Saturday, December 2, 2023

Demo in Essen: „Wir müssen auf die Straße und ein Zeichen setzen“

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Die drei älteren Damen sind zur mehrspurigen Straße Schützenbahn gekommen und halten Teelichter in Gläsern. Sie stützen ihre Ellbogen auf einem Schutzbügel aus Metall, der den Bürgersteig von der mehrspurigen Fahrbahn trennt. Es ist schon dunkel geworden. Die Schützenbahn vor der Alten Synagoge in Essen ist am Sonntagabend gesperrt für den Verkehr. Die Frau in der Mitte, Magrit, beginnt zu erzählen. „Wir haben uns hierhinbegeben, weil wir zeigen wollen, dass wir für den Frieden sind und dass man sich dann auch von der Couch wegbewegt und Kerzen mitbringt“, sagt Margrit. „Wir sind einfach für den Frieden insgesamt.“ Es sei länger her, dass sie demonstriert haben. Vor ein paar Jahren für Europa.

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Quelle: Kristian Frigelj

Zwei andere Frauen sind aus dem benachbarten Mülheim an der Ruhr gekommen sind. Sie haben bereits vergangene Woche in ihrer Heimatstadt demonstriert. „Wir müssen auf die Straße und ein Zeichen setzen“, sagt eine der beiden Frauen. Davor waren sie das letzte Mal vor 30 Jahren auf der Straße, nachdem rechte Mobs Asyl- und Flüchtlingsunterkünfte in Brand gesetzt hatten, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln. Damals gingen allein in Essen etwa 300.000 Menschen auf die Straße und bildeten eine kilometerlange Lichterkette.

Am Sonntagabend sind immerhin an die 4000 Menschen gekommen. Viele tragen Kerzen, in Gläser, ewige Lichter in Weiß und Rot, ein Pärchen hat sich elektrische Lichterketten um die Oberkörper gehängt, Kinder tragen Laternen. Eine „Allianz für Weltoffenheit Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat“ mit dem Initiativkreis Religionen in Essen (IRE), dem Deutschen Gewerkschaftsbund, dem Unternehmensverband, der Kreishandwerkerschaft, Sozialverbänden und der Stadt Essen hatten dazu aufgerufen.

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Vor einer Woche hatte es erschreckende Szenen bei einer als propalästinensisch angemeldeten Demo mit etwa 3.000 Teilnehmern gekommen war. Darunter befanden sich offenbar auch Islamisten, die mit Plakaten für ein Kalifat warben und Banner im Stile der verbotenen extremistische Organisation Hizb ut-Tahrir trugen. Es wurde auch in Sprechchören die Vernichtung Israels gefordert. Frauen und Männer liefen getrennt voneinander. Essen Oberbürgermeister Kufen hatte den Initiatoren die „Verbreitung radikalislamistischer Parolen“ vorgeworfen.

„Sie sind keine Freiheitskämpfer, sondern Terroristen und Mörder“, sagt der Oberbürgermeister

Die hiesige Polizei sprach davon, die angemeldete Demo sei wohl nur vorgeschoben worden, um eine „islamreligiöse Versammlung“ durchzuführen. Man habe „eine neue Qualität in Essen erleben müssen. Islamisten haben die Täuschung auf die Spitze getrieben und offenbar ganz bewusst sehr ähnliche Symbole des Islamischen Staates und der Taliban genutzt, um für ihre weltfremden Ziele zu werben“, erklärte Polizeipräsident Andreas Stüwe.

Am Sonntagabend spricht zuerst Oberbürgermeister Thomas Kufen. Die Rede des Christdemokraten wird immer wieder von starkem Applaus begleitet. Es seien Bilder der letzten Demo in Essen „um die Welt gegangen“, sagt er. „Wir wollen diese Bilder in Essen nicht, wir wollen diese Gruppierungen in Essen nicht.“ Er spricht über die „Bestialität“ von Hamas. Sie seien „keine Freiheitskämpfer, sondern Terroristen und Mörder“.

