Karneval ist wie Fußball keine Frage von Leben und Tod. Er ist viel ernster. Kölner wissen das. Cottbuser, das wiederum wissen nicht so viele, wissen das aber auch. Es gibt Karneval in Cottbus.
Seit Jahrzehnten. Mit Umzug, mit Motivwagen, Kostümen, Elferrat. Und mit Klüngel. Klüngel (vulgo: Korruption, Mauschelei, Vetternwirtschaft) gehört zum Karneval, zum Fasching, zur Fastnacht, zur Fasnet, zu jeder Spielart jahreszeitlich befohlenen Froh- und Irrsinns wie die Tanne zu Weihnachten. Okay, der Vergleich war jetzt schief. Aber ohne Klüngel wär Karneval halt kein Karneval, ob in Cottbus oder Köln.
Insofern spielt „Cottbus kopflos“, der neue Fall für den herrlich genderfluiden Kommissar Vincent Ross vom deutsch-polnischen „Polizeiruf“-Kommissariat zwar in der närrischen Niederlausitz, könnte aber genauso gut in Freiburg spielen oder in Mainz oder Koblenz. Niemand entlang des Rheins sollte sich sicher sein, dass ihm in seinem Jecke- und Möhneverein nicht das Gleiche passiert, was Jurek Bukol in Cottbus passiert.
Ein ethnografischer Beitrag über die besonderen Bedingungen der Narretei in der vermeintlichen Brandenburger Diaspora bleibt der von Axel Hildebrand und Mike Bäuml geschriebene und von Christoph Schnee inszenierte klassische Sonntagabendkrimi aber allemal.
Zurück zu Jurek Bukol. Der ist tot. Es gibt nicht wenige in Cottbus, die finden das vielleicht nicht lustig, aber doch ganz in Ordnung. Der Jurek war ein Querulant, ein Rechthaber, ein Hintertreiber.
Verbrannt liegt er in jener Werkstatt, in der er, der geniale Motivwagenbauer, den fahrenden Karikatur-Anhänger für den kommenden Umzug gerade zusammenbaute. Alles Asche jetzt.
Dass der Amtsarzt „Herzinfarkt“ in den Bericht über eine Leiche mit Wunde am Hinterkopf geschrieben hat, entlockt Kommissar Ross (André Kaczmarczyk) ein derart süffisantes Lächeln, dass sich allein schon dafür der ganze vorherige und noch folgende Mummenschanz lohnt. Hier soll was zur Kohle unter die Lausitzer Krume geschoben werden, bevor es anfängt, auffällig zu riechen.
Was sich nun begibt, könnte es als Lehrmittel für angehende Whodunit-Schreiber verhältnismäßig weit bringen. Ein Stationendrama. An jeder Station – Familie, Verwaltung, Verein – des Ross‘schen Umzugs durch die Gemeinde, in der jeder jeden zu kennen, jeder mit jedem in die Schule gegangen zu sein scheint und die wirklich jeden Witz ganz gut gebrauchen könnte, an jeder Station stellt sich mindestens ein Verdächtiger ein.
Ein herrlicher Loser
Der Elferratsvorsitzende, der es zu einer beträchtlichen Ämterhäufung in der Stadt gebracht hat, der Sohn, den der Tote trotz einer scheinbar beträchtlichen Karriere (er braut das erste Karnevalsbier von Cottbus) nicht ernst genommen hat, die Tochter, die nach Kanada will, weit weg von Jurek und Cottbus, die Ex-Frau, die plötzlich wieder da ist, der Polizeichef, der schon allein deswegen der herrlichste aller angehenden Loser ist, weil er vom nicht nur herrlich heiseren, sondern auch sonst herrlichen Andreas Doehler gespielt wird.
Der geht Ross gewaltig auf die Nerven, weil er „ständig aus der Kommunikation geht“. Über solche metropolen Sätze staunen sie in der Lausitz. Aber Kommunikation ist wichtig für Ross, der durch das Cottbuser Karnevalsbecken voller Haifische und alter Leichen stakst und stöckelt, wie er es bisher in seinen Fällen immer tat: Entspannt, sanft, auf hohen Schuhen, angetan diesmal mit einem auberginenfarbenen Kunstledermantel, von dem er behauptet, ein Italiener habe ihn geschneidert.
Vincent Ross zieht durchs Cottbuser Polizeipräsidium wie es eine brasilianische Samba-Combo im Cottbuser Karnevalsumzug täte – schillernd, fremd und von allen irgendwie bewundert. Ein Menschenfänger. Ein ganz neuer Typ von Kommissar, für den man ein Reservat bauen möchte, je länger man ihm dabei zuschaut, wie anders Ermitteln geht und das Führen eines Teams. Nicht aus dem Geist von Neurose und Konfrontation. Sondern aus von Empathie und Neugier.
Womit wir bei dem wären, was sozusagen der Untergrund der gar nicht lustigen Geschichte ist. „Cottbus kopflos“ ist eine Teambuilding-Veranstaltung. Nachdem Ross sein erster Ermittlungspartner Adam Raczek (Lukas Gregorowicz) ziemlich schnell abhandenkam, findet sich in der Narrensitzung von Cottbus das neue Dreigestirn des deutsch-polnischen Kommissariats von Świecko in der Gemeinde Slubice.
Der sanft elektrisierende Vincent Ross formt aus Karl Rogov (Frank Leo Schröder), dem grumpy old Kommissar mit dem seltsamen Speisevorlieben, dem niemand etwas zutraut, und Alexandra Luschke (Gisa Flake), die Ross in Cottbus zur Seite gestellt wird und eine Vorliebe für silbrige Tanzkostüme und Pullover hat, deren Farben sich mit denen vom Ross’schen Outit beißen, ein Team wie Urs Fischer beim FC Union zu seinen besten Tagen.
Nicht teuer, aber charakterstark. Wenn jetzt noch ein bisschen intensivere Drehbücher als Gegner aufgestellt werden, besteht Hoffnung für die grenzüberschreitend ermittelnden Drei auf die Champions League der Sonntagabendkrimiteams.