Wednesday, April 24, 2024

Frankreich: So richtet sich die politische Elite der Grand Nation weltweit ein

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Unter dem Sonnenkönig strahlte mit Jean-Baptiste Colbert ein zweiter Stern. Der Finanzminister am Hofe Ludwigs XIV. war bald zuständig für alles außer dem Heer. Er leitete die Regierung, kontrollierte das Bauwesen, den Handel, die Marine und kümmerte sich als Staatssekretär auch um die schönen Künste. Letztere lagen dem König besonders am Herzen und so rief er Colbert irgendwann im Jahr 1663 zu sich.

Man sprach wahrscheinlich zunächst etwas abstrakt über die Repräsentation königlicher Macht und ging dann bald ins Detail, also wie sich so eine absolutistische Monarchie eigentlich darstellt. Genauer gesagt: Wie lebt der Hofstaat? Welche Einrichtung passt zu welchem Amt? Wer stellt die ganzen Möbel und Wandbespannungen her? Und wem obliegt die Prachtverwaltung?

Ludwig XIV. und Colbert wurden sich schnell einig. Man schuf eine üppig alimentierte Abteilung im königlichen Haushalt, die Garde-Meuble de la Couronne. Man stellte Tischler und Polsterer an, verstaatlichte die Tapisserie-Manufaktur in der Avenue des Gobelins, holte noch die Tapetenfabrik in Beauvais dazu, die Teppichknüpferei in Lodève und die Spitzenateliers in Puy-en-Velay.

So etablierte sich nicht nur ein kunstgewerblicher Produktionsverbund, sondern es bildete sich ein immenses Möbellager, das die Residenzen des Hofes und ihre ministerialen Diener mit Sesseln, Sofas, Tischen und Stühlen bis hin zu Leuchtern und Wandteppichen ausstattete – für die royale Selbstdarstellung.

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In der Französischen Revolution ging zwar die Monarchie unter, nicht aber der unbedingte Drang zur staatlichen Repräsentation. So wurde die Garde-Meuble nicht etwa aufgelöst, sondern mehrfach umbenannt, mal den republikanischen Konsuln gewidmet, dann dem napoleonischen Imperium.

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Seit 1870 heißt sie schlicht Mobilier national – und stattete auch die Repräsentanten der Dritten, Vierten und Fünften Republik angemessen aus. Sie besitzt mehr als 200.000 Objekte aus fünf Jahrhunderten, 75.000 Stücke gelten als nationales Kulturerbe.

Mobilier national in Paris

Mobilier national in Paris
Quelle: pa/Gilles Targat/Photo12

Die Aufgabe des Mobilier national besteht heute darin, die offiziellen Gebäude Frankreichs mit Leihgaben aus der Sammlung zu dekorieren. Wenn man etwa als französischer Diplomat zum Botschafter einer Auslandsvertretung berufen wird und die Büromöbel nicht konvenieren, dann reicht ein Anruf und man kann in den Lagerräumen des Mobilier national nach passenden Dekorationsobjekten in allen erdenklichen Stilen suchen.

Angefangen vom barocken Louis-quatorze natürlich, über den Rokoko von Louis-quinze bis Louis-seize, den klassizistischen Revolutionsstil Directoire, die diversen Restaurationsstile des 19. Jahrhunderts bis hin zum Jugendstil des Art Nouveau und dem aufgepumpten Pomp des Art déco. Alles vorrätig, und alles unter Aufsicht kundiger Konservatoren und hauseigener Handwerker bestens gepflegt.

Unweit der Place d’Italie im 13. Arrondissement von Paris residiert das Mobilier national und betreibt Werkstätten zur Restaurierung von Tapisserien und zur Polsterung von Möbeln. Es unterhält eine Schreinerei für Sitzmöbel, eine Kunsttischlerei und eine Bronzewerkstatt zur Herstellung von Lampen, Beschlägen und Dekorationsobjekten. Seit 1964 gibt es ein nationales Designforschungsinstitut und glücklicherweise große Ausstellungssäle für alle, die nicht dem diplomatischen Corps angehören.

Modern! Bloß wie modern?

Dort ist zurzeit eine Ausstellung zu sehen, die sich den Jahrzehnten von 1930 bis 1960 widmet als schließlich sogar die Moderne ins Mobilier national einzog und die Institution vermehrt freie Künstler und Gestalter beauftragte. Bloß welche Moderne sollte das sein? Das war nämlich sehr umkämpft in jenen Jahren, in denen sich die Union des artistes moderne (UAM) mit der Société des artistes décorateurs (SAD) darum stritt, welchen ästhetischen Weg die Objektgestaltung nun einschlagen sollte – und mit welchem Design man die lukrativen Staatsaufträge einsacken könnte.

In dieser Hinsicht jedenfalls setzten sich die eher sanften Anhänger der SAD klar gegen die progressivere UAM durch. Das heißt, die heute bei Mid-Century-Design-Sammlern so begehrten Architekten und Künstler wie Jean Prouvé, Charlotte Perriand oder Robert Mallet-Stevens mussten sich am freien Markt behaupten – wo sie dann berühmt und unbezahlbar wurden. Für das Mobilier national arbeiteten Designer wie Paul Follot, Étienne-Henri Martin oder Maurice Dufrène, die weniger populär wurden – aber in den Adressen des Staats einziehen konnten.

