Nachdem Ende Oktober nicht weit vor Helgoland auf der Nordsee die Frachtschiffe „Verity“ und „Polesie“ zusammengestoßen waren, sank die „Verity“ auf den Meeresgrund. Fünf Männer mussten für tot erklärt werden. Zwar ist der Auslöser des Unglücks bislang unbekannt, doch beide Schiffe waren das, was Experten zunehmend Sorgen macht – sie waren alt. Das gilt mittlerweile für erschreckend viele Frachtschiffe auf den Weltmeeren – und mit dem steigenden Alter nimmt auch das Risiko von Unfällen, Ausfällen oder Schäden zu.
Das Küstenmotorschiff „Verity“ wurde im Jahr 2001 gebaut und fuhr unter dem Flaggenstaat Großbritannien. Der Schüttgutfrachter „Polesie“ ist unter der Flagge der Bahamas registriert und wurde 2009 gebaut. Wegen Beispielen wie diesen schlagen die Versicherungen jetzt Alarm und warnen vor neuen Risiken.
Grund für die Besorgnis ist eine Statistik der Schifffahrtsdatei BIMCO. Danach liegt das durchschnittliche Alter von Containerschiffen bei gut 14 Jahren. Nach Aussage des Chefanalysten der BIMCO, Niels Rasmussen, ist dies ein Allzeithoch. Tanker folgen mit knapp 13 Jahren und Massengutfrachter mit knapp zwölf Jahren.
Die Daten stammen vom Oktober 2023. Baltic and International Maritime Council (BIMCO) mit Sitz in Kopenhagen ist eine anerkannte internationale Nichtregierungsorganisation, in der Schiffseigentümer, Reedereien oder Schiffsmakler Daten der weltweiten Schifffahrt auswerten.
Eigentlich müsste der Trend beim Durchschnittsalter aktuell in die andere Richtung gehen. Schließlich kaufen Reedereien gerade Neubauten, um den Umbau ihrer Flotte hin zu einem klimaneutralen Antrieb voranzutreiben und Auflagen zu erfüllen.
Rund 27 Prozent der Kapazitäten der weltweiten Containerflotte stehen derzeit als Bestellungen in den Auftragsbüchern der Werften. Doch längst nicht im gleichen Umfang werden alte Schiffe aus der großen Fahrt genommen und verschrottet.
Jeder fünfte Containerfrachter ist älter als 20
Bei Containerschiffen ist das Durchschnittsalter in den vergangenen 13 Jahren um gut vier Jahre gestiegen. In dem Zeitraum sind laut der Statistik fast doppelt so viele neue Schiffe in den Markt gekommen im Vergleich zur Zahl der Verschrottungen. Jeder fünfte Containerfrachter ist laut der Statistik derzeit älter als 20 Jahre.
Das ist ein Alter, in dem Schiffe oftmals nicht mehr wirtschaftlich sind und in der Regel verschrottet werden. Rund 70 Prozent der Frachter sind laut der Statistik älter als zehn Jahre.
Erstmals äußern sich nun Versicherungsexperten umfangreich zum Risiko älterer Schiffe auf den Weltmeeren. Die weithin verschwiegene Branche hat wesentlichen Einfluss auf die Schifffahrt. Erteilt eine Versicherung einem Schiff keine Schadendeckung, ist der Betrieb für einen Reeder kaum mehr möglich.
„Der Trend hin zu älterer Tonnage nimmt zu. Das liegt auch daran, dass nicht so viele alte Schiffe verschrottet werden, wie Neubauten in den Markt kommen“, sagt Justus Heinrich, Leiter der Transport- und Schiffsversicherung für Deutschland und die Schweiz bei der Allianz Commercial.
Für die Risikobewertung wie auch für den Preis einer Absicherung sei das Alter einer Schiffsflotte ein entscheidendes Kriterium. Mit zunehmendem Alter eines Schiffes werde es schwieriger für die Reeder, eine Versicherung zu bekommen.
