Kürzlich hat der Bundestag über den vom Haushaltsausschuss beschlossenen Verteidigungsetat des Sondervermögens 2023 beraten und diesem zugestimmt. Wir argumentieren, dass bereits jetzt absehbar ist, dass das Sondervermögen für genuine Haushaltszwecke herangezogen werden muss, sofern die Regierung es mit der „Zeitenwende“ ernst meint.
Die Bundesregierung nutzt mit der Einrichtung von Sondervermögen ein Instrument, welches nach Aussage des Bundesfinanzministers bei einem Spagat helfen soll. Es soll kurzfristig die benötigten Mittel zur Bewältigung der Krise bereitstellen, aber ansonsten den normalen Budgetprozess weiterhin unter die Disziplin der Schuldenbremse stellen.
Auch soll über die Zweckbindung der Sondervermögen verhindert werden, dass an den Finanzminister zahlreiche weitere Ausgabenwünsche herangetragen werden.
In der Landesregierung des Saarlandes findet der Bund einen ersten Nachahmer. Auch hier gibt man an, mit einem drei Milliarden Euro schweren Transformationsfonds den Strukturwandel der kommenden Jahre durch Investitionen unterstützen, gleichzeitig aber im Kernhaushalt die Schuldenbremse einhalