Tuesday, April 16, 2024

DFB: Als die Nationalmannschaft auf Kamelen hockte

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Mitten in der laufenden Saison zehn Tage unterwegs für zwei Länderspiele auf einem anderen Kontinent. Spiele, bei denen es nicht um Punkte geht; gegen Gegner, auf die Deutschland bei der kommenden EM mit Sicherheit nicht treffen wird. Und dies zu Anstoßzeiten, bei denen nicht nur Kinder ins Bett gehören. Wer will, findet gewiss Gründe, den Sinn der aktuellen Länderspielreise in die USA infrage zu stellen: Am Samstag gab es gegen die Gastgeber ein überzeugendes 3:1, in der Nacht zum Mittwoch findet in Philadelphia das Spiel gegen Mexiko statt (2.00 Uhr, ARD und im WELT-Liveticker).

Dabei gab es schon viele solcher Trips. Und so mancher als „Lustreise“ abgetane Ausflug in fremde Länder erbrachte zumindest schöne Geschichten. Die Weiterbildung der Spieler kam auch nicht zu kurz. Wie etwa bei einer Türkei-Reise 1951, auf der Debütant Helmut Rahn lernte, dass es für Tauben kein Visum gibt. Von seinem Istanbuler Hotelzimmer aus hatte er fünf Exemplare eingefangen und in den Nachttisch gesperrt. „Das war bei der Zutraulichkeit der lieben Tierchen nicht schwer“, schrieb er in seinen Memoiren. Zimmerpartner Max Morlock musste ihm dann erklären, dass er sie wohl kaum durch die Gepäckkontrolle bekäme.

Lehrreich war auch die erste England-Reise anno 1909, die zugleich die erste per Schiff war. Bei stürmischer See wurde der Ärmelkanal überquert. Danach wollte niemand im Londoner „First Avenue Hotel“ den Aufzug nehmen, die Spieler hatten genug von beweglichen Untersätzen und nahmen die Treppe. Ein englischer Doktor verabreichte den seekranken Kickern zudem Magentabletten. Sie halfen allerdings nur bedingt, nach Aussage des Freiburgers Josef Glasers kam es einigen so vor, dass „das Spielfeld plötzlich anfing, sich nach vorn zu senken, um dafür hinten unheimlich in die Höhe zu steigen“. Immerhin eine prima Ausrede für die noch immer höchste Niederlage (0:9) in über 1000 Länderspielen.

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Außergewöhnliche Verbindung

Nach Amsterdam wurde 1924 der Zug genommen. Dass auch diese Reise nicht planmäßig verlief, lag aber nicht an der Reichsbahn. Dass deutsche Nationalspieler untereinander so verfeindet waren wie vor jenem Testspiel, blieb unerreicht. Die Mannschaft bestand nur aus Spielern des 1. FC Nürnberg und der Spielvereinigung Fürth. Diese hatten sich acht Tage zuvor ein Pokalspiel geliefert, das zur wilden Rauferei ausgeartet war. Ein Team bildeten sie nur für die Fotografen vor der Abfahrt. Dann verschwanden sie in verschiedenen Abteilen. Zwei Tage lang sollen sie kein Wort miteinander gewechselt haben. Es war ein kurioser Beweis dafür, dass nicht unbedingt elf Freunde ein Spiel gewinnen müssen – in einer Zeit, in der man das noch glaubte. Der einzige Treffer des Fürthers Karl Auer fiel zwar auf Vorlage des Nürnbergers Heinrich Träg, aber nicht mal zusammen jubeln konnten sie an diesem Tag, der immerhin den ersten Sieg über das Nachbarland erbrachte.

DFB-Reisen zur Völkerverständigung

Umso angenehmer war die Anreise im August 1939, unmittelbar vor Kriegsausbruch. Die deutsche Elf bestand nur aus Wiener Spielern, und da ihre Stadt und der Spielort Bratislava an der Donau lagen, gönnten sie sich eine Bootsfahrt. Ein Erfolgsrezept war es nicht (0:2). Dann kam der Krieg und als er zu Ende war, sollte auch der Fußball Wunden schließen. Im August 1955 kam es zum ersten Spiel gegen die Sowjetunion. Den Deutschen missfiel der Termin, die Saison hatte gerade erst angefangen. Aber es ging ja nicht um den Sieg, sondern darum, den Boden dafür zu bereiten, dass die letzten 7000 Kriegsgefangenen aus den russischen Lagern entlassen werden würden.

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Klaus Allofs (l.), Lothar Matthäus (2.v.l.), Rudi Bommer (2.v.r.) und Alois Reinhardt (r.) legen Kränze in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem nieder
Quelle: picture-alliance/dpa/hpl

Die Russen wiederum wollten sich mit dem Weltmeister messen, die Bundesregierung riet von der Moskau-Reise ab, es gab ja nicht mal diplomatische Beziehungen. DFB-Präsident Peco Bauwens widersprach: „Wir können den Kriegsgefangenen viel mehr helfen, wenn wir die Einladung annehmen und die sportlichen Beziehungen mit der UdSSR wieder aufnehmen. Der Krieg ist nunmehr zehn Jahre vorbei, und gerade Sportler können sehr wesentlich dazu beitragen, dass das, was einmal gewesen ist, vergessen wird.“ Fritz Walter und seine Kameraden warfen Blumen ins Publikum, verloren wunschgemäß 2:3 – und drei Wochen später holte Bundeskanzler Konrad Adenauer mit seinem Moskau-Besuch die Kriegsgefangenen heim. Niemand behauptete mehr, diese Reise sei unsinnig gewesen.

