sieg von Manuel Feller vor Marco Schwarz (+0,23 Sekunden) und Michael Matt (+1,05) einen Dreifach-Erfolg feierten.
Vielmehr erhitzte eine Protestaktion der Klimagruppe „Letzte Generation“ die Gemüter und weckte in Routinier Kristoffersen für einige Augenblicke den Wutbürger. Mehrere Menschen hatten kurz vor Schluss des zweiten Durchgangs den Zielbereich gestürmt, den Schnee mit oranger Farbe beschmiert und Protestbanner hochgehalten. Sicherheitsleute und Polizisten brachten die Aktivisten weg, mindestens eine Person wurde liegend aus dem Ziel gezogen.
Hinter der Absperrung kam es dann zur Konfrontation mit Kristoffersen, der noch in Rennmontur wild und lautstark schimpfte und zu den Aktivisten durchdringen wollte. „Ich bin jemand, der etwas unternimmt, wenn ich Unrecht bemerke“, schrieb der 29-Jährige danach bei Facebook. Der Kampf gegen den Klimawandel müsse unterstützt werden, ergänzte er – aber nicht so: „Mindestens vier Rennfahrern wurde das Rennen heute kaputt gemacht, und das ist eine Ungerechtigkeit in meinen Augen.“
Zum Zeitpunkt der Aktion und der zehnminütigen Unterbrechung standen noch fünf Sportler am Start und mussten warten – bis auf Sieger Feller patzten danach alle und fielen in der Wertung teils weit zurück. Der deutsche Hoffnungsträger Linus Straßer landete wegen Fehlern in beiden Läufen auf Rang neun (+1,56). „Ich habe vor dem Rennen gewusst, dass ich nicht ganz auf dem Level bin, auf dem ich sein möchte, um ganz vorn mitzufahren“, sagte der Münchner im BR Fernsehen. Sebastian Holzmann aus Oberstdorf wurde 15. (+2,05).