Der Bundesfinanzminister zieht die Reißleine und setzt einen neuen obersten Geldwäsche-Bekämpfer ein. Er soll die Kölner Spezialeinheit mit dem sperrigen Namen Financial Intelligence Unit, kurz FIU, endlich zu dem machen, was die Politik, aber auch die Ermittlungsbehörden längst von ihr erwarten: dass sie zu einer effektiven Maschine im Kampf gegen Geldwäsche in Deutschland wird. Zuvor war bekannt geworden, dass Zehntausende Geldwäscheverdachtsfälle nicht bearbeitet wurden.
Diese Aussagen stammen zwar bereits aus einem WELT-Artikel aus dem Juli 2018, doch sie haben an ihrer Aktualität nichts verloren. Damals hieß der Bundesfinanzminister, der mit dem Chefwechsel einen Neustart im Kampf gegen Geldwäsche ausrief, noch Olaf Scholz (SPD). Nun ist es Christian Lindner (FDP), der wieder einen neuen Behördenchef braucht. Erneut sind Zehntausende Verdachtsmeldungen unbearbeitet liegen geblieben.
Fehlten vor viereinhalb Jahren vor allem Mitarbeiter, die jenen Verdachtsmeldungen nachgehen, die von Banken und Versicherungen, aber auch von Maklern und Juwelieren bei auffälligen Zahlungen erstattet werden, sollen es nun in erster Linie technische Probleme gewesen sein, die zu dem Rückstau führten.
Mehr als 100.000 Fälle: „kleiner Bodensatz“
Bis Ende September sei Monat für Monat ein „kleiner Bodensatz“ ungeprüfter Fälle übrig geblieben, heißt es aus dem Finanzministerium, ohne dass diese Fälle im System noch angezeigt worden seien. Genau soll es um 100.963 risikorelevante Verdachtsmeldungen gegangen sein, die mittlerweile wieder aufgetaucht sind und abgearbeitet wurden.
An die Öffentlichkeit kam dies eher beiläufig. Man habe Ende August im Zuge einer turnusmäßigen Berichterstattung über den angestoßenen Transformationsprozess erstmals „beiläufig Hinweise“ erfahren, teilte das Ministerium Anfang Dezember auf eine Anfrage des CDU-Abgeordneten Matthias Hauer mit.
Vergangene Woche trat dann der bisherige FIU-Chef Schulte aus „persönlichen Gründen“ zurück, wie es heißt. Schulte soll nun innerhalb der dem Finanzministerium unterstellten Generalzolldirektion, zu der wiederum die FIU gehört, eine neue Aufgabe übernehmen. Vorübergehend hat sein Stellvertreter die Leitung übernommen. Eine dauerhafte Lösung soll das nicht sein. Ein Nachfolger wird laut Ministerium mit „höchster Priorität“ gesucht.
Für Lindner sind die erneuten Negativschlagzeilen aus Köln im besten Fall unschön. Noch kann er darauf verweisen, dass er die Probleme von seinen Vorgängern geerbt hat – nicht nur von Scholz, sondern auch von Wolfgang Schäuble (CDU).
Auf Drängen der Europäischen Union verschob dieser die Geldwäschebekämpfung im Jahr 2017 vom Bundeskriminalamt zur Generalzolldirektion. Mit dem Schritt sollte schon damals alles besser werden.
Wenig förderlich für die Arbeit der FIU war auch eine Gesetzesänderung. Im März 2021 trat der sogenannte All-Crime-Ansatz in Kraft, womit der Straftatbestand der Geldwäsche deutlich ausgeweitet wurde.
Das hatte zur Folge, dass Banken und die anderen Stellen 2021 mit knapp 300.000 Meldungen plötzlich doppelt so viele Verdachtsfälle nach Köln schickten als ein Jahr zuvor. Der Gehalt der Meldungen war oft gering, aber keine Stelle wollte sich dem Vorwurf aussetzen, sie habe nicht über eine auffällige Zahlung informiert.
Ziel ist es, durch verbesserte IT-Systeme dafür zu sorgen, dass die Meldungen nicht nur schneller, sondern auch zuverlässiger abgearbeitet werden. „Wir haben hier sehr ambitionierte Ziele“, sagte Lindner nach dem erneuten Wechsel an der FIU-Spitze. Es sei bislang eindeutig zu wenig gegen Geldwäsche getan worden.
Die kleinen Fische seien zwar gefangen worden, nicht aber die großen. Das werde jetzt geändert. Lindner geht davon aus, dass durch die erneute Panne keine „großen Fische“ im Verborgenen geblieben sind. „Ein Fisch der Größe Wirecard, also einen Wal, erwarte ich nicht darunter“, sagte er mit Verweis auf den jahrelang unentdeckten Milliardenskandal um den Zahlungsdienstleister, der gerade vor dem Landgericht München strafrechtlich aufgearbeitet wird.
Bei der Neuaufstellung der Geldwäschebekämpfung in Deutschland geht es nicht nur um die Verbesserung interner Prüfprozesse. Lindner will eine ganz neue Bundesbehörde zur Bekämpfung von Finanzkriminalität aufbauen. Teil dieser neuen Behörde sollen ein neues Bundesfinanzkriminalamt und eine neue Zentralstelle für die Geldwäscheaufsicht werden.
Auch die FIU soll darin aufgehen. Details ließ Lindner bislang offen. Der Druck auf den FDP-Vorsitzenden, hier bald Ergebnisse zu liefern, ist durch die jüngsten Vorkommnisse bei der Geldwäscheeinheit gestiegen.
In dem aktuellen Fall kann man bei der FDP noch auf den alten FIU-Chef verweisen, der 2018 von Olaf Scholz eingesetzt wurde. „Gerade die skandalöse Geheimniskrämerei in der jüngeren Vergangenheit und die schleppende Aufklärung zu über 100.000 liegengebliebenen Geldwäscheverdachtsmeldungen haben deutlich gemacht, dass der als Reformer gekommene Behördenchef offenbar eher wenig Interesse an Aufklärung und Transparenz hat“, sagte Markus Herbrand, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag. Nun müsse es darum gehen, die Nachfolge so zu regeln, dass die FIU den Teufelskreis der Negativ-Schlagzeilen der vergangenen Jahre endlich hinter sich lassen könne. Den nächsten Chef oder die nächste Chefin setzt Lindner ein.
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