Friday, April 19, 2024

Ausstellung „Who by Fire: On Israel“ – „Man lebt in diesem Land nicht einfach so“

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Plonk macht es. Der Stein trifft die Scheibe – und prallt ab. Dann fliegt der nächste. Nach dem dritten Wurf fühlt man sich recht sicher. Was soll dieser David gegen den Glasgoliath zeitgenössischer Sicherheitsarchitektur schon ausrichten? Versuchs’s ruhig weiter, du Vandale. Das tut er auch. Doch dann, von einem Moment auf den anderen, ohne Vorwarnung oder prophetische Kratzer, birst die Scheibe. Von der Barriere gegen die Gewalt bleibt nur ein Haufen bläulicher Krümel übrig.

„Das Steinewerfen ist eine natürliche Handlung“, schreibt der Künstler Avner Pinchover zu seiner Arbeit „Riot Glass“. „Trotz des technologischen Fortschritts steht es nach wie vor an der Spitze unzähliger zeitgenössischer Konflikte.“ Das klingt anerkennend. Beifall für Steinewerfer?

Die Videoarbeit ist Teil einer Ausstellung über israelische Kunst im Haus am Lützowplatz in Berlin. Kuratiert wurde sie von dem in Tel Aviv lebenden Künstler Liav Mizrahi in Zusammenarbeit mit dem Direktor des Hauses, Marc Wellmann. Entstanden ist das Konzept zu „Who by Fire: On Israel“ während der Anti-Netanjahu-Proteste von 2021, die Massen von Menschen auf die Straße brachten.

Seitdem hat sich die Lage im Land weiter verschärft. Der jüdische Staat ist nicht nur von Terror und Irans Atomprogramm bedroht, er befindet sich auch in einer schweren innenpolitischen Krise. Auslöser ist eine sogenannte Justizreform. Premier Benjamin Netanjahu regiert mit Rechtsextremen, er will den Obersten Gerichtshof entmachten, der bisher noch Parlamentsentscheidungen aufheben kann, und mehr Macht des Parlaments bei der Auswahl von Richtern durchsetzen. Ein Orbánisierung Israels droht – oder Schlimmeres.

Avner Pinchover, „Riot Glass“ von 2019

Avner Pinchover, „Riot Glass“ von 2019
Quelle: Misha Kaminsky

„Es ist vorstellbar“, schrieb Kurator Liav Mizrahi im März in einem Text für die Schau, „dass diese Ausstellung aufgrund der politischen Veränderungen und der aktuellen Lage im Land – im Augenblick befinden wir uns am Rande eines Bürgerkriegs – in Israel nicht mehr gezeigt werden könnte.“ Kann das wirklich sein? Ist die vor 75 Jahren etablierte israelische Demokratie wirklich so gefährdet, dass sie die Kunstfreiheit und am Ende sich selbst abschafft?

„Es gibt Zensur in Israel, aber sie ist sehr schwer fassbar“, sagt Liav Mizrahi auf die Frage, ob die Kunst in seinem Land noch frei sei. „Manchmal tarnt sich die Zensur als ‚Schutz der Öffentlichkeit‘ und manchmal als ‚Schutz der Religion‘ und dergleichen. In der institutionellen, öffentlichen Kunstwelt gibt es meiner Meinung nach eine Selbstzensur bei Ausstellungen, die kaum etwas mit dem zu tun hat, was vor Ort in Israel geschieht. Politische Ausstellungen oder politische Werke werden in privaten oder in Künstlerräumen gezeigt.“

Mit deutschem Geld finanziert

Bei der Eröffnung von „Who by Fire“ am 8. Juni wird der israelische Botschafter in Deutschland sprechen, die Botschaft subventioniert die Schau aber nicht. Stattdessen fördern die Amadeu-Antonio-Stiftung und die Kulturstifung des Bundes das Vorhaben, das damit komplett mit deutschem Geld finanziert wird. Ist Berlin nun das Ausweichquartier für israelische Künstler, die nicht mehr alles zeigen dürfen?

Extrem ist die Ausstellung nicht. Die Kunstwerke sind direkt und oft privat, aber eher symbolisch als agitativ. Ein Gemälde des in Tel Aviv lebenden, arabisch-israelischen Malers Durar Bacri zeigt eine Kaktusfeige vor der Skyline von Tel Aviv. Die Feige, lernen wir, steht symbolisch für die vertriebenen Araber und Araberinnern Israels, aber auch für die neuen Bürger, die in Israel geboren wurden, nachdem ihre jüdischen Eltern dorthin eingewandert waren. Ein doppeldeutiges Bild.

Zuletzt war es schwieriger geworden, Künstler aus Israel auszustellen. Die Boykottbewegung BDS hat den Kunstbetrieb international unter Druck gesetzt, sich eindeutig propalästinensisch und damit gegen Israel zu positionieren (was nicht zuletzt eine fragwürdige Dichotomie darstellt). Bei der Weltkunstschau Documenta fifteen 2022 waren gar keine israelischen Künstler vertreten gewesen, der Staat als verteufelte Besatzungsmacht dagegen gleich mehrfach.

Fatma Shanan, „Ohne Titel / Untitled“, 2020

Fatma Shanan, „Ohne Titel / Untitled“, 2020
Quelle: Fatma Shanan/Courtesy Dittrich & Schlechtriem

Die von der dezidiert antiisraelischen Positionierung der Kuratoren und den offen antisemitischen Darstellungen in einigen der in Kassel gezeigten Werke ausgelöste kulturpolitische Krise schwelt in Deutschland weiter. Zuletzt wurde Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) bei dem jüdischen Musikwettbewerb Jewrovision ausgebuht, von anderen jüdischen Künstlern und Intellektuellen per offenem Brief in Schutz genommen und wiederum anderen wieder kritisiert („Nicht in unseren Namen“). Dabei ging es auch in dieser Auseinandersetzung ganz stark um Israel.