Der Schifffahrtsexperte sieht die Entwicklung mit Sorge. „Wir verzeichnen gar nicht einmal mehr Schäden, dafür aber höhere Schadensummen“, sagt Heinrich. Grund sind steigende Reparaturpreise auf den Werften. Ein Beispiel: Muss ein Schiff nach einer Grundberührung repariert werden, ist dies allein schon wegen des derzeit teuren Stahls als Material mit höheren Kosten verbunden als in früheren Jahren.
Aufwand für Wartung und Unterhalt steigt
Immer öfter fallen betagte Frachtschiffe mit ihren Mängeln auf. „Ältere Schiffe sind bei den regelmäßigen Hafenstaatenkontrollen, den Port State Controls, auffälliger“, sagt Anastasios Leonburg, Risikoberater Marine bei Allianz Commercial.
Wenn ein Reeder die Wartung eines Schiffes einschränke, könne dies für die Sicherheit kritisch werden. Der Aufwand für Wartung und Unterhalt steige mit dem Schiffsalter. Nach 20 Jahren könne er zu hoch sein für einen wirtschaftlichen Betrieb.
„Das Material ermüdet mit den Jahren, und das lässt sich nicht durch Wartung beheben. Am Stahl kann es Risse geben, oder er kann sogar brechen“, sagt Leonburg. Falle zum Beispiel die Schiffsmaschine durch einen Schaden aus, könne das auf viel befahrenen Gewässern erhebliche Auswirkungen oder Unfälle zur Folge haben.
Die Schifffahrtsunternehmen reagieren mit eigenen Methoden. „Mancher Reeder wechselt bei älteren Schiffen den Flaggenstaat, weil die Anforderungen an die Sicherheit und damit auch an die Wartung nach solch einem Wechsel geringer sein können“, sagt Sicherheitsexperte Leonburg.
Generell geht der Trend unter den Reedern gerade hin zu größeren Schiffen und zu einem grünen Antrieb. „Gleichzeitig müsste dies auch zu einem Anstieg bei den Verschrottungen führen. Das ist aber nicht der Fall“, sagt Leonburg. In der Schifffahrt herrsche eine Verunsicherung darüber, welcher Schiffsantrieb in Zukunft dominieren werde.
„Das führt dazu, dass etliche Reeder ihre Entscheidung über Investitionen in Neubauten aufschieben“, sagt Leonburg. Je nach der Höhe der Investitionen in die Instandhaltung könne das dann zulasten der Sicherheit der Schiffsflotten gehen.
Alte Schiffe werden sogar noch ausgebaut
Statt neue Frachtschiffe zu bestellen, werden alte Exemplare sogar noch ausgebaut. So werden bestehende Containerschiffe derart umgebaut, dass teilweise bis zu 1000 Container mehr darauf transportiert werden können. Das bedeutet aber auch, dass die Zahl älterer Schiffe weiter steigt.
Ein Blick in die Details der Statistik deckt das besondere Risiko bei kleineren Containerschiffen auf. Zu den Schiffen, die älter als 20 Jahre sind, zählen zu 76 Prozent kleine Frachter mit bis zu 3000 Containerstellplätzen. Gerade diese Schiffe sind in den küstennahen Gewässern unterwegs. Im Falle einer Havarie wären Folgen für die Küsten höchst wahrscheinlich.
Ausgerechnet in dieser Schiffsklasse wird es jedoch nur langsam zu einem Austausch kommen. Im Orderbuch für die Werften in Asien und Europa stehen derzeit nach den Informationen lediglich 317 Schiffe, aber 994 Frachter sind älter als 20 Jahre.
Tatsächlich ist auch in der Schifffahrt ein regelmäßiger Sicherheitstest vorgeschrieben. In der Regel muss ein Frachtschiff alle fünf Jahre zur Untersuchung in eine Werft. In der Branche wird dies „Klasse“ genannt. Ähnlich wie beim TÜV für ein Fahrzeug prüfen dann Klassifizierungsgesellschaften wie DNV oder Bureau Veritas auf einer Werft den Zustand und die Schiffstechnik.