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Gasdeckel: Die Börse könnte abwandern – und der Deckel wäre nutzlos - WELT - My German Times
Wednesday, December 4, 2024

Gasdeckel: Die Börse könnte abwandern – und der Deckel wäre nutzlos – WELT

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Die Staats- und Regierungschefs waren sich am Donnerstag weitgehend einig, der europäische Gaspreisdeckel kommt. Nur: Ob er überhaupt einen Effekt haben wird, steht noch aus. Denn der wichtigste europäische Gashandelsplatz TTF in den Niederlanden könnte vom Betreiber kurzfristig in die USA oder nach Großbritannien verlegt werden. Dort hätte der Preisdeckel keine Wirksamkeit.

Am Montag sollen die Energieminister der Union noch Details aushandeln, etwa den genauen Maximalpreis, zu dem Gas in Europa noch gehandelt werden darf. Danach soll der Gaspreisdeckel unmittelbar in Kraft treten. Eine Testphase ist nicht vorgesehen.

Der Börsenbetreiber Intercontinental Exchange (ICE) rechnet jedoch mit drastischen Reaktionen der Marktteilnehmer. Der Handel am wichtigsten europäischen Umschlagplatz für Erdgas, der Title Transfer Facility (TTF) in den Niederlanden, könne dann keinen Sinn mehr machen.

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Riskanter Markteingriff

„Den Verbrauchern und der Markt-Infrastruktur wird der Korrekturmechanismus auferlegt, ohne Zeit für robuste Tests oder ein Risikomanagement zu gewähren“, warnt der Börsenbetreiber: „Als Konsequenz liegt es in der Verantwortung von ICE als Marktbetreiber, alle Optionen in Betracht zu ziehen, darunter auch, ob ein effektiver Markt in den Niederlanden überhaupt noch lebensfähig wäre.“

Advertorial Vermögen sichern

Der Börsenbetreiber rechnet damit, dass zahlreiche europäische Gashändler ihre Pflicht zur Hinterlegung von Sicherheitsleistungen im Börsenhandel nicht mehr erfüllen können, wenn der Preisdeckel kommt. Unternehmen wie etwa die deutsche Uniper leiden ohnehin schon unter erheblichen Liquiditätsengpässen, die zuletzt nur noch auf dem Wege der Verstaatlichung geschlossen werden konnten.

Durch den Gaspreisdeckel müssten solche Unternehmen aber bei jedem Börsengeschäft noch mehr Geld als Sicherheit hinterlegen. Die Summen könnten viele Unternehmen jedoch nicht mehr aufbringen, der Handel würde austrocknen.

Alternativ könnten Händler auch vermehrt auf Direktgeschäfte außerhalb der Börse zurückgreifen. Doch ein solcher OTC-Handel („over the counter“) ist volatiler, intransparenter und weniger gut reguliert. Außerdem sind auch hier „Margins“ genannte Sicherheitsleistungen Pflicht, sodass auch OTC-Geschäfte das womöglich wegbrechende europäische Handelsvolumen nicht ausgleichen könnten.

Sicherheitsleistungen könnten zu hoch sein

Die jüngsten Verhandlungen in Brüssel hätten die „besorgniserregenden Folgen für den Gasmarkt und die Bedrohung der finanziellen Stabilität überhaupt nicht adressiert“, kritisiert der Börsenbetreiber ICE: „Tatsächlich haben die neuesten Vorschläge die Auswirkungen noch verschlimmert.“

Denn indem der Preisdeckel vom Frontmonat auf das jeweils bevorstehende Quartal ausgedehnt wurde, verdoppele sich der Bedarf an Sicherheitsleistungen („margins“), die von den Unternehmen zu erbringen sind, auf 47 Milliarden Euro. „Eine solche Erhöhung der Margins könnte den Markt destabilisieren“, warnt ICE.

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Die Kosten des erhöhten Liquiditätsbedarfs würde auf Kunden abgewälzt, zudem würden finanziell überforderte Händler dem Markt auch ganz fernbleiben. Damit sinkt das Angebot und der Preis steigt. „Wir erwarten, dass der Preisdeckel die Preise für europäische Verbraucher nicht senkt, sondern noch erhöht.“

Beim Börsenbetreiber ICE handelt es sich um ein US-amerikanisches Unternehmen mit Sitz in Atlanta, Georgia. ICE-Gründer Jeff Sprecher hatte Waren-Termingeschäfte im Energiebereich, die vor rund 20 Jahren noch physisch und praktisch per Handschlag auf dem Börsenparkett abgewickelt wurden, ins Internet geholt. Nach der Übernahme der International Petroleum Exchange of London dehnte ICE seine Tätigkeit in Europa aus.

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Die Verlagerung von Handelsaktivitäten je nach den rechtlichen Rahmenbedingungen vor Ort ist für Börsenbetreiber nicht völlig ungewöhnlich. So hatte ICE etwa den Handel mit CO₂-Zertifikaten wegen des Brexits aus London abgezogen und in Amsterdam angesiedelt.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte nach den Beratungen der europäischen Staats- und Regierungschefs am Donnerstag noch die Erwartung geäußert, dass der Einsatz des geplanten Preisdeckels nie wirklich notwendig wird. Er werde „so hoch sein, dass ich hoffe, dass er niemals relevant wird“.

Gastanker könnten Europa meiden

Wie die Bundesregierung befürchten unter anderem auch die von Gas stark abhängigen Niederlande, dass Flüssiggas-Tanker künftig Europa nicht mehr ansteuern, wenn der Preisdeckel hier zu niedrig gesetzt wird. Die Sorge ist, dass die LNG-Tanker künftig wieder Kurs auf China nehmen, wenn dort nach dem Ende des Corona-Lockdowns die Wirtschaft wieder anzieht.

Wie niedrig der Gasdeckel angesetzt werden kann, ohne die Gasversorgung Europas zu gefährden, ist unklar. Während der Verhandlungen wurde vorgeschlagen, dass die Preisobergrenze wirken soll, sobald Gas zur Auslieferung im Folgemonat zehn Tage hintereinander zu über 275 Euro pro Megawattstunde gehandelt wird.

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Ein solches Niveau wurde von Kritikern als Witz abgetan, da es immer noch um das 12-fache über dem Vorkrisen-Niveau läge. Zuletzt galt ein Niveau zwischen 180 und 220 Euro als wahrscheinlich. Einige Länder, deren Versorgungssicherheit weniger stark auf Gas basiert, hatten auch schon Maximalpreise von deutlich unter 100 Euro die Megawattstunde gefordert.

Doch das Risiko, dass damit das Gasangebot in Europa zusammenbricht, ist hoch. In einem Memo des Börsenbetreibers ICE an die EU-Kommission heißt es, dass nach ihren Analysen Händler wegen der hohen Schwankungsbreiten bereits im Schnitt 56 Euro unterhalb des erlaubten Maximalpreises ihr Angebot stoppen dürften.

Selbst ein hoher Gaspreisdeckel von 275 Euro könnte daher häufig ausgelöst werden – und Gasanbieter aus Europa vertreiben. „Europas Gasmarkt droht ein Zusammenbruch von Angebot und Nachfrage, wenn der vorgeschlagene Deckel auf TTF-Preise beschlossen wird“, warnt das Unternehmen in dem Memo: Damit steige das Risiko für die Versorgungssicherheit und die Wahrscheinlichkeit höherer Energiekosten für europäische Verbraucher.

Die in Leipzig ansässige Energiebörse European Energy Exchange (EEX) teilt die Kritik der ICE-Kollegen: „Wir sehen in der Einführung der Gaspreisobergrenze einen gefährlichen Eingriff in die Funktionsfähigkeit des Marktes“, sagte eine Sprecherin in Leipzig auf Nachfrage von WELT: „Die Beschränkung der freien Preisbildung führt aus unserer Sicht nicht zu sinkenden Preisen.“ Durch die Einführung eines Caps befürchte man eher „eine Verlagerung hin zum außerbörslichen Handel, was die Transparenz negativ beeinflusst, Unsicherheit im Markt schafft und die Versorgungssicherheit gefährdet“.

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