Nun reitet sie also wieder für die Ehre Österreichs und die Unterhaltungssucht der Deutschen, als Fackelträgerin des Kaiserinnenkitsches und Gallionsfigur für Blümchensex zwischen Spitzenbettlaken und unter Stuckdecken. Sisi ist wieder da, dabei war sie gerade 2022 überhaupt nicht weg.
Denn bis jetzt auf RTL+ (und ab 27. Dezember auch kostenfrei) die zweite Staffel der manierlichen Krönchen-Serie mit der seelenvollen Dominique Devenport als Österreichs k.u.k-Sweatheart und dem feschen Jannik Schümann als Kaiser Franz Joseph I. an den Start ging, hat sich im royalen Medienmarkt einiges getan. Sisi säuselt samtig in der Dauerschleife. Der pappige Kaiserschmarrn ist auf jedem nur denkbaren Kanal angerichtet.
Netflix hat mit der sahnefetten „Kaiserin“ ebenfalls sechsfolgig auf dem Serienmarkt nachgelegt. Die Qualen der alternden Regentin schnürte der Kinofilm „Corsage“ der österreichische Regisseurin Marie Kreutzer auf. Und selbst die sonst so strenge Schriftstellerin Karen Duve ist der Elisabeth Amalie Eugenie, Herzogin in Bayern und späteren Kaiserin von Österreich-Ungarn verfallen. Dieser sich selbst am wenigsten schonenden Influencerin, Reiterin, unabhängigen, weil reichen royalen Frau und geschickt manipulierenden Imagebastlerin. Sie war ihr einen vielhundertseitigen Roman wert, den die hohe Literaturkritik beifällig aufnahm.
Immerhin schreiben sie Sisi jetzt alle korrekt mit einfachem „s“. So viel Authentizität ist inzwischen Pflicht angesichts einer Frau, die unter ihren vielen, mehr oder weniger fantasiebegabten Nachschöpfungen kaum noch zu ergründen ist. Seit ihrem Tod im Jahr 1898 durch eine italienische Anarchistenfeile bosselt und projiziert sich jeder sein eigenes schönes oder hässliches Frauenbild in Sisis Namen zusammen.
Und so geistert längst ein nicht mehr zu stoppender, kaum noch wirklich fasslicher Popanz herum aus Fitnessfee und Haarfetischistin, frigider Frau, Möchtegerndichterin und kaltherziger Gattin wie Mutter einerseits, vom bösen Hofprotokoll fertiggemachter schöner Seele, emanzipiertem, freiheitsliebendem Geist, für die unterdrückten Ungarn brennender Politstrategin und Franzls großer Liebe anderseits.
Durch einen artifiziellen, bisweilen auch nur schrottigen Haufen von Filmen, Serien, Romanen, Biografien, Parodien, Musicals, Kinderzeichentrick. Einmal lächelt der Mund porzellanpuppenhaft, dann verzieht er sich zu eine seelenlosen Avatar-Grimasse. Und während Herzogin Meghan von Sussex via Netflix nicht enden wollend als stinkreiches Möchtegernopfer über die Verfolgung durch das Biest Medien greint, wird der ersten Ikone der Presse und der bunten Blätter des 19. Jahrhunderts schon das nächste Denkmal bereitet.
Macht, Missbrauch und Humor
Länger schon verschoben, soll im März „Sisi und ich“ Premiere haben, das gemeinsame Filmprojekt von Frauke Finsterwalder und ihrem Drehbuchautor wie Ehemann Christian Kracht. Um „Macht, Erniedrigung, Missbrauch und Humor“ soll es gehen, wenn der royalrote Teppich jetzt noch einmal neu aus der Perspektive von Zofe Irma alias Sandra Hüller ausgerollt wird.
Die erstaunlich populäre, durchaus mit Produktionsschauwerten aufwartende RTL-Sisi zeigte sich in der ersten Staffel der Masturbation kundig, reiste nach Schönbrunn mit Dildo und als Zofe ausgegebener Prostituiertenlehrmeisterin. Musste sich dann aber der historischen Wahrheit wie der gestreng die Lippe kräuselnden Schwiegermama Sophie (alias Désirée Nosbusch) beugen.
