Die Inflation hat die deutsche Volkswirtschaft aus der Bahn geworfen. Und die Verbraucher müssen sich an etwas gewöhnen, das die meisten nur aus Erzählungen ihrer Eltern oder Großeltern kennen: stetig steigende Preise, die das verfügbare Einkommen schnell dahinschmelzen lassen.
Aus diesem Grund machen sich 92 Prozent der Deutschen Sorgen über die Inflation, hat eine Studie des Marktforschungsinstituts Appinio ergeben. Die Studie liegt WELT exklusiv vor. Fast 70 Prozent können sich deswegen weniger leisten.
Noch bemerkenswerter ist die Art, wie die Verbraucher darauf reagieren: So haben laut der repräsentativen Umfrage zwei Drittel der rund 6000 befragten Verbraucher ausgesagt, dass sie wegen der Inflation in Zukunft verstärkt auf die Produktqualität achten würden.
Offenbar werden alte Tugenden wiederentdeckt: „Wer billig kauft, kauft zweimal“. Dieser Spruch war noch vor wenigen Jahrzehnten gerade denen geläufig, die es nicht so üppig hatten. Heute zeichnet sich ab, dass diese Qualitätspräferenz bei allen Produktgruppen wieder gelten dürfte – außer bei Lebensmitteln. In der Befragung haben nämlich knapp 86 Prozent der Verbraucher gesagt, dass sie hier zu billigeren Produkten und Marken gewechselt haben.
Und das nicht nur gelegentlich, wie eine Untersuchung der Preisberatung Simon-Kucher& Partners zeigt. Schon fast die Hälfte der für diese Studie 1000 befragten Bundesbürger gibt an, überwiegend oder fast ausschließlich Handelsmarken im Lebensmittelbereich zu kaufen. Bei einkommensschwachen Haushalten liegt dieser Anteil sogar bei 66 Prozent.
Besonders im Fokus stehen dabei Trockenprodukte sowie Obst- und Gemüsekonserven, aber auch Wasch- und Putzmittel sowie Kosmetikartikel. „Angesichts der hohen Inflation und gestiegenen Lebenshaltungskosten schauen mehr Konsumenten auf den Preis und weniger auf Kriterien wie Qualität und Nachhaltigkeit“, sagt Martin Mattes, Partner im Konsumgüterbereich bei Simon-Kucher& Partners.
Damit allerdings bildet der Lebensmittelbereich eine große Ausnahme. Denn in anderen Handelssegmenten wie Mode und Schuhe, Elektrogeräte und Haushaltsprodukte oder Möbel und Mobilität mit etwa Fahrrädern bleiben die Kriterien abseits des Preises dominierend, wie die Appinio-Umfrage zeigt: Bei Möbeln zum Beispiel hat bislang nur jeder sechste Verbraucher Abstriche gemacht und zu günstigeren Marken oder Produkten gegriffen, bei elektronischen Geräten war es fast jeder Fünfte und bei Bekleidung von Schuhen jeder Dritte.
Das kann auch damit zu tun haben, dass die Preise in diesen Produktkategorien noch nicht so stark gestiegen sind. Bei Lebensmitteln haben fast 85 Prozent die Inflation als besonders heftig wahrgenommen. Bei Strom und Gas waren es 77 Prozent, bei Kraftstoff fast 70 Prozent.
Autopreise, Urlaub oder Kleidung wiederum hat ein knappes Drittel der Verbraucher als stark preistreibend wahrgenommen, bei Elektronik war es ein Viertel. Und für Luxusprodukte wie Schmuck und Uhren hat ein Achtel der Befragten merklich Aufpreise registriert.
Dass sich die Deutschen trotz der auf breiter Front steigenden Preise vielfach für Qualität entscheiden, unterstreicht auch eine weitere Umfrage. So achten laut der Beratungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers (PwC) mittlerweile knapp 60 Prozent der 1000 befragten Verbraucher beim Einkaufen verstärkt auf Nachhaltigkeit.
Die Konsumenten würden sich immer häufiger Fragen stellen wie zum Beispiel „Unter welchen Bedingungen werden die Kühe gehalten, deren Milch ich trinke?“ oder „Duldet der Hersteller meines neuen T-Shirts Kinderarbeit?“ und „Geht der Händler meines Vertrauens fair mit Mitarbeitern und Geschäftspartnern um?“.
Dabei gilt: je jünger die Verbraucher, desto höher das entsprechende Bewusstsein. Immerhin 80 Prozent der 16- bis 24-Jährigen informiert sich vor dem Kauf über Umweltaspekte eines Produkts, zeigt die Untersuchung, die WELT exklusiv vorliegt.
Bei den über 65-Jährigen liegt der entsprechende Anteil bei 59 Prozent. „Nachhaltigkeit hat sich in den vergangenen Jahren zum Mainstream entwickelt. Für Unternehmen ist es daher längst ein Muss, in ihren Lieferketten darauf zu achten“, sagt Christian Wulff, der Leiter des Bereichs Handel und Konsumgüter bei PwC.
Mittlerweile gehe es beim Thema Nachhaltigkeit nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie. „Bereits in wenigen Jahren werden Unternehmen begründen müssen, warum sie bei der Herstellung eines Produkts nicht auf Umwelt, soziale Aspekte und gute Unternehmensführung achten“, ist Wulff überzeugt.
Verschiebungen im Einkaufsverhalten lassen sich der PwC-Studie Studie zufolge aber auch schon jetzt sehen, vor allem bei Mode und Schuhen und auch im Lebensmittelbereich. Fast jeder zweite Befragte gibt an, in den vergangenen zwei Jahren bewusst auf nachhaltigere Produkte umgeschwenkt zu sein.
Wer auf Qualität achtet – und dazu gehört nach dem Verständnis der jüngeren Verbraucher eben auch die von Wulff genannten Nachhaltigkeitsaspekte – dürfte deshalb eher auf Werbe- oder Rabattaktionen warten, um das Erwünschte zu kaufen. Und tatsächlich achten der Appinio-Umfrage zufolge fast 80 Prozent der Verbraucher immer oder manchmal auf solche Aktionen.
„Wir bemerken im Einzelhandel, dass vor allem Sonderangebote noch gefragter sind als sonst üblich“, sagt auch Stefan Genth, der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE). „Es wird überlegter eingekauft, Spontan- und Impulskäufe verlieren an Bedeutung.“
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