Sebastién Haller strahlte, aber er war nicht rundum zufrieden. Die Schlussphase des Spiels, das über weite Strecken eine Galavorstellung von Borussia Dortmund war, habe ihm nicht gefallen. „Das ist der Punkt, den wir verbessern müssen. Die Einstellung muss da besser werden“, sagte der Mittelstürmer nach dem 5:2 (4:0) über Borussia Mönchengladbach.
Dies sei etwas, so Haller, das ihn umtreibe. Vor allen Dingen deshalb, weil dieses schwarz-gelbe Phänomen am Samstag ja nicht zum ersten Mal aufgetreten ist.
Wahrscheinlich hätte Haller dieses Nachlassen in Bezug auf Konzentration und Schärfe sonst auch gar nicht thematisiert – nach dieser erneut beeindruckenden Offensivleistung: Nach dem 4:0 über den VfL Wolfsburg eine Woche zuvor wurden nun auch die Gladbacher in der ersten Halbzeit regelrecht auseinandergeschraubt.
Es war Hochgeschwindigkeitsfußball von bester Qualität, entschlossen vorgetragen. Bereits 53 Treffer hat der BVB im Jahr 2023 erzielt – mehr als jede andere Mannschaft in Europa. „In diesem Jahr kann man sehen, dass wir das beste Team in Deutschland sind“, erklärte Haller.
Das Dilemma ist nur: Das aktuell stärkste Team der Bundesliga steht nicht an der Spitze – und würde selbst bei zwei weiteren Siegen nicht mehr Deutscher Meister werden, sollten die Bayern nicht doch noch einmal stolpern. Das haben sich die Dortmunder selbst zuzuschreiben und es könnte eine große Tragik am Ende einer Spielzeit werden, in der für den BVB viel möglich gewesen wäre.
Mehrfach eine Führung verspielt
Doch das, was in der Schlussphase des Gladbach-Spiels passierte – und diesmal ergebnistechnisch nicht mehr ins Gewicht fiel – ist den Dortmunder halt zu oft passiert. Am Samstag ließ der BVB einen bereits geschlagenen Gegner noch einmal schnuppern, gestattete ihm zwei Treffer.
Zu mehr reichte es für die Gladbacher nicht mehr – im Gegensatz zu den Bremern. Gegen sie wurde nach einer 2:0-Führung noch 2:3 verloren. Oder gegen die Schalker, bei denen trotz zweimaliger Führung nur 2:2 gespielt wurde. Oder gegen die Stuttgarter, denen die Dortmunder trotz einer 2:0- und 3:2-Führung in Überzahl einen Punkt noch regelrecht aufgenötigt hatten. Am Ende hatte es dort 3:3 geheißen.
Möglicherweise könnte am Ende auch das 1:1 in Bochum vor drei Wochen ausschlaggebend sein, als dem BVB ein Strafstoß nicht gegeben wurde, den er hätte bekommen müssen. Doch hauptsächlich dürfte es an eigenem Verschulden liegen, sollte es am letzten Spieltag nichts zu feiern geben. In jedem Fall wäre es ein großes Ärgernis.
Natürlich darf dies nicht so gesagt werden. Jetzt noch nicht. „Wir sind ja noch nicht fertig. Wir haben noch zwei Aufgaben vor uns“, sagte Trainer Edin Terzic.
Am kommenden Sonntag muss der BVB beim FC Augsburg antreten, der den Klassenverbleib immer noch nicht gesichert hat. Am letzten Spieltag kommt dann der FSV Mainz 05, möglicherweise dann immer noch mit Chancen auf die Conference- oder gar Europa League. Die Münchener bekommen es mit RB Leipzig und dann auswärts mit dem 1. FC Köln zu tun.
Im Hinblick auf das kommende Wochenende, wenn der Konkurrent einen Tag vor den Dortmundern spielen wird, bleibt Terzic bei seiner Linie: bloß nicht mehr ablenken lassen. „Wir können das Spiel der Bayern nicht beeinflussen. Wenn es angepfiffen wird, stehen wir auf dem Trainingsplatz, anschließend fahren wir nach Augsburg. Wir können von außen Druck machen, aber nicht, indem wir uns über den Spielplan beschweren.“ Es passt den Dortmunder nicht, dass sie, schon zum dritten Mal in Folge, nachlegen müssen.
Vor den entscheidenden Wochen versuchen sie beim BVB die Probleme zu verdrängen, die ihnen die bessere Ausgangsposition gekostet haben. Terzic arbeitet mit positiven Verstärkungen.
„Haben eine Botschaft geschickt“
„Auch wenn es gerade in der zweiten Halbzeit einiges zu meckern gibt, darf man nicht vergessen, dass wir ein gutes Heimspiel gemacht haben“, sagte der Coach: „Ich glaube, wir haben heute eine Botschaft geschickt. Dass wir noch immer da sind, dass wir noch immer jagen und dass wir bereit sind, bis zum Schluss alles zu tun. Die Bayern müssen Gas geben, wir werden Gas geben.“
Terzic verwies zudem darauf, dass der BVB die meisten Joker-Tore aufweisen kann, was für Qualität in der Breite spricht. Und vor allem darauf, dass es mittlerweile gelingt, sein Offensivkonzept mit den schnellen Angriffen nach nur wenig Ballkontakten immer besser umzusetzen.
Das hängt vor allem mit Haller zusammen, der physisch zugelegt und an Sicherheit gewonnen hat. Gegen Gladbach traf der 28-Jährige doppelt, profitierte dabei erneut davon, dass sich Karim Adeyemi (21) und Donyell Malen (24), die beiden Flügelstürmer, ebenfalls immer mehr ihrer Topform nähern.
Gegen Wolfsburg hatte Adeyemi doppelt getroffen und Haller einen Treffer aufgelegt. Gegen Gladbach leitete Malen, der gegen Wolfsburg ebenfalls getroffen hatte, zwei Tore für Haller ein. Zudem hatte der Niederländer den Führungstreffer erzielt – nach Zuspiel von Haller.
Es ist eine durchaus bemerkenswerte Entwicklung, die sich vollzogen hat: Die Mannschaft, die abgeschlagen auf Platz sechs und mit neun Punkten Rückstand auf die Spitze überwintern musste, spielt derzeit den besten Fußball in der Bundesliga – offensiv wie technisch.
„Es ist für mich ein Bonus, hier zu spielen“, sagte Haller, der wegen seiner Krebserkrankung erst ab Januar wieder spielfähig war. Es bereite ihm große Freude, besonders dann, wenn der BVB wie in den ersten sechzig Minuten gegen Gladbach „sehr dominant auftritt.“
Vielleicht, so Haller, „haben wir da wie ein Meister gespielt.“ In dieser Aussage klang auch Wehmut durch. Denn egal, wie gut die Dortmunder in den letzten beiden Bundesliga-Spielen auch sein werden – sie haben es nicht mehr in der eigenen Hand.