Wie behandelt man den Nahost-Krieg in der Schule? Wie schafft man es, den terroristischen Überfall der Hamas und den Gegenschlag Israels auf sachliche und zugleich empathische Weise zu thematisieren? Und wie wird man der Emotionen Herr, die den Lehrkräften dabei entgegenschlagen? Ein schwer zu meisterndes Problem – vor allem in Schulen mit einem hohen Anteil von Zuwandererkindern aus dem Nahen Osten.
Manchen Lehrkräften schlage dieser Tage regelrecht Hass entgegen, sagte die Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) vergangene Woche bei dem Besuch einer jüdischen Schule in Berlin. „Es braucht viel innere Stärke, hier gegenzuhalten“, sagt die Senatorin. „Es trifft mich sehr, wenn schon Grundschulkinder Feindbilder entwickeln. Hier müssen wir schnell reagieren.“
Ihre Senatsverwaltung für Bildung hat einen 40-seitigen Brief an alle Berliner Schulen verschickt, mit verlinktem Unterrichtsmaterial, Adressen von Beratungsstellen und externen Referenten, zahlreichen Fortbildungsangeboten – und konkreten Vorschlägen, wie Lehrkräfte eine Unterrichtsstunde zum Nahost-Krieg aufbauen können. „Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist ein hochsensibles, emotional aufgeladenes Themengebiet“, heißt es dort. „Es kann davon ausgegangen werden, dass bei vielen Kindern und Jugendlichen die furchtbaren Folgen dieses Konflikts weiter starke Emotionen und viele Fragen hervorrufen, vor allem bei solchen mit familiären Wurzeln in der Region.“
In dieser Situation müsse der Unterricht den Kindern den Schülerinnen und Schülern einen sicheren Raum geben, um über ihre Gefühle und Gedanken dazu zu sprechen und ihnen bei der Verarbeitung zu helfen. Einseitige Darstellungen müssten problematisiert und Informationsquellen hinterfragt werden. Ziel sei es, einen gemeinsamen Boden der Verständigung darüber zu finden, „dass die Menschenrechte uneingeschränkt für alle gelten und alle Berlinerinnen und Berliner hier friedlich zusammenleben sollten“. Es folgen konkrete Beispiele zur Unterrichtsgestaltung in Grund-, Mittel- und Oberstufe.
Ähnliche Materialsammlungen haben auch die Kultusministerien der anderen Länder und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) bereitgestellt. Das Informationsmaterial werde gut angenommen, sagt GEW-Vorständin Anja Bensinger-Stolze. Sie verweist dabei auf das im sogenannten Beutelsbacher Konsens festgehaltene Überwältigungsverbot. „Danach müssen Themen, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, auch in der Schule kontrovers behandelt werden. Die Richtschnur muss dabei sein, dass das Existenzrecht Israels nicht verhandelbar ist“, sagt Bensinger-Stolze.
„Aufgaben, die Kapazität der Lehrkräfte übersteigen“
Beispielhaft könnte zum Beispiel die Rede von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Unterricht eingesetzt werden. In der viel gelobten Rede hatte Habeck die Staatsräson Deutschlands ausbuchstabiert, ohne das Leid der von der Hamas tyrannisierten palästinensischen Zivilbevölkerung zu negieren.
„Ich kann mich in den vergangenen Jahren an kein anderes politisches Thema erinnern, das derart schwierig war“, gibt die Gewerkschafterin zu. Die Lage sei für die Schulen „außerordentlich herausfordernd“. Gerade an Schulen mit einem hohen Anteil muslimischer Schülerinnen und Schüler müssten sich Lehrkräfte sehr gut überlegen, wie sie mit dem Thema umgehen. „Hier werden sie häufig schon mit sehr verfestigten Weltbildern konfrontiert“, sagt Bensinger-Stolze. „Vor dem Hintergrund des akuten Lehrkräftemangels sind das Aufgaben, die immer häufiger die Kapazität der Lehrkräfte übersteigen.“
Im Zweifel müssten sich die Schulen hier auch Hilfe von außen holen. Prominente Beispiele hierfür sind etwa der Verein „meet2respect“, der einen Rabbi und einen Imam zusammen an die Schulen schickt, oder die „Trialoge“, die die Deutsch-Palästinenserin Jouanna Hassoun und der jüdische Sozialunternehmer Shai Hoffmann in Berlin anbieten.
Auch Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, spricht sich für eine offene Diskussionskultur in der Schule aus. „Wichtig ist, mit den Schülern ins Gespräch zu kommen, auch ihre Sorgen und ihren Ärger anzuhören und ernst zu nehmen. Schule ist auch der Ort für einen gepflegten politischen Diskurs“, sagt Düll. „Agitation allerdings hat auf dem Schulhof nichts zu suchen.“
Ein Balanceakt, wie Düll zugibt. Denn ohne das geschichtliche und mediale Wissen der Erwachsenen wirkten die Bilder vom Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung sehr unmittelbar auf die Jugendlichen. „Es ist gar nicht so einfach, gegenzuhalten und darzulegen, dass es die Hamas war, die Israel angegriffen hat, und es bei dem erwartbaren Gegenangriff genau auf diese Bilder angelegt hat. Israel ist dabei, diesen Medienkrieg zu verlieren.“
Als Lehrer sei es schwer, hier gegenzuhalten – und gleichzeitig nicht alles abzubügeln, was an Kritik geäußert werde. „Ich bin Geschichtslehrer und seit jeher ein politisch äußerst interessierter Mensch. Aber nicht alle Kollegen sind ähnlich gut gerüstet für die Diskussion mit den Schülern.“ Viele Kollegen hätten deshalb die Herbstferien genutzt, sich noch einmal tiefergehend zu informieren. „Die Situation ist noch sehr volatil. Schon der nächste Beschuss mit vielen zivilen Opfern kann die Emotionen wieder hochkochen lassen.“
Für möglich hält der Lehrerverbandspräsident es aber auch, dass schon bald Ernüchterung eintritt. „Junge Menschen wollen sich auch nicht tagein, tagaus mit Krieg auseinandersetzen. Sie wollen auch irgendwann zu ihrem normalen schulischen Alltag zurückkehren.“