Saturday, December 9, 2023

Hemingways „Wem die Stunde schlägt“: Verblüffende Parallelen

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Um Krieg zu führen“, sagt der Partisan Augustín, „braucht man nichts als Intelligenz. Aber um zu siegen, braucht man Klugheit und Material.“ Seine Gruppe agiert hinter den feindlichen Linien, führt Sprengstoffanschläge gegen Züge oder Brücken aus, um den Nachschub für die Front zu unterbinden. Am Himmel sind die einschüchternden Formationen feindlicher Bomber zu sehen; in den Bergen werden die schlecht ausgerüsteten Kämpfer von Kavallerie gejagt, die auf Luftunterstützung und Artillerie zählen kann. Man braucht auch sehr viel Idealismus, um gegen eine übermächtig erscheinende Armee zu kämpfen.

Wer in diesen Tagen „Wem die Stunde schlägt“ liest, Ernest Hemingways meisterhaften Roman über den Spanischen Bürgerkrieg, der kann gar nicht anders, als ihn auf den Krieg in der Ukraine zu beziehen. Das Heldentum, die Opferbereitschaft, der Einsatz für ein freies, demokratisches Land, die internationale Anteilnahme und Solidarität für den Kampf gegen einen verbrecherischen Angreifer, die ungleichen Kräfteverhältnisse, all dies ist in diesem Jahr – unter ganz anderen Vorzeichen – zurückgekehrt.

Menschliche Ur-Situation

Die gerade erschienene Neuübersetzung des Romans von Werner Schmitz (Rowohlt, 624 Seiten, 30 Euro) liest sich auch deswegen so gegenwärtig, weil der Krieg als eine Seelenprüfung geschildert wird, als eine menschliche Ur-Situation, die niemandem das Recht lässt, unbeteiligt zu tun. Rückzug ist keine Option, Neutralität auch nicht.

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Robert Jordan, Hemingways Hauptfigur, ist ein amerikanischer Sprengstoffexperte, der freiwillig für die gute, die republikanische Sache kämpft. Zu Beginn stößt er mit zwei Rucksäcken Dynamit zu den Partisanen, um eine für die bevorstehende Offensive strategisch wichtige Brücke zu sprengen. Jordan gibt nach außen den von seinem Auftrag überzeugten Genossen, obwohl er ahnt, dass die lebensgefährliche Aktion den Verlauf des Kriegs nicht ändern wird.

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Hemingway war 1937 als Kriegsberichterstatter nach Spanien gegangen. Als er nach seiner Rückkehr den Roman im Frühjahr 1939 begann, war Madrid bereits gefallen, hatte Franco gesiegt. Dann überfiel Hitler Polen und schlug Frankreich – der Faschismus schien überall unaufhaltsam auf dem Vormarsch. So liegt auch auf diesem Roman von 1940 schon der melancholische Schatten des Scheiterns. Doch wird der Widerstand auf vermeintlich verlorenem Posten dadurch nur umso zwingender; er mag vergeblich sein, aber nicht sinnlos.

Im Roman wird das durch die Liebesgeschichte unterstrichen, die Jordan mit Maria erlebt, die zu den Kämpfern stieß, nachdem die Faschisten ihre Eltern ermordet hatten und sie selbst Opfer systematischer Vergewaltigung geworden war – auch dies zeitlos-aktuelle Methoden verbrecherischer Regimes. In einem schmerzhaften Sinne verkörpert Maria die Passionsgeschichte des unterdrückten, geschändeten spanischen Volkes. In dieser großartigen Figur nimmt Hemingway zugleich schon vorweg, was durch den Sieg der Nazis an Schrecklichem noch bevorsteht.

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Die von den beiden Liebenden ekstatisch erlebten Tage und Nächte des Glücks vor der Schlacht überwölben das tragische Geschehen: Im Kern des Romans, der den schicksalhaft herausgehobenen Zeitpunkt schon im Titel trägt, steht die Aufhebung des Zeitlichen im erfüllten Augenblick, in der Ewigkeit der Transzendenz, die auch all das ungelebte Leben, das nur Mögliche und Vorgestellte umfasst: „Was sie niemals haben würden, hatten sie jetzt. Sie hatten das Jetzt und das Davor und das Immer und das Jetzt und Jetzt und Jetzt“, wie Hemingway den Höhepunkt ihrer letzten Nacht in taumelnde Sprache fasst.

Es gehört zur Größe und historischen Klarsicht von Hemingway, dass er die schlimmen Verbrechen der republikanischen Seite nicht minder detailliert schildert. Und auch – in der Figur eines blutrünstigen sowjetischen Polit-Kommissars – die Jagd auf vermeintliche „Abweichler“ aller Art nicht verschweigt.

Überhaupt wird das Töten für die gerechte Sache alles andere als leicht genommen. „Wem die Stunde schlägt“ ist auch ein Roman über die moralische Grauzone jeden Kriegs. Dass Töten durch höhere Ziele gerechtfertigt sein mag, spricht den Soldaten nicht von Schuld frei. Auch diese bittere Einsicht macht das Buch zeitlos wahr.

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Die inneren Monologe, in denen Jordan seine Selbstzweifel bekämpft, könnten so einem ukrainischen Milizionär unserer Tage durch den Kopf gehen: „Warum stellst du dir niemals vor zu siegen? Du warst so lange in der Defensive, dass du es dir nicht vorstellen kannst. … Sei nicht so naiv. Und denk daran, solange wir die Faschisten hier binden können, kommen sie nicht voran. Andere Länder können sie erst überfallen, wenn sie mit uns fertig sind, und mit uns werden sie niemals fertig. Wenn die Franzosen uns beistehen, wenn sie wenigstens die Grenze offen halten, und wenn wir Flugzeuge aus Amerika bekommen, werden sie niemals mit uns fertig. Niemals, wenn man uns nur ein wenig zur Seite steht. Mit guten Waffen ausgerüstet, wird dieses Volk ewig weiterkämpfen.“

Dass die Ukraine auch für die Freiheit und die Demokratie Europas, ja des ganzen Westens kämpft, ist einer der Hauptgründe für die anhaltende Unterstützung in jeglicher Hinsicht. Auch wegen dieser Botschaft ist der Roman heute Pflichtlektüre: Die Ukrainer für ihre Tapferkeit zu loben, aber sich ansonsten heraushalten zu wollen ist eine zynische Haltung. Robert Jordan sagt sich vor dem Angriff: „Tornisterfunkgeräte, die könnten wir brauchen. Irgendwann werden wir sie haben. Aber noch haben wir keine. Jetzt halt die Augen offen und tu, was du zu tun hast.“

Ernest Hemingway: „Wem die Stunde schlägt“. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Rowohlt, 624 Seiten, 30 Euro.

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