Und das macht diese Schau so wichtig. Sie lässt sich keiner Seite eindeutig zurechnen, stellt Perspektiven aus dem Land selbst vor, nicht die Projektion von außen. Die Vorfälle bei der Documenta hätten in Israel nur Connaisseure beschäftigt, sagt Liav Mizrah, eine Diskussion darüber sei nicht in Gang gekommen: „Das Leben in Israel ist auch ohne die Documenta-Ereignisse intensiv und verrückt genug.“

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Abschlussbericht vorgelegt

Man glaubt’s. Der Titel der Schau, „Who by Fire“, geht auf einen Leonard-Cohen-Song zurück. Der jüdisch-kanadische Autor und Musiker ging im Jahr 1973 nach Israel, um einer Schreibblockade zu entkommen, schloss sich spontan einer Musikergruppe an und besuchte mit ihr Armeestützpunkte auf dem Sinai während des Jom-Kippur-Krieges.

Der Text des Songs basiert auf einer liturgischen und also religiösen Dichtung, die an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, gesungen wird. Doch anstatt dann auch wirklich einzuwandern, verließ Cohen Israel wieder. „Als Jude verhielt er sich nicht so, wie es von ihm erwartet wurde“, sagt Mizrahi, es sei kein zionistischer Künstler aus ihm geworden.

In diesem Herbst jährt sich der Jom-Kippur-Krieg zum 50. Mal. Damals griffen mehrere arabische Staaten überraschend Israel an – und scheiterten. Wehrhaftigkeit ist notwendigerweise Teil der israelischen Identität. Der mächtige „Merkava“-Panzer, den die Künstlerin Dina Shenhav 2019 baute, ist so riesig wie das Original, besteht allerdings aus Schaumstoff. Der Tochter einer aus Deutschland geflohenen Jüdin wurde körperlich schlecht vom Anblick von Panzern. Ihre Arbeit ist eine Form der Bewältigung und zeigt alle Facetten: die Gewalt, das Beschützende und auch das Absurde.

Düsterer Humor

Die Notwendigkeit, aufzurüsten, formt den Alltag und bringt gleichzeitig seltsame Formen hervor. Da ist ein Dorf mit dem Decknamen „Detroit“, das wie eine arabische Siedlung aussieht und zur Simulation von Kampfhandlungen der israelischen Armee dient. Amir Yatziv fand Pläne für den Ort und legte sie Stadtplanern mit der Bitte um Verbesserungen vor. In seinem Video sehen wir den Urbanisten zu, wie sie sich den Kopf über die seltsame Siedlung zerbrechen und sich fragen, was das wohl sein mag: ein traditionell wirkendes Dorf, aber ohne kulturelle und soziale Infrastruktur. „Detroit“ ist ein Werk von düsterem Humor.

Dass die Region eine Kampfzone ist, weiß man. Immer wieder fliegen Raketen in israelische Städte, und die Gebiete des besetzten Westjordanlandes mitsamt den jüdischen Siedlungen befinden sich seit Jahrzehnten in einem Dauerkonflikt. Wer die Leute sind, die dort den Status Quo managen müssen, ist für Europäer überraschend – halbe Kinder, die eben noch zur Schule gingen und die sich plötzlich mit einem Gewehr in Hebron wiederfinden. In einem Land mit dreijähriger Wehrpflicht ist der Dienst an der Waffe eine Erfahrung, die alle verbindet (bis auf die Orthodoxen). Was bedeutet das, auch für die Zukunft?

Kurator Liav Mizrahi

Kurator Liav Mizrahi
Quelle: Orel Choen

In der Videoarbeit „L.I.A.M.“ interviewt der Künstler Leon Kahane seinen Neffen im Haus seiner Schwester. Liam macht sich für den Dienstantritt beim Militär am kommenden Morgen bereit. Er packt die richtigen T-Shirts und Socken ein und unterhält sich dabei mit Kahane auf Deutsch mit israelischem Akzent. Liam ist aufgeregt. Viele Dinge gehen ihm durch den Kopf. Stolz sei er, weil man ihm als 18-Jährigem so viel Verantwortung gebe. Er scheint aber bereits zu wissen, dass er nach drei Jahren in Uniform ein anderer sein wird. Ob das nun gut oder schlecht ist, es geht nicht anders: „Man lebt in diesem Land nicht einfach so“, sagt er.

Ein wichtiger Satz. Politische Haltungen hängen stark davon ab, welche Erfahrungen jemand macht – und solche Erfahrungen lassen sich nicht gegeneinander aufrechnen. „Who by Fire“ versucht das auch gar nicht. Es lässt konträre Positionen zu. „Ich kann die Wut auf der Straße verstehen …“, schreibt der Maler Durar Bacri in einem Statement für die Schau zur Lage des Landes. „Aber ich selbst fühle mich nicht als Teil dieses Kampfes, und ich denke nicht, dass Israel eine echte Demokratie ist. Vielmehr erscheint es mir absurd, jüdisch und demokratisch in einem Satz zu sagen. Meiner Meinung nach kann Religion nicht Hand in Hand mit Demokratie gehen.“

Der Maler der Kaktusfeige, der an der Bezalel-Akademie in Jerusalem studierte und auf dem Weg dorthin am Tag achtmal gefilzt wurde, bis er irgendwann nie wieder hinfuhr, hat ein anderes Verhältnis zu Israel als der jüdische Wehrpflichtige Liam. Wen überrascht es? Alle, denen man in der Schau begegnet, sind auf ihre Weise Zeugen einer vertrackten, vielleicht fatalen Konstellation, die sich gerade an einem besonders kritischen Punkt befindet.

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