„Sisi“ – Jetzt als Serie
Jahr für Jahr flimmern Romy Schneider und Karlheinz Böhm zur Weihnachtszeit über die heimischen Fernseher. Nun kommt die Neuinterpretation des historischen Stoffes – mit Dominique Devenport und Jannik Schümann.
Quelle: RTL
In der zweiten Staffel, wieder im eher nördlich kühlen Licht Litauens und Lettlands gedreht, wird es nach zwei kameratechnisch virtuosen Folgen total absurd: Da wird die quasi inkognito beim Grafen Andrassy Feriendiplomatie als Landliebe betreibende Kaiserin von einem wie Arpad, der Zigeuner zurechtgezauselten Rebellen (der arme Murathan Muslu) entführt und in einem feuchten Keller in Ketten gelegt.
Der Gatte in Wien, der es mit einer Karikatur von Bismarck (Bernd Hölscher) zu tun bekommt, der mit Pickelhaube und deutscher Dogge auftritt, die er vorher auf des Kaisers Statue hat pinkeln lassen, rafft natürlich nichts. Darf aber später in der desaströsen Schlacht von Königgrätz in vorderster Front als Action Man mit Messer und Bajonett Preußen schlachten, als sei der Massentod auf kaiserlichen Befehl (in Wirklichkeit natürlich aus dem fernen Wien) ein Wochenendvergnügen.
Und obwohl sich sowohl Dominique Devenport und Jannik Schümann mühen, ihren dauernd emotional die Seiten wechselnden royalen Rollenpappkameraden irgendeine Form von glaubwürdiger Schauspielerei zu verleihen, können sie die klaffenden Löcher im zwischen historischer Wahrheit und vorhersehbarer Sex-and-Crime-TV-Action schunkelnden Drehbuch kaum schließen. Noch nicht mal die originale Stephanskrone für die ungarische Königskrönung, mit der die zweite Staffel schließt, wollte man nachbilden. Es ist halt wieder nur irgendein billiges Requisit. Merkt ja eh keiner.
„Ich will einen Mann, der meine Seele satt macht“, seufzt die Netflix-„Kaiserin“ Devrim Lingnau heftchenromansüß und knutscht schon bei der Erstbegegnung in Ischl leidenschaftlich mit ihrem Franzl (Philip Froissant). Immerhin gibt es ja als würzigen Sidekick noch den attraktiven Bruder Maximilian (frech: Johannes Nussbaum), der mit Drogenparty und Franz Liszt als DJ am Klavier verführt.
„Der Hof nimmt dir die Luft zum Atmen“
Das bei Romy Schneider so nette „Papilein“ erschießt bei Netflix das Pferd der regellosen Tochter und zitiert Heine. Die Erzherzogin Sophie (Melika Fourutan) schreitet – es wurde in Franken gedreht – statt durch Schönbrunn durch das digital aufgehübschte Schloss Pommersfelden und gibt die geübte PR-Strategin: „Es sind schwierige Zeiten. Geben wir dem Volk etwas zum Träumen.“
Die RTL-Sisi ist erkenntnismäßig in Sachen wohlfeiler Feudalismuskritik schon weiter: „Der Hof ist wie ein zu eng geschnürtes Korsett. Er nimmt dir die Luft zum Atmen.“ Also weg mit dem Fischbein, es soll nackte Haut gezeigt werden. Die Romantikschnulze darf gern auch Softporno werden. Das ist eben der Zeitgeist.
Dem muss sich auch eine Sisi von heute beugen. Die aber seltsamerweise, entsprechend zurechtgebogen, immer wieder neu als zumindest oberflächliche Identifikationsfigur taugt. Ein Mythos des 19. Jahrhunderts als sorglos gefittetes Rollenmodel des 21. Jahrhunderts. Unter dessen schöner Schärpe allerdings nur die Klischees des Biedermeiers lauern. Die scheinbar radikale Frau bleibt am Ende dann aber nur doch die ewig manipulierte Märchenkönigin der Herzen.