Steigt die Lebenserwartung der Deutschen um ein Jahr, soll auch das reguläre gesetzliche Renteneintrittsalter um einen Monat steigen. Das hat der stellvertretende Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) vorgeschlagen und damit den ersten konkreten Vorstoß der Union zur wieder entflammten Rentendebatte eingebracht.
Anstoß waren Äußerungen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), wonach es gelte, „den Anteil derer zu steigern, die wirklich bis zum Renteneintrittsalter arbeiten können“. Dieses Alter liegt je nach Geburtsjahrgang zurzeit zwischen 65 und 67 Jahren, doch der Trend geht zur Frühverrentung mit 63 oder 64 Jahren.
Rückhalt für Spahns Vorstoß jedoch gab es nicht – nicht einmal in der eigenen Unionsfraktion. Deren Chef Friedrich Merz (CDU) ließ auf Nachfrage lediglich auf eine Pressekonferenz von vergangener Woche verweisen. Merz hatte sich dort unter anderem offen für eine „angemessene Regelung auch des Renteneintrittsalters“ gezeigt.
FDP meldet Zweifel an der Logik der Union an
Die Reaktionen der Ampel-Parteien klangen bisweilen sogar höhnisch. „Ganz alter Wein in neuen Schläuchen: Die Jungs aus der Merz-CDU wollen eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit“, sagte Katja Mast, erste parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, zu Spahns Vorschlag. „Die billige politische Forderung nach einem höheren Renteneintrittsalter träfe Menschen, die für wenig Geld arbeiten, besonders hart“, sagt sie. „Vorschläge, wie die Menschen gesund und fit das Rentenalter erreichen“, seien aus der Union dagegen nicht zu hören.
Der Vorsitzende der FDP-Fraktion Christian Dürr meldete Zweifel an, ob der Vorschlag überhaupt logisch sei: „Die Lebenserwartung ist in den letzten 15 Jahren um gerade mal ein Jahr gestiegen. Nach den Vorstellungen von Herrn Spahn würden die Betroffenen also genau einen Monat länger arbeiten“, sagte Dürr.
Statt einer Erhöhung des Eintrittsalters für alle werbe die FDP für Flexibilität, sagte Dürr; in Ländern wie Schweden habe das zu einer höheren Lebensarbeitszeit geführt. Ein späterer Renteneintritt dagegen sei „gerade für Menschen in körperlich anstrengenden Berufen keine Option“, kritisierte Dürr. Die Ampel-Koalition setze zur Stärkung der Rente auf die gesetzliche Aktienrente und ein neues Einwanderungsgesetz. „Im Gegensatz zur Union hat die Ampel-Koalition verstanden, dass wir auf Einwanderung in den Arbeitsmarkt angewiesen sind, um unsere soziale Sicherung zu stabilisieren.“
Grundsatzkritik kommt aus der Linksfraktion. Deren Vorsitzende Amira Mohamed Ali sagte: „Die durchschnittliche Lebenserwartung verstellt den Blick darauf, dass Menschen mit geringem Einkommen im Schnitt auch früher sterben.“ 15 Prozent der Deutschen, sagt Mohamed Ali, „sterben vor dem 65., 17 Prozent vor dem 67. und 20 Prozent vor dem 69. Geburtstag.“ Sie warnt, die Regelung würde auf „sinkende Renten für viele mit körperlich anstrengenden Berufen hinauslaufen“. Mit Blick auf das schrumpfende Erwerbspersonenpotenzial durch frühere Verrentungen solle die Bundesregierung sich „darauf fokussieren, altersgerechte Arbeitsbedingungen zu fördern und für angemessene Löhne in allen Branchen zu sorgen“.
René Springer, Sprecher für Sozialpolitik der AfD-Fraktion, nannte Spahns Vorstoß eine „versteckte Rentenkürzung“. „Wer 45 Beitragsjahre zusammen hat, soll ohne Abschläge in Rente gehen können“, länger arbeiten solle „bitte freiwillig“ bleiben. „Nach jüngsten Umfragen möchte bereits zum jetzigen Zeitpunkt nur jeder Zehnte bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter arbeiten.“ Die Lösung der AfD für den Arbeitskräftemangel: „Automatisierung statt Arbeiten bis zum Umfallen.“
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