Ausstellung „Le chic! Arts décoratifs et mobilier de 1930 à 1960“

Blick in die Ausstellung „Le chic! Arts décoratifs et mobilier de 1930 à 1960“ im Mobilier national
Quelle: Justine Rossignol

Ein Ziel (und wohl auch Aufgabe) der Künstler war es, mit ihren Entwürfen diplomatisch zu vermitteln. Es galt die historischen Formen und den Geschmack vergangenen Epochen, der sich in den Gebäuden selbst zeigte, mit dem aktuellen Zeitgeschmack zu versöhnen. Und das in einer Zeit gewaltiger Bauvorhaben, wie Hervé Lemoine, der französische Landeskonservator und Präsident des Mobilier national, im Katalog betont:

„Unsere Institution und die dekorativen Künste erlebten damals eine wahre Blüte mit der Ausstattung zahlreicher prächtiger Botschaften in der Vorkriegszeit und der Neugestaltung neuer Ministerialgebäude in der Nachkriegszeit.“ Die Dekorationen des Élysée-Palasts oder der Sommerresidenz, dem Schloss Rambouillet, seien symbolisch für diese Großprojekte.

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Nationalarchitektur

Staatspräsident Vincent Auriol habe sie angestoßen. Es sei nämlich eine hartnäckige Legende, dass erst Georges Pompidou (mit den stromlinienförmigen Möbeln von Pierre Paulin) die Moderne in diese Präsidentenpaläste eingeführt habe. Designer und Dekorateure wie André Arbus, Jean Pascaud oder Raymond Subes seien zwar weniger radikal gewesen, aber, so Hervé Lemoine, „sie zeigten Mut in einem Frankreich der 1950er-Jahre, das immer noch konservativ war“.

Den Mut hatte vor allem die Weltausstellung 1937 beflügelt. Während Hitler und Stalin die Schau dafür nutzten, um die Dominanz ihrer Terrorregime darzustellen, wollte Frankreich sich als moderne Kulturnation präsentieren. Besonders die Innenarchitekten aus dem Kreis der SAD, die auf der Expo einen eigenen Pavillon hatte, empfahlen sich mit ihren Entwürfen auch für Mobilier national.

Klassische Moderne im Mobilier national

Raum in der Ausstellung „Le Chic!“: Klassische Moderne im Mobilier national
Quelle: Justine Rossignol

Schließlich hatte die Regierungsbehörde große Pläne für den Bau oder die Umgestaltung von Botschaften, so etwa in Belgrad, Ankara und Ottawa ab den 1930er-Jahren und in Helsinki, Saarbrücken und Pretoria in den 1950er-Jahren. Mit der französischen Handwerkskunst sollten auch (modernisierte) patriotische Werte vermittelt werden.

Gleichzeitig galt es im „Inneren“ an die glorreichen Dekorationsprogramme früherer Regenten anzuknüpfen. Diesen Willen veranschaulicht etwa der teilweise vergoldete, robust klassizisierende Schreibtisch (entworfen von André Arbus) im Pariser Hôtel Kinsky, das für das Kulturministerium umgestaltet wurde. An ihm saß einst Jacques Jaujard, der während des Zweiten Weltkriegs die Sammlung des Louvre evakuierte und vor den Nazis rettete.

Möbel für Präsidenten und Diplomaten

Präsident Auriol startete nach seinem Amtsantritt 1947 ein umfangreiches Renovierungsprojekt im Élysée-Palast. Während er in den offiziellen Bereichen vorsichtig modernistische Möbel (wie etwa ein reich intarsiertes Lack-Sideboard von Dominique und Paul Cressent) in die historischen Raumfluchten stellen ließ, war in seinen privaten Gemächern der plötzliche Einzug der Gegenwart deutlicher zu spüren. So entwarf Colette Guéden für die First Lady Michelle Auriol einen hypermodernen Schminktisch aus Chrom und Glas. Das präsidiale Badezimmer wurde – wie viele andere Räumlichkeiten in Botschaften und Regierungsbehörden – in der Ausstellung „Le Chic!“ nachgebaut.

Moderner Schminktisch von Colette Guéden

Hergestellt für Michelle Auriol: Moderner Schminktisch von Colette Guéden
Quelle: Justine Rossignol

Die von dem angesagten Interiordesigner Vincent Darré kongenial inszenierte Schau stellt nicht nur die Entwürfe der bedeutenden Designer und Dekorateure vor, sondern auch die Arbeit der Handwerker des Mobilier national in den Fokus. Viele der Möbel (etwa ein mit Chagrinleder bezogener Ebenholz-Sekretär von André Groult) oder der fantastischen Tapisserien der Manufacture des Gobelins (nach Vorlagen von Künstlern wie Pierre-Henri Ducos de La Haille, Xavier Longobardi oder Joan Miró) wurden aufwendig restauriert.

Nach dem Ende der Ausstellung wandern sie einstweilen zurück ins Depot zu den Devotionalien aus der Zeit des Sonnenkönigs. Es sei denn die Stücke werden wieder ausgeliehen. Dann dürfen sie zur Geschmacksbildung französischer Diplomaten und zukünftiger Regierungschefs beitragen.

„Le Chic! Arts décoratifs et mobilier français de 1930 à 1960“, bis zum 19. Februar 2023, Mobilier national, Paris

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