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Das große Augenreiben

Kufen differenziert als Oberbürgermeister. Essen hat große syrische und libanesische Communitys, und der Christdemokrat, einst Integrationsbeauftragter des Landes NRW, erkennt seit Jahren immer wieder jede Bemühung um Integration an. Er will sich seine Stadt nicht schlechtreden lassen, aber die Entwicklung, etwa bei der Clankriminalität und jetzt bei den Pro-Palästina-Demos, macht ihm große Sorgen.

Er warnt davor, Menschen muslimischen Glaubens zu verurteilen und auszugrenzen. Doch den Jubel und den Hass von Hamas-Anhängern nennt er am Sonntagabend „verstörend“. Es sage „viel über die moralische Verfasstheit der Unterstützer auch hier in Deutschland anlässlich dieser entmenschlichten Barbarei aus“. Kufen sagt auch: „Natürlich fühlen wir in Essen auch mit der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen, die Opfer eines Krieges geworden ist, den die Hamas mutwillig angezettelt hat“. Der Platz Deutschlands und der Stadt Essen sei klar, betont er: „Wir stehen an der Seite Israels.“

Der Oberbürgermeister kündigt eine Bildungskonferenz gegen Antisemitismus an. Man müsse die „Sprachlosigkeit am Arbeitsplatz, auf den Schulhof, in den Universitäten überwinden. Damit Worten auch Taten folgen.“

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Dann ist die leise Stimme von Schalwa Chemsuraschwili über der Schützenbahn vor der Synagoge zu hören. Der Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 habe „das Leben der Juden in Israel und weltweit für immer verändert“, sagt der Vorsitzende der hiesigen jüdischen Kultus-Gemeinde. Die „Barbaren von Hamas“ hätten ein „großes Massaker“ verübt. Ihre Brutalität übersteige selbst die Vorstellungskraft von Holocaust-Überlebenden. „Frauen, Kinder, Babys, alte Leute wurden auf brutalste Weise umgebracht, nur weil sie Juden waren.“ Hamas sei eine „Mörderbande“. Es gibt großen Applaus, als Chemsuraschwili sagt: „Wir müssen von Hamas befreit werden.“ Hamas müsse „vernichtet werden und die Geiseln befreit werden.“ Am Ende dürfen die Menschen ihre Lichter vor der Synagoge abstellen. Einige stimmen spontan das alte Friedenslied „Hevenu Shalom Alechem“ an.

400 Menschen bei pro-palästinensischer Gegendemo

Gänzlich anders war die Stimmung einige Stunden zuvor in Essen, laut, konfrontativ, latent aggressiv. Etwa 400 Personen sind dem Aufruf eines Privatmannes gefolgt, für „Frieden in Nahost“ zu demonstrieren. Sie stehen am Sonntagnachmittag vor der Zentrale des Evonik-Chemiekonzerns an der Rellinghauser Straße, es sind nur wenige Meter bis zum Hintereingang des Hauptbahnhofs. Ein Sarg mit palästinensischer Flagge und anmontiertem Biertisch steht an einem Laster. Die Sargträger haben etwas Probleme, die Tischbeine aus Metall einzuklappen, den Sarg auf die Lkw-Pritsche zu hieven und die Tischbeine wieder aufzustellen.

Der Anmelder verliest gegen 14.25 Uhr die Auflagen: Alle Symbole von Hamas und Hisbollah und palästinensischer Befreiungsfront seien verboten. Es dürfe in keiner Weise zu Gewalt gegen Israel oder gegen die israelische Bevölkerung aufgerufen werden, Das Existenzrecht Israels dürfe nicht geleugnet oder infrage gestellt werden. „Rufe von Parolen wie ,Tod Israel‘ oder ,Tod den Israelis‘ oder heute auch „From de River to the sea Palastine will be free” sind von der Polizei untersagt worden“, sagt der Anmelder durchs Mikro. Die Angriffe von Hamas auf Israel dürften „weder geleugnet, befürwortet oder für gerechtfertigt erklärt oder gar verherrlicht werden“.

