Es dauerte wie immer etwas länger in Bremen als in anderen Bundesländern, die ersten Zahlen ließen ein wenig auf sich warten – aber spätestens mit der ersten Prognose war klar: Bremens SPD ist der Sieger der 20. Bürgerschaftswahl der Nachkriegsgeschichte. Die Sozialdemokraten mit ihrem Spitzenkandidaten Andreas Bovenschulte lassen die Union und vor allem die Grünen an der Weser deutlich hinter sich.
Ein „grandioses Ergebnis“, so Bovenschulte, der nun absehbar auch dem nächsten Bremer Senat vorstehen wird – und der seiner Bundespartei für kommende Wahlkämpfe fast schon eine Blaupause lieferte. Er freue sich „wahnsinnig über den Erfolg, den wir heute erleben“, jubelte SPD-Chef Lars Klingbeil schon nach der 18-Uhr-Prognose der Meinungsforscher. „Andreas Bovenschulte ist ein toller Bürgermeister.“ Einer, dessen Wahlkampf sich auch die SPD im Bund, auch Bundeskanzler Olaf Scholz sehr genau anschauen werden.
Bovenschultes Kalkül jedenfalls, sich im Wahlkampf gleichermaßen von der CDU wie vom grünen Koalitionspartner abzusetzen, ist vollständig aufgegangen. Ein Großteil der Verluste, die die Öko-Partei in Bremen einfuhr, kamen nach ersten Analysen der Wählerwanderung der SPD zugute und lieferten so die Grundlage für diesen Wahlsieg. Die klare Abgrenzung vom langjährigen Lieblings-Koalitionspartner könnte ein Erfolgsrezept werden für die Sozialdemokratie.
Das Ergebnis in Bremen ist beachtlich. Anders als vor vier Jahren, als im Grunde die Grünen darüber entscheiden durften, ob die SPD oder die CDU ins Rathaus einzögen, werden es nach diesem Wahlkampf, nach diesem Wahlabend absehbar die Sozialdemokraten sein, die die freie Auswahl bei der Regierungsbildung haben.
Ein erneutes Bündnis mit der an der Weser pragmatisch, nicht ideologisch agierenden Linken und den Grünen? Oder doch eine große Koalition? Vielleicht sogar eine Ampel-Koalition? Bovenschulte ließ sich auch am Wahlabend noch nicht in die Karten schauen. Man werde jetzt „mit allen demokratischen Parteien Gespräche führen“, so der 57-Jährige im ZDF. Wichtig sei ihm, dass die Themen „Wirtschaft und Arbeit“ noch stärker in den Mittelpunkt der künftigen Senatsarbeit gestellt würden.
In diesem Sinne will der Bürgermeister in den kommenden Tagen mit allen Parteien außerhalb des rechtskonservativen Lagers Sondierungsgespräche führen. Auch mit der FDP, die allerdings äußerst geringe Chancen hat, mitregieren zu dürfen. Für ein Zweierbündnis mit der SPD reicht es für die Liberalen, die auch an diesem Sonntag wieder um den Einzug in ein Landesparlament bangten, längst nicht. Und mit den Grünen verstehen sich die Freien Demokraten an der Weser in etwa so gut wie die Fans des SV Werder mit denen des Hamburger SV. Eine Ampel-Koalition ist das unwahrscheinlichste aller rechnerisch denkbaren Bündnisse an der Weser.
Stattdessen wird es erneut auf eine rot-grün-rote oder aber eine große Koalition der SPD mit den Christdemokraten hinauslaufen. Wobei die Chancen der CDU in dem Maße wachsen werden, in dem die Grünen trotz ihrer Stimmenverluste keine Abstriche hinnehmen wollen bei ihren Herzensthemen Verkehrswende und Klimaschutz.
Klimaschutz nur, wenn er „sozialverträglich“ ist
Das Ziel einer autofreien Innenstadt bis zum Jahr 2030 zum Beispiel, das die Grünen 2019 trotz erheblicher Bedenken der SPD in den Koalitionsvertrag verhandelten, würde sich in einem neuen Abkommen mit Bovenschultes Sozialdemokraten absehbar nicht noch einmal durchsetzen lassen.
Zudem machte der Bürgermeister noch unmittelbar vor der Wahl mit strengem Blick auf die Grünen klar, dass „Klimaschutz mit der Brechstange“ mit ihm künftig nicht zu machen sein werde. Die Transformation zu einer klimagerechten Industriegesellschaft, so Bremens Bürgermeister, könne nur „sozialverträglich“ umgesetzt werden, wenn sie gelingen solle.
