Die angekündigte Reform der Documenta in Kassel nach dem Antisemitismus-Skandal von 2022 ist gescheitert. Und die Folgen sind kaum absehbar. Die Zukunft des Kunstfestivals muss nun sehr viel härter diskutiert werden als bisher. Die ersten Eruptionen sind schon zu erleben: Kulturstaatsministerin Claudia Roth droht ganz offen mit dem Ende jeder finanziellen Unterstützung.
Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte mit wenigen Klicks recherchiert, dass Ranjit Hoskoté, ein Mitglied der neuen Findungskommission für den Kurator der Documenta 16, sich einer zweifellos antisemitischen Petition angeschlossen hatte und seine Unterstützung für „BDS India“ online einsehbar ist. Der Aufruf des „Indian Cultural Forums“ fordert nicht nur den Israel-Boykott, sondern bezeichnet den „Zionismus“ per se als „eine rassistische Ideologie.“
Der indische Schriftsteller erklärt die Petition mit einem Engagement gegen den faschistischen Hindutva-Extremismus, der in der Petition mitbehandelt wird; er habe sich immer öffentlich und deutlich gegen jeden kulturellen Boykott Israels ausgesprochen. Er lehne die Ziele von BDS ab, unterstütze die Bewegung nicht. Insbesondere nach dem 7. Oktober 2023, dem Hamas-Terror in Israel und seinen Folgen, seien seine Gedanken sowohl beim jüdischen als auch beim palästinensischen Volk.
Antisemitische Verschörungstheorien
Wie aber ist es dann möglich, dass diese Petition nicht schon vor seiner Berufung mit ihm diskutiert wurde? Die einzig angemessene Reaktion nach diesem Versagen und in Abgrenzung von den Documenta-15-Kuratoren von Ruangrupa, die Hamas-Propaganda auf Facebook likten, kann nur sein, dass Ranjit Hoskoté aus der Kommission austritt und seine Unterschrift glaubhaft zurückzieht. Für alle, die die Documenta als einzigartige Institution der Kunstfreiheit schätzen, ist es schier unerträglich, nun schon wieder fragen zu müssen: Wie konnte es so weit kommen? Wer trägt die Verantwortung für diesen neuerlichen Antisemitismus bei der Documenta?
Die verantwortlichen Documenta-Aufsichtsräte, allen voran Kunstministerin Angela Dorn und Ex-Oberbürgermeister Christian Geselle, werden sich wegducken. Geselle wurde abgewählt und hat die SPD verlassen. Und die Grüne Dorn fliegt in Bälde aus der Landesregierung. Andreas Hoffmann, neuer Geschäftsführer der Documenta, hat leider auch bewiesen, dass er nicht verstanden hat, wie man Antisemitismus entschieden entgegentritt. Er watet in altem Schlamm; anstatt sich auf eine Neuaufstellung der Documenta zu konzentrieren, einen klaren Cut öffentlich glaubhaft zu vermitteln, wurde für den angeblichen Neustart eine Findungskommission aus alten Documenta-Leitern berufen, unter anderen Catherine David (1997), Roger Buergel (2007), Carolyn Christov-Bakargiev (2012) und auch der heftig umstrittene Adam Szymczyk (2017).
Radikalisierung des BDS
Die Ignoranz im Umgang mit Antisemitismus scheint bei der Documenta weiter systemimmanent. Die Berufung von Ranjit Hoskoté war hoffentlich der letzte Stein des Anstoßes, der noch fehlte, um Maßnahmen nicht nur in den Medien zu diskutieren, sondern auch auf politischer Ebene umzusetzen.
Claudia Roth jedenfalls hat Ranjit Hoskoté nun deutlich kritisiert und sich erneut vom BDS distanziert – der Bewegung gegenüber WELT gar eine Radikalisierung attestiert. Der wahrscheinlich vollständige Entzug der finanziellen und ideellen Unterstützung durch den Bund steht an – und damit der Niedergang von der Documenta, wie wir sie kennen.
Denn den Rückzug des Bundes können auch das Land Hessen und die Stadt Kassel nicht einfach ignorieren – und müssen nun viel grundsätzlicher durchgreifen als noch 2022, einen klaren Schnitt durchsetzen. Boris Rhein (CDU) als alter und neuer Ministerpräsident sollte die Documenta zur Chefsache erklären. Sonst kommt die große Nachkriegstradition der Documenta an ihr baldiges Ende.