Carlos Tavares, der Chef des Autoriesen Stellantis (Opel, Fiat, Peugeot) ist in Brüssel endlich erhört worden. Seit Monaten fordert der Manager Schutzmaßnahmen gegen die unfaire Konkurrenz durch günstigere Elektroautos aus China. Jetzt hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede „zur Lage der Union“ angekündigt, dass ihre Behörde eine „Antisubventionsuntersuchung“ zu Elektrofahrzeugen aus China einleitet.
„Der Preis dieser Autos wird durch riesige staatliche Subventionen künstlich gedrückt. Das verzerrt unseren Markt“, sagte sie im Europaparlament in Straßburg. „Nun werden die Weltmärkte mit billigeren chinesischen Elektroautos überschwemmt.“ Eine solche Untersuchung kann zu Strafzöllen gegen Autoimporte aus China führen, sofern die EU dem Land unfaire Wettbewerbspraktiken nachweisen kann.
Doch genau darin liegt das Problem. Chinas Autoindustrie ist nicht allein aufgrund primitiver Subventionen zu einer gefährlichen Konkurrenz für Stellantis, Volkswagen oder Renault geworden. Die EU braucht klügere politische Maßnahmen als Zölle, um die Autoindustrie auf dem Kontinent zu stärken. Das zeigt auch der Blick in die USA und nach China.
Hinter dem Aufstieg der Volksrepublik zum Elektroauto-Riesen steckt ein großer politischer Plan, der in den meisten Punkten dem internationalen Handelsrecht entsprechen dürfte. Es ist zwar richtig, wenn die EU-Kommission denkbare Verstöße gegen WTO-Regeln überprüft. Aber Autobosse wie Tavares oder Volkswagen-Chef Oliver Blume sollten nicht allzu große Hoffnungen auf die Hilfe aus Brüssel setzen.
Sie müssen vor allem selbst um ihren Platz in der Automobilwelt kämpfen. China ist auf Kurs, um in diesem Jahr zum größten Autoexporteur der Welt aufzusteigen. Bis 2030, so schätzen Analysten der Investmentbank UBS, werden die Hersteller aus dem Land ein Drittel des Weltmarktes beherrschen.
Im vergangenen Jahr waren es 17 Prozent. In der Volksrepublik – dem größten Automarkt der Welt – sollen Ende des Jahrzehnts 80 Prozent aller verkauften Pkw von einheimischen Marken stammen, sagt die UBS voraus. Derzeit ist es knapp weniger als die Hälfte.
Schutzzölle gegen China-Autos für EU nicht sinnvoll
Schutzzölle wären eine brachiale Abwehrstrategie gegen die neue Konkurrenz; die USA haben sie unter Präsident Donald Trump eingeführt. Sie haben zur Folge, dass Wagen von Marken wie BYD, MG oder XPeng dort praktisch nicht angeboten werden – und US-Hersteller umgekehrt in China keine Rolle mehr spielen.
Dieser Weg scheidet für Europa aus. Denn das Geschäftsmodell der Exportwirtschaft funktioniert nur mit offenen Grenzen. BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen bauen jährlich Millionen Fahrzeuge in China – und exportieren kleinere Mengen davon inzwischen auch nach Europa, den Mini beispielsweise, den Smart und ein Modell der VW-Marke Cupra.
Sie würden selbst unter Strafzöllen leiden. Zulieferer aus ganz Europa verdienen außerdem mit am Aufstieg der neuen Automarken in der Volksrepublik, weil sie ihre Technologie dort herstellen und auch an Chinesen verkaufen.
Subventionen für neue Technologien, wie sie der Inflation Reduction Act von Joe Biden verspricht, gab es in der EU schon vorher. In Brüssel hatte man früh verstanden, dass Batteriezellfabriken wirtschaftsstrategisch bedeutend sein werden. Doch leider ist die Förderung in Europa derart kompliziert, dass Volkswagen und Tesla ihre Werke lieber ohne staatliches Geld bauen. Stellantis und Mercedes-Benz profitieren über ihr Gemeinschaftsunternehmen ACC davon; doch der Bau der Fabrik in Kaiserslautern kommt nicht in die Gänge.
Dass sich China weltweit Lieferketten für Batterierohstoffe sichert, hat man in der EU bedauerlicherweise verschlafen. In diesem Bereich liegt eine der größten Risiken der künftigen Autoindustrie. Die Konzerne versuchen nun, Verträge mit Lieferanten aus stabilen Ländern zu schließen.
Dabei muss die Politik helfen. Von der Leyen und die Regierungschefs sollten sich auf die Rahmenbedingungen der künftigen Autoindustrie konzentrieren, in einen umfassenden Sinn.
Freiräume für europäische Autoindustrie schaffen
Druck auf die Unternehmen haben sie schon genügend aufgebaut. Das Verbrennerverbot ab 2035 hat in der gesamten Industrie eine gewaltige Transformation entfesselt. Das ist gut, denn die Autobranche wird in den kommenden Jahren einen Technologie- und Qualifikationsschub erleben, von dem sie profitiert – auch im Konkurrenzkampf mit China.
Allein in Deutschland investieren die Unternehmen mehr als 250 Milliarden Euro binnen fünf Jahren. Verbrenner werden die großen Konzerne im Ausland weiter bauen, für Märkte, die sich nicht so schnell auf den Elektroantrieb drehen wie China und die EU. Besser als Protektionismus ist in Zeiten technologischer Umbrüche eine Strategie, die der eigenen Industrie Freiräume für Innovationen schafft.
Dass von der Leyen in ihrer Rede von einer „verantwortungsvollen Steuerung von Innovationen“ sprach, muss dagegen skeptisch machen. Spätestens wenn Chinas Autofirmen anfangen, in Europa zu produzieren, so wie es Tesla schon tut, werden Zölle nichts mehr gegen sie ausrichten können.
BYD, der neue Marktführer in der Volksrepublik, hat bereits angekündigt, dass er sich hier nach einem Werk umsieht. Und Volvo, eine Tochterfirma der chinesischen Geely-Gruppe, ist längst da.