Im Oktober warfen Unbekannte eine Scheibe des jüdischen Krankenhauses in Berlin-Wedding ein. Niemand wurde verletzt, der Staatsschutz ermittelt. Was aber, falls ein Angriff von innen erfolgen sollte? Innerhalb der Ärzteschaft häufen sich seit dem Hamas-Terror des 7. Oktobers antisemitische Vorfälle.
„Mit Erschrecken“ müsse er feststellen, sagt Rotem Lanzman, Sprecher des Bundesverbands Jüdische Mediziner, „dass sich leider auch einige Ärzte an der antisemitischen Hasspropaganda beteiligen“. Unter anderem seien „Massaker der Hamas-Terroristen verharmlosende Karikaturen und israelfeindliche Lügenpropaganda auf der Facebook-Seite einer Arztpraxis in Düsseldorf veröffentlicht“ worden.
Tief blicken lässt zudem ein bislang nicht öffentlich gewordener Vorgang an der Berliner Universitätsklinik Charité. Mitte Oktober kursierte dort in studentischen WhatsApp-Gruppen ein Aufruf in Bildform zur Teilnahme an einer Benefizveranstaltung mit Islamismusbezug.
Dieser ist nicht gleich zu erkennen: „Culture Festival“ steht groß auf der Einladung, darunter abgebildet: eine bunte Truppe Cartoon-Charaktere in verschiedenen Hautfarben, eine Figur von ihnen mit Kopftuch, andere religiöse Symbole fehlen. Eingeladen wird von den „Muslim Students of Charité“, einer Arbeitsgruppe innerhalb des Gesamtzusammenschlusses der Charité-Studenten. Auf dem Bild steht auch: „Alle Einnahmen gehen an: Islamic Relief Deutschland e. V.“
Israel ordnet dessen Mutterorganisation, Islamic Relief Worldwide, dem Finanzierungsapparat der Hamas zu, entsprechend ist sie von Israel als Terror-Organisation eingestuft. WELT berichtete, dass laut Bundesregierung der deutsche Ableger von Islamic Relief „signifikante personelle Verbindungen zur Muslimbruderschaft oder ihr nahestehenden Organisationen“ pflegt. Die Muslimbruderschaft ist eine islamistische Organisation, aus ihr ist die Hamas entsprungen.
Neben dieser Einladung verbreiteten die „Muslim Students“ zudem eine WhatsApp-Nachricht mit langem Text in Studentenkreisen. Autorin laut erster Zeile ist eine Person namens „Sabrin“, die sich als Vorstand der „Muslim Students“ und „Botschafterin“ einer Benefiz-Woche von „Islamic Relief“ vorstellt.
Sie schreibt: „Samstag, der 7. Oktober, war ein Tag, der neben den unzähligen Erdbeben und Überschwemmungen (u.a. in Afghanistan. d. Red.) ein weiterer Schlag für die Ummah … sein sollte.“ Die „Ummah“, also die imaginierte globale muslimische Gemeinschaft, sagt sie, leide kollektiv, das Massaker aber an mehr als 1400 Israelis verleugnet sie. Im nächsten Satz heißt es, immer noch bezogen auf den Tag des Überfalls: „Mit der Kriegserklärung der israelischen Regierung (sic!) wurde Unvorstellbares zur Realität. Unsere Geschwister im Gazastreifen wurden in einem tödlichen Käfig hinterlassen.“
Zum Schluss heißt es: „Erst durch das Schaffen einer Einheit auf dem Wege Allahs wird Er uns … als Sieger erheben lassen.“
Die Charité reagierte schnell. Ihre Leitung erfuhr nach Angaben eines Sprechers am 22. Oktober von der Kooperation der „Muslim Students“ mit Islamic Relief. Am 26. Oktober wurde die Gruppe durch den übergeordneten Zusammenschluss der Charité-Studenten aufgelöst, die Website der Arbeitsgemeinschaft ist seitdem nicht mehr erreichbar. „Antisemitismus wird an der Charité nicht geduldet“, sagte der Sprecher.
Bildung gegen Israelhass? „Zieht nicht mehr ganz“
Dem entschlossenen Vorgehen der Charité zum Trotz: „Das sind die Ärzte von morgen, das sollte jeden Demokraten besorgen“, sagt Noam Petri von der Jüdischen Studierendenunion und Charité-Student.