Das gilt auch für den ersten Israel-Trip im Februar 1987, als die ganze Mannschaft einen Rundgang durch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem machte und Kränze niederlegte. Lothar Matthäus konstatierte anschließend: „Es war für uns alle sehr beklemmend.“ Das Spiel geriet berechtigterweise zur Nebensache (2:0).

Debakel in Ägypten

Bei der ersten DFB-Reise auf einen anderen Kontinent ging es Ende 1958 zu zwei Spielen nach Ägypten, wobei unklar war, ob sie offiziellen Charakter haben würden. Es häuften sich die Absagen. Ohne Uwe Seeler und Helmut Haller schlug die Stunde der Reserve. An Bord des Flugs ab Frankfurt waren neun Debütanten, darunter sogar ein Drittligakicker. Sie erlebten eine Pannenreise: Über Florenz fiel ein Motor aus. Da die Reparatur missglückte, musste die Maschine gewechselt werden.

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Selbstversuch

Kaum in Athen gestartet, musste wegen des Ausfalls einer Lichtmaschine umgedreht werden. Verspätet landeten die Besucher aus dem deutschen Winter im 22 Grad warmen Ägypten. Es kam, wie es kommen musste: Die Gäste verloren ihre Ägypten-Premiere 1:2. Das zweite Spiel wurde zwar gewonnen, zählte aber offiziell nicht. So ist die Länderspielbilanz gegen Ägypten bis heute negativ. Immerhin: Vor den Pyramiden von Gizeh entstand am 29. Dezember 1958 das ungewöhnlichste Mannschaftsfoto der DFB-Historie. Die hintere Reihe saß auf Kamelen. Einer ihrer Reiter war Tierfreund Helmut Rahn.

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Bei der ersten Südamerika-Reise 1961 in Vorbereitung auf die WM in Chile hätte es fast Todesopfer gegeben. Stürmer Albert Brülls zog auf dem Hinflug unbeabsichtigt den Griff für den Notausgang. Normalerweise hätte die Bordwand aufspringen müssen, und Brülls komplette Sitzreihe wäre „ausgestiegen“. Sie ging nicht auf. Glück im Unglück hatten auch der daneben sitzende Frankfurter Richard Kreß und ARD-Reporter Rudi Michel.

Auch bei der Südamerika-Reise vor Weihnachten 1968 wurde es halsbrecherisch. Die Torhüter Sepp Maier und Horst Wolter sowie Stürmer Georg Volkert überzogen im Hotel in Santiago de Chile den Zapfenstreich und flohen vor Bundestrainer Helmut Schön. Volkert wurde von Schön unter einem Tisch entdeckt, die Torhüter entkamen über einen Balkon. Danach hangelten sie sich wagemutig am Draht eines Blitzableiters mehrere Meter in die Tiefe, sprangen dann ab und stiegen in ein fremdes Zimmer ein. Schön erfuhr davon erst aus Maiers Memoiren.

Der verpatzte Confed-Cup in Mexiko

Nachfolger Jupp Derwall bekam dagegen direkt mit, was sich sieben Spieler bei der Mini-WM 1981 in Uruguay leisteten – einem Turnier aller bisherigen Weltmeister. Angeführt von Toni Schumacher und Karl-Heinz Rummenigge machten sie einen Ausflug in Montevideos Nachtleben. Das Ziel: eine Rotlichtbar. Die mitternächtliche Abfahrt geschah vor den Augen des im Hotelrestaurant sitzenden Trainergespanns. Es war der erste Bruch zwischen Derwall und seiner bis dahin so erfolgreichen Mannschaft, die auf dieser Reise ihre Rekordserie von 23 Spielen ohne Niederlage abreißen ließ.

GUADALAJARA, MEXICO - JULY 24: FUSSBALL: FIFA KONFOEDERATIONS CUP 1999, DEUTSCHLAND - BRASILIEN 0:4, Guadalajara/MEX, 24.07.99, BANK Team Deutschland (Photo by Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Deutschland erlebte beim Confed-Cup 1999 in Mexiko unter Erich Ribbeck ein Desaster
Quelle: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images

Erich Ribbeck, damals Co-Trainer, war im Juli 1999 Bundestrainer beim Confed-Cup in Mexiko und kassierte mit einer B-Truppe heftige Pleiten. „Wir waren die Deppen der Nation“, sagte er, er habe „ausnahmslos furchtbare“ Erinnerungen an dieses Turnier. Ein Verzicht aber, hatte zuvor Franz Beckenbauer den Vereinen eingeschärft, würde die Chancen der deutschen Bewerbung um die WM 2006 beeinträchtigen. Es gab zwei Niederlagen in drei Spielen und eine Menge neuer Nationalspieler. DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder entschuldigte den Trainer anschließend: „Ribbeck war auf dieser Reise der ärmste Kerl.“

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