Grünen-Chef Omid Nouripour hat sich nach seiner eigenen, teils problematischen Corona-Infektion kritisch über den Umgang mit Krankheiten und Schwächen in der Spitzenpolitik geäußert. „Grundsätzlich brauchen wir mehr Bewusstsein für Zwischenmenschlichkeit im Politikbetrieb“, sagte er dem in Berlin erscheinenden „Tagesspiegel“. „Der Betrieb nimmt kaum Rücksicht auf Persönliches.“ Er selbst hatte sich im Frühjahr mit dem Coronavirus infiziert und danach über mehrere Monate mit Long-Covid-Symptomen in Form von Schwindel und Erschöpfung zu kämpfen.
„Ich habe meine eigene Vergänglichkeit vorgeführt bekommen“, sagte Nouripour zu dem Thema. Der 47-Jährige hatte sich nach eigenen Angaben im Frühjahr mit dem Virus infiziert. „Das war hart“, räumte er ein. Tagelang sei er nicht aus dem Bett gekommen, habe aber trotzdem versucht, die Geschäfte als Parteivorsitzender zu führen. „Ich war laufend erschöpft. Das hat mich physisch über meine Grenzen gebracht“, so Nouripour weiter.
„Alles drehte sich plötzlich, teilweise für eine Minute“
Noch über Monate hatte der Grünen-Politiker nach eigenen Angaben Long Covid in Form von regelmäßigen Schwindelanfällen: „Ich saß bei politischen Gesprächen und alles drehte sich plötzlich, teilweise für eine Minute“, sagte Nouripour. In den ersten zwei Monaten habe sich sein Zustand nicht verbessert. „Ich fing an, mich zu fragen, ob das jemals wieder aufhört“, schilderte Nouripour.
Auf die Frage, ob er auch an Rücktritt gedacht habe, sagte Nouripour: „Mich hat zunehmend die Frage beschäftigt, ob ich dem gerecht werden konnte, was meine Partei von ihrem Vorsitzenden braucht.“ Und weiter: „Wenn man da das Gefühl hat, dass man nicht bis ans Limit gehen kann, was man aber tun muss, hinterfragt man sich.“ Seinen Angaben zufolge ließen die Symptome erst in der politischen Sommerpause nach.
Sein Neurologe habe ihn dazu gedrängt, auf ausreichend Schlaf zu achten: „Im Sommer habe ich sechs bis sieben Stunden geschlafen – dadurch verschwand der Schwindel Stück für Stück, bis er dann endlich wegblieb“, sagte Nouripour dem „Tagesspiegel“.
„Es tut Hölle weh – aber du darfst es nicht zeigen“
Ausgehend von seiner eigenen Geschichte erläuterte Nouripour auch, dass seiner Meinung nach viele Politiker versuchten, Krankheiten vor der Öffentlichkeit, aber auch dem Politbetrieb zu verbergen. Ein Kollege von ihm habe neulich eine orthopädische Operation gehabt. „Er hat mir von seinen Schmerzen in Sitzungen oder TV-Sendungen berichtet. Es tut Hölle weh – aber du darfst es nicht zeigen. Denn die andere Seite könnte die Schwäche ausnutzen oder da draußen wird gestreut, dass man nicht im Stande sei, seinen Job zu erledigen“, zitiert ihn das Blatt. Die Arbeitsbelastung für Abgeordnete ist nach Ansicht von Nouripour hoch. „Da kann man nicht einfach aussetzen. Es gibt aber auch viele Politiker, die Angst haben, dass der Zug ohne sie abfährt, und das stimmt. Der Zug wartet nicht.“
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete machte zudem öffentlich, dass er selbst in der Vergangenheit seine dreimonatige Elternzeit verschwiegen habe. „Ich habe ein Neugeborenes gehütet und gleichzeitig alle Abstimmungen in Sitzungen und Fraktionen koordiniert“, verriet Nouripour dem „Tagesspiegel“. „Diese drei Monate waren die Hölle, auch weil draußen niemand mitbekommen sollte, dass ich fehlen könnte.“ Nouripour ist verheiratet und Vater eines Sohnes.