„Fortschritt macht arbeitslos“. Das Roboter-Titelblatt von Deutschlands größtem Magazin hatte sich bei vielen eingebrannt – 45 Jahre ist das nun her. Doch die Debatte um den Einsatz von Robotern blieb lange mit Verunsicherung verbunden. Selbst 2016 war auf der Titelseite des „Spiegels“ noch zu lesen: „Sie sind entlassen – wie uns Computer und Roboter die Arbeit wegnehmen.“
Es kam anders. Der Arbeitsmarkt hat sich grundlegend gewandelt: Branchenübergreifend fehlt es heute an Personal. Die Fachkräfteeinwanderung ist nicht ansatzweise so erfolgreich, wie Unternehmen es gerne hätten. Und bis 2035 werden rund sieben Millionen Menschen in Rente gehen.
Längst ist deshalb klar: Auch abseits von der Auto- und Metallindustrie, die ein Teilen bereits hochautomatisiert ist, werden in Zukunft die Digitalisierung, Künstliche Intelligenz (KI) und Roboter menschliche Arbeit verändern und ersetzen.
Auch die AfD hat das Thema KI und Robotik für sich entdeckt – allerdings um gegen Einwanderung Stimmung zu machen. Würde man nur genügend Arbeitsprozesse automatisieren, wäre die deutsche Wirtschaft nicht mehr so stark auf Migranten angewiesen, so die Idee. Nach japanischem Vorbild soll die Arbeitskräftelücke durch Automatisierung beziehungsweise Substitution von Beschäftigten durch Roboter geschlossen werden.
Doch in welchem Umfang könnten Roboter und Co. das tatsächlich leisten? Katharina Grienberger vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat eine klare Antwort: Es könnten nicht in dem Maß Arbeitskräfte eingespart werden, wie sie aufgrund des demografischen Wandels nicht mehr zur Verfügung stehen. „Insofern braucht es Zuwanderung, um den Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials aufgrund der Alterung der Bevölkerung abzuschwächen.“
„Dass die AfD ausgerechnet Japan als Vorbild benennt, ist amüsant“, sagt Franz Kühmayer gegenüber WELT. Der Österreicher ist Unternehmensberater und Trendforscher am Frankfurter Zukunftsinstitut.
„Der japanische Arbeitsmarkt ist leergefegt. Mit 2,6 Prozent liegt Arbeitslosigkeit in Japan auf der Hälfte des deutschen Wertes“, so der Roboter-Experte. „Konsequenterweise benennen mehr als 80 Prozent der dortigen Unternehmen die Rekrutierung von gut ausgebildetem Personal als größte Herausforderung und Wachstumshemmnis.“
Südkorea hat die dichteste Roboterflotte
Tatsächlich liegen Japan und Deutschland beinahe auf demselben Level, was die Automatisierung in der Industrie angeht. Werden hierzulande 397 Roboter pro 10.000 Beschäftigten eingesetzt, sind es in Japan 399, wie eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt.
Generell ist die Zahl der Industrieroboter in den vergangenen Jahren angestiegen. Gemessen an der Zahl der Arbeitnehmer betreibt Südkorea die größte Roboterflotte: Auf jeden zehnten Beschäftigten kommt ein Roboter. Und rein mengenmäßig ist China mittlerweile zum Roboter-Weltmeister aufgestiegen.
Den Einfluss von Industrierobotern auf den deutschen Arbeitsmarkt hat der Ökonom Jens Südekum bereits vor fünf Jahren untersucht und dafür Daten der Jahre 1994 bis 2014 zurate gezogen. Sein Fazit: Zwar beschleunigten Roboter den Strukturwandel hin zu den Dienstleistungen, doch die These, wonach Roboter zu Massenarbeitslosigkeit führen, sei empirisch nicht belegt. „Der Gesamteinfluss war praktisch null.“
Andere Studienergebnisse sind alarmierender. Beispielsweise die von IAB-Forscherin Grienberger. Die Arbeit etwa jedes dritten sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmers könne zumindest im Grundsatz auch von Computern oder Robotern übernommen werden, schrieb sie 2019.
Bei einfachen Helfertätigkeiten liege der Anteil der Betroffenen mit „hohem Substituierbarkeitspotential“ gar bei 58 Prozent. „Dies bedeutet aber nicht, dass wir Beschäftigungsverluste in derselben Höhe erwarten“, sagt Grienberger nun. Eher sei es so, dass Berufe nicht komplett verschwinden, sondern sich verändern und neue Tätigkeiten hinzukämen.
Nichtsdestotrotz ist die Automatisierung auf dem Vormarsch. Länderübergreifend gingen im Jahr 2021 am meisten Industrieroboter in der Elektrotechnik (137.000) und der Autoindustrie (119.000) in Betrieb. In Deutschland bleibt dabei die Autoindustrie der Treiber: Von insgesamt 24.000 Industrierobotern, die 2021 hierzulande installiert wurden, kamen mehr als 6500 bei Autobauern zum Einsatz, 3700 weitere rechnet das IW den Zulieferern zu.
„Deutschland liegt weltweit an vierter Stelle in der Roboterdichte, damit ist die deutsche Industrie mit großem Abstand die roboterintensivste in der EU“, sagt Experte Kühmayer. Beim IW wiederum geht man davon aus, dass sich der Roboter-Boom nicht auf die Industrie beschränken wird – allein schon wegen des branchenübergreifenden Arbeitskräftemangels.
