Im Winter vor vier Jahren standen sie in London wieder auf der Bühne. Terry Hall hielt sich am Ständer seines Mikrofons fest wie ein müder Barrikadenkämpfer, er trug eine Tarnjacke und sang „Too Much too Young“. Das Lied war 40 Jahre alt wie seine Band, die Specials, er ging auf die 60 zu.
Die Wiederkehr der Specials wirkte wie ein Wunder. Während die Premierministerin, damals hieß sie Theresa May, am Brexit bastelte, um Großbritannien wieder britischer und England wieder englischer zu machen, beschwor Terry Hall sein eigenes Großbritannien und ein anderes England. Es waren nicht nur die Rechten, die sich nach den alten Zeiten sehnten. Auch die Linken träumten sich zurück in eine Zeit, in der Weiße und Schwarze sich die Subkulturen teilten, Punk und Reggae mochten und, ob nun als weiße Skinheads oder schwarze Rudeboys, stolz das Proletarische zur Schau stellten, ob sie nun wirklich Proletarier waren oder nicht. Es war die Haltung.
Vor vier Jahren also scharte Terry Hall die Band noch einmal um sich, jedenfalls den Rest der Specials, im berühmten 100 Club unter der Oxford Street. An den blutroten Wänden hingen die Konzertplakate der vergangenen 50 Jahre hinter Glas: „100 Club Punk Special“, September 1976, mit den Sex Pistols, The Clash, den Buzzcocks, Siouxsie and the Banshees und The Damned. Und wer noch lebte von den Veteranen, hatte sich wieder im Keller eingefunden, um den Sänger und die Band zu feiern, die den Punk zwar knapp verpasst hatten, aber das Beste daraus machten: Ska.
Nun wird es leider Gottes auch die Specials nie mehr geben. Terry Hall ist tot, er starb am 19. Dezember, wie die Hinterbliebenen seiner Band twittern, nach kurzer Krankheit.
Terence Edward Hall stammte aus Coventry in Mittelengland. Dort brach er als 14-jähriger die Schule ab, verdingte sich als Maurer und als alles Mögliche, gründete eine Punkband namens Squad, die Coventry Automatics und schließlich die Specials. „Wenn du 1979 zwölf warst, waren die Specials die größte Band der Welt“, hat Mark Lamarr, der Discjockey und Komiker, einmal geschrieben. Was auch daran lag, dass sie in nur zwei Jahren alles sangen, was sich gegen Margaret Thatcher und das Leben junger Leute in den Städten damals singen ließ. „Too Much too Young“ und „Rat Race“, „Concrete Jungle“ und vor allem „Ghost Town“, ursprünglich über die Jugendunruhen in Liverpool und London. Aktuell war „Ghost Town“ bei jedem Comeback der Specials: als die Banken kollabierten, als der Geist des Brexit umging, als die Pandemie die Städte leerfegte.
Die Trojan-Tradition
In der Musik der Specials, bei den Specials selbst, hauste allerdings auch ein älterer Geist. Der Geist von 1968/69. 1968 war das Jahr, in dem der britische Minister Enoch Powell am Geburtstag Adolf Hitlers eine Rede hielt, um vor den „Blutströmen“ der Migration zu warnen und bei älteren Weißen die schlafenden Ängste vor dem schwarzen Mann zu wecken. Für die jüngeren Weißen in Städten wie Coventry und London war der schwarze Mann der Freund von nebenan im schmal geschnittenen Anzug mit den Ska- und Reggae-Schallplatten von Trojan Records. In dieser Tradition sahen sich auch die Specials. Sie spielten „A Message to You, Rudy“, einen Trojan-Klassiker von Dandy Livingstone, sie spielten „Monkey Man“ von Toots & The Maytals, sie machten aus „Al Capone“ von Prince Buster ihre zweite große Hymne neben „Ghost Town“: „Gangsters“.
Jerry Dammers, der die Band mit Terry Hall in Coventry gegründet hatte, führte auch das Label 2 Tone Records für die Aufnahmen der Specials. Die zwei Töne standen für den Zweiertakt im Ska-Beat und für Schwarz und Weiß. Schwarzweiß kariert waren die Plattenhüllen. Schwarz und weiß waren die Musiker der Specials. Jerry Dammers Schlachtruf lautete: „Musik ist Politik!“ Das sah auch Terry Hall so, aber nie als Dogma. Hall und Dammers trennten sich: Dammers brachte unter dem Namen Special AKA „Free Nelson Mandela“ heraus, Hall gründete mit Neville Staple und mit Lynval Golding von den Specials die Band Fun Boy Three, aus der sich die Specials immer wieder neu hervorgingen, vor vier Jahren zum letzten Mal.
Das letzte Album von den Specials hieß „Encore“, es war die Zugabe nach vier Jahrzehnten ohne neue Aufnahmen als Band – die Zwischenjahre hatte Terry Hall damit verbracht, eigene Platten aufzunehmen und an Stücken für Bananarama und die Go-Go’s mitzuwirken sowie eine eigene Modeserie für Fred Perry zu entwerfen. Auf „Encore“ spielten die Specials wieder Klassiker wie „Blam Blam Fever“ von den Valentines und „Black Skin Blue Eyed Boys“ von den Equals. „10 Commandments“ hieß ein eigenes Lied, das sich allerdings auch auf einen Klassiker des Ska bezog, auf „Ten Commandments of Man“ von Prince Buster, auf die zehn Gebote für die Frau im Dienst des Mannes. „10 Commandments“ von den Specials war die Revision der jamaikanischen Musik fürs 21. Jahrhundert. Eine Frauenrechtlerin, Saffiyah Khan, sang ihre zehn Gebote. Auf der Bühne im 100 Club in London, trug sie das Comeback-T-Shirt der Specials. Terry Hall hörte ihr zu.
Ein Album wollte er noch machen, mit den Specials. Bevor sie damit beginnen konnten, kam die Pandemie. Auch Terry Hall erkrankte schwer an Covid, er verschob das Schreiben neuer Songs auf die Zeit nach Corona und nahm mit den Specials noch ein Coveralbum mit Protestsongs auf. Bob Marley und Frank Zappa, Rod McKuen und Big Bill Broonzy, Leonard Cohen und Malvina Reynolds. Lieder, nicht nur für Fred-Perry-Polohemdenträger, wie die Musiker erklärten, als „Protest Songs 1924–2012“ im Herbst vor einem Jahr erschien. Das rote Album von den Specials war ihr allerletztes.
Ohne Terry Hall stirbt auch die Band. Er wurde 63 Jahre alt.