Klarer Schwerpunkt der nun bevorstehenden Verhandlungen wird für Bovenschulte deshalb die Zukunft der hanseatischen Wirtschaft sein. Bremen, das ist das im Wahlkampf wieder und wieder deklarierte Ziel des Spitzenkandidaten, soll in den kommenden Jahren das wirtschaftsfreundlichste und damit zugleich das arbeitnehmerfreundlichste Bundesland werden. Den Grundstein für eine solche Entwicklung zumindest mit gelegt zu haben, schreibt sich Bovenschulte schon jetzt auf die Habenseite seiner Regierungstätigkeit. Bremen war kumuliert in den Jahren 2020 bis 2022 das Bundesland mit dem stärksten Wirtschaftswachstum innerhalb Deutschlands.
Eine Bilanz, die aus Sicht des Bürgermeisters erst die Voraussetzung dafür bildet, die strukturellen Schwächen der Hansestadt zu überwinden und damit auch endlich jene finanz- und bildungspolitischen Defizite zu beseitigen, die Bremen über Jahrzehnte zu einem der großen Sorgenbundesländer haben werden lassen.
Einen solchen – im Grunde den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft folgenden – Versuch des ökonomischen und sozialen Aufstiegs mittragen zu wollen, wird Voraussetzung sein für die Grünen und die in der Hansestadt pragmatisch auftretende Linkspartei, wenn sie das Bündnis mit Bovenschulte und der Bremer SPD fortsetzen wollen. Andernfalls könnte der Weg des Bürgermeisters schnell in Richtung CDU führen, aber eben auch nur dann.
Die Bremer SPD wird Bovenschultes Kurs folgen. Der 57-Jährige war schon in der vergangenen Legislaturperiode – auch dank der besonderen Umstände der Corona-Pandemie – ein dominanterer, präsenterer, auch beliebterer Bürgermeister als viele seiner Vorgänger. Folge: Im Direktvergleich hatte er in den Vorwahl-Umfragen deutlich bessere Werte als sein christdemokratischer Herausforderer Frank Imhoff.
Frank Imhoff – „Die CDU ist toll, danke schön“
Nach der Bürgerschaftswahl in Bremen zeigt sich der CDU-Spitzenkandidat Frank Imhoff zufrieden. „Wir haben den Wahlkampf gerockt.“ Die CDU habe im Wahlkampf alles gegeben und sei „toll“.
Quelle: WELT
Zuletzt sprachen sich 60 Prozent der Befragten Bremer für Bovenschulte als Senatschef aus, für Imhoff votierten 23 Prozent. Zum Vergleich: 2019 lag das Verhältnis zwischen dem damaligen SPD-Bürgermeister Carsten Sieling und seinem CDU-Rivalen Carsten Meyer-Heder bei 42 Prozent zu 36 Prozent. Der Wahlsieg der SPD, die Rückkehr der Sozialdemokratie auf Platz eins unter den Bürgerschaftsparteien, geht zum Großteil auf das Konto ihres Spitzenkandidaten. Eine andere Botschaft als den Bürgermeister hatte die Partei auch nicht in diesem Wahlkampf.
Entsprechend fest sitzt Bovenschulte im Bremer Sattel. Innerhalb der Sozialdemokratie ist er so unumstritten sein wie zuletzt vielleicht Hans Koschnick, an der Weser legendärer Senatschef von 1967 bis 1985. Seit dessen Rücktritt hatte die SPD ihren Stimmenanteil hier langsam, aber sicher von gut 50 Prozent im Jahr 1987 auf 24,9 im Jahr 2019 halbiert. Vor vier Jahren waren die Sozialdemokraten erstmals in der Geschichte des Bundeslandes hinter die CDU zurückgefallen. Eine weitere Niederlage gegen die Union in diesem Jahr hätte für die SPD fast unweigerlich den Marsch in die Opposition bedeutet.
Einen solchen Absturz verhindert zu haben, macht Bovenschulte für die kommenden vier Jahre unantastbar – und, falls die SPD im Bund eines Tages Bedarf haben sollte, auch zu einem Kandidaten für eine Aufgabe in Berlin. Auch und gerade weil dieser die von der SPD zunehmend kritisch gesehenen Grünen in die Schranken gewiesen hat.
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