Dass der Einsatz weiter steigt, zeigt eine Statistik des Internationalen Robotikverbands: 25.600 Industrieroboter wurden letztes Jahr in Deutschland installiert, immerhin 1600 mehr als im Jahr zuvor. Zum Vergleich: Spitzenreiter China nahm zehnmal so viele in Betrieb.
Weltmarktführer in der Robotik
„Deutschland läuft Gefahr, in der Robotik vom globalen Innovationszug abgehängt zu werden“, warnt Kühmayer. Denn mit dem Augsburger Maschinenbauer Kuka zähle nur ein einziger Hersteller aus Deutschland zu wichtigsten globalen Produzenten.
Der Haken: Kuka ist seit mehreren Jahren in chinesischem Mehrheitsbesitz. Dass die „spannendsten Roboter-Entwicklungen“ aus den USA oder aus Fernost kämen, und nicht aus Deutschland, sei ein Warnsignal, meint Kühmayer. „Damit steigen die Abhängigkeiten von anderen Ländern, und auf Dauer besteht das Risiko, vom Export-Weltmeister zur verlängerten Werkbank zu werden.“
Weltmarktführer in der Robotik ist nach eigenen Angaben der japanische Hersteller Fanuc. Mehr als eine Million Roboter wurden seit der Gründung in den 1970er Jahren ausgeliefert – vermehrt auch nach Deutschland. Neben den klassischen Industriesektoren werden die Fanuc-Roboter hierzulande nunmehr auch in Bäckereien, Wäschereien, in der Schweißtechnik oder bei der Wartung von Deutsche Bahn-Zügen zum Einsatz.
Die Automatisierung, zu der auch die Robotik zählt, könne in etwa ein Viertel der bis 2040 entstehenden Lücke an Arbeitskräften schließen, glaubt Ralf Winkelmann, Geschäftsführer der Deutschland-Tochter des japanischen Herstellers.
Das ist eine optimistische Prognose. Die „Spiegel“-Titelblätter kennt auch Winkelmann. „Bei neuen Entwicklungen sind Viele erst einmal kritisch – da sind wir Deutschen leider Vorreiter“, sagt er im Gespräch mit WELT. Dabei ist seiner Ansicht nach im Zuge des Arbeitskräftemangels klar: Roboter würden keine Jobs vernichten, sondern sie vielmehr erhalten. „Im Zweifel können sie dazu beitragen, Unternehmen vor dem Tod zu bewahren.“
Um dem Thema den Schrecken zu nehmen, ist das Unternehmen um positive PR bemüht: Meist sei die Rede von „Cobots“ – also „collaborative robots“, die dank eingebauter Sensoren „Hand in Hand“ mit Menschen arbeiten können. Unternehmen würden zudem langfristig nicht nur Personalkosten sparen, so Winkelmann. Die Beschäftigten könnten ihre Arbeitskraft auch sinnvoller einsetzen als für körperlich schwere Tätigkeiten und damit auch ihre Gesundheit schonen.
Retten die technischen Helfer also bald die Existenz tausender Betriebe? Ganz so einfach ist es nicht. Am Anfang müssen Unternehmen erst einmal viel Geld in die Umrüstung investieren. Um welche Summen es dabei geht, bleibt jedoch unklar. Auch auf Nachfrage will Fanuc keine Zahlen dazu kommunizieren, wie viel genau die Roboter im Einkauf kosten.
Eine Studie unter anderem von der Unternehmensberatung BCG nennt Preise zwischen 30.000 und 250.000 Dollar für einen Industrieroboter. Der Preis sei abhängig von Größe, Ausstattung und Einsatzgebiet.
Dazu kommen Kosten für Wartung und Umrüstung, denn die Roboter müssen nicht nur mit dem Personal, sondern auch mit anderen Maschinen zusammenarbeiten. „Ein Roboter allein wird nicht allein den kompletten Backprozess übernehmen“, sagt Winkelmann zum Beispiel Backstube.
Vielmehr agierten die „Cobots“ als ergänzende Technik mit anderen Anwendungen. Winkelmann spricht von „einem Element der Lösung“. „Roboter sind keine eierlegende Wollmilchsau, sie werden ein Werkzeug von vielen sein“, so der Geschäftsführer.
„Klar ist – das Ganze muss sich rechnen.“ Doch auch hier bleibt Winkelmann unkonkret. Nach welcher Zeit sich die Anschaffung eines Fanuc-Roboters amortisiere, hänge stark vom Betrieb und den Arbeitsabläufen ab. Ein Positivbeispiel sei das Unternehmen Blocz aus Chemnitz, das Kletter-Elemente für Boulderhallen herstellt. Dort sind zwei Fanuc-Roboter für das Schleifen und Schneiden im Einsatz – wodurch sich die Produktionskapazität in etwa verdoppelt habe.
Neben den hohen Kosten steht dem Aufstieg der Roboter noch etwas im Weg: die Bürokratie. „Hierzulande gibt es sehr viele Regeln, wie beispielsweise Daten im industriellen Umfeld verwendet und dokumentiert werden müssen. In den USA etwa läuft das ganz anders“, sagt Winkelmann. „Manchmal wäre weniger mehr“, findet er.
Immerhin: Das vermeintlich größte Hindernis für sein Geschäftsmodell wurde vor Kurzem abgewendet. Die Pläne, eine Roboter-Steuer in der EU einzuführen, sind vom Tisch – vorerst.