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Da schreit jemand aus der stillen Menge: „From de River to the sea Palastine will be free!“ Der Anmelder reagiert darauf nicht, sondern sagt noch, Glasflaschen seien verboten und das Verbrennen von Flaggen.

Nicht nur dieser einzelne Zwischenruf und dass die Menge diesen Verstoß duldet, offenbaren die Gesinnung einiger Demonstranten. Die notwendigen Auflagen signalisieren auch, was einigen Demonstranten aus der Pro Palästina-Community zugetraut wird. Das erlebt auch CDU-Politiker Wolfgang Bosbach erleben, der mit einem „Stern TV“-Team unterwegs ist. Der Journalist wird beschimpft, als sie mit Demonstranten ins Gespräch kommen wollen. Ein Mann mit Flagge in der Hand ereifert sich gegenüber Bosbach auf Englisch: „Hamas is not the problem. Hamas is part of the Palestinian people. Hamas is a Liberation Organisation” – Hamas sei nicht das Problem, Hamas sei eine Befreiungsorganisation.

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Eins der Schilder, das der Frau später von der Polizei weggenommen wurde
Quelle: Kristian Frigelj

Eine Frau mit Kopftuch hält ein handgeschriebenes Schild hoch. Darauf steht: „It’s not a war. It’s a genocide”“ – Es ist kein Krieg. Es ist ein Genozid. Es sei eine „Besetzung. Es sei „kein Terrorismus“, es gebe das „Recht auf Widerstand.“ Sie muss später zu einer Gruppe von Polizisten, die alle Schilder und Plakate prüft. Das „Genocide“-Schild wird ihr abgenommen, weil es eine Verharmlosung des Holocausts und des Hamas-Terrors bedeutet.

„Es ist Zeit, Farbe zu bekennen, auf die Straße zu gehen für Freiheit, Vielfalt und Miteinander“

Später hält der frühere Linke-NRW-Chef Jules El-Khatib, Kind von Palästinensern, eine Rede. Er sagt auch: „Wer Antisemit ist, kann niemals auf der Seite Palästinas stehen. Wir verurteilen Antisemitismus deutlich.“ Etwa die Hälfte der Demonstranten klatscht nicht bei diesen Worten. Eine Rednerin spricht mehrfach vom „Genozid“ in Gaza. Dann setzt sich der Kleinlaster mit dem Sarg auf der Pritsche in Bewegung. „Free, free Palestine“-Rufe begleiten den Umzug in die Innenstadt. Sie schreien auch „Deutschland finanziert, Israel bombardiert“ und „Deutsche mit den Juden, lasst Euch nicht belügen.“

Das mag alles nicht strafbar sein, doch es verrät die Gesinnung und die Polizei soll jedes Wort noch kritischer prüfen. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) will die Auflagen verschärfen. Eine Maßnahme könnte sein, dass nur noch Aufschriften auf deutsch zulässig sind. Generelle Verbote von Demonstrationen hält er dagegen rechtlich für schwer durchsetzbar. „Verbieten ist die schwächste Karte, die wir haben“, sagte er vergangene Woche im Landtag. Auch für ein härteres Versammlungsgesetz sieht er kaum Spielraum.

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Reul hatte in einem Schreiben an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ein Verbot der drei islamistischen Gruppierungen „Generation Islam“, „Realität Islam“ und „Muslim Interaktiv“ gefordert. Diese Gruppen sind im Internet aktiv und nehmen regelmäßig an Versammlungen mit mehreren tausend Teilnehmern teil.

Eine große Erleichterung gibt es zumindest insgeheim in Essen nach diesem Sonntag: Es waren wesentlich mehr Pro-Israel-Unterstützer auf der Straße als Demonstranten für Palästina. Essens OB Kufen sagte am Sonntagabend vor der Synagoge: „Es ist Zeit, Farbe zu bekennen, auf die Straße zu gehen für Freiheit, Vielfalt und Miteinander. Das ist alles kein Naturgesetz, sondern liegt an und als wehrhafte Demokraten.“

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