Was ihn besonders umtreibe: Das Argument, Israelhass könne man „schlicht mit Bildung beikommen, zieht nicht mehr ganz, wenn Israelhass auch in einer so gut ausgebildeten Studierendenschaft verbreitet ist.“ Medizinstudenten, die einer islamistischen Ideologie anhingen, seien auch später in den Krankenhäusern und den ärztlichen Verbänden vertreten.
„Dozenten vermitteln unter dem Deckmantel postkolonialer Theorien ihre Gedanken an Studenten“
160 Teilnehmer zählte eine propalästinensische Demo vor der Freien Universität (FU) Berlin. Im Aufruf sprachen die Veranstalter von Völkermord im Gaza-Streifen und Apartheid. Lukas Honemann vom Ring Christlich-Demokratischer Studenten kritisiert antiisraelische Lehre an den Universitäten.
Quelle: WELT
Auch Constantin Ganß vom Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft sagt deshalb: Dass die Gruppe an der Charité aufgelöst wurde, sei konsequent. Nachfolgestrukturen müssten aber im Blick behalten und womöglich ebenfalls aufgelöst werden. Auch an anderen Universitäten sei dem Jungen Forum „bei vereinzelten Gruppen“ eine Zusammenarbeit mit Islamic Relief bekannt.
Um Antisemitismus aus der Ärzteschaft zu begegnen, hat sich kurz nach dem Überfall der Hamas eine lose Gruppierung zusammengetan, sie nennt sich „Ärztinnen und Ärzte gegen Antisemitismus“. Sie werde, teilt der daran beteiligte Rotem Lanzman mit, „mittels klarer Stellungnahmen gegen antisemitische Initiativen, Aussagen und Handlungen durch Gruppen oder einzelne Personen in Deutschland aktiv“ werden.
Die Gruppe wünsche sich, so Lanzman, ein „energisches Einschreiten gegen jegliche Form von Antisemitismus, aber auch ein klares Bekenntnis zum Existenz- und Selbstverteidigungsrecht Israels“ vonseiten der deutschen Ärzteschaft.
Ärzteverbände wollen Approbation unter Vorbehalt
Auf WELT-Anfrage äußerten sich Andreas Gassen von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sowie Bundesärztekammerchef Klaus Reinhardt entsprechend.
Wer sich nicht mit den durch das Grundgesetz vermittelten Werten identifiziere, wer antisemitisch agiere oder Terrorgruppen offen oder verdeckt unterstütze, habe in Deutschland nichts verloren, sagten sie einer gemeinsamen Mitteilung. Gassen und Reinhardt wollen dies auch explizit im Kontext Medizinstudium verstanden wissen: „Im Rahmen der akademischen ärztlichen Ausbildung sollten die Bundesländer, die ja für die Hochschulausbildung verantwortlich sind, über ähnliche Verpflichtungen nachdenken, wie sie für das Berufsbeamtentum gelten.“
So wie verfassungsfeindliche Bewerber nicht verbeamtet werden dürfen, dürfe, wer „antisemitische Volksverhetzung betreibt und terroristische Aktivitäten unterstützt“, keine Approbation erhalten.
Der Verband der Universitätsklinika hatte bereits kurz nach dem 7. Oktober den „barbarischen Überfall“ der Hamas auf Israel verurteilt. Eine Sprecherin verwies gegenüber WELT zudem auf die Bedeutung der Menschenrechts- und Grundwertevermittlung im Medizinstudium. Die Ethik-Lernziele für angehende Ärzte sind im Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin geregelt.
In der Sprache des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) heißt es dort, zukünftige Ärzte sollen „Diskriminierung aus rassistischen Gründen, wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechtes, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität erkennen“ lernen. Antisemitismus fehlt als eigenständige Kategorie. Diesen blinden Fleck, eine Prioritätensetzung gerade im Hochschulkontext zuungunsten verschiedenen Formen des Judenhasses und zugunsten Rassismus, hatten bereits vergangene Woche verschiedene Hochschulgruppen-Vertreter gegenüber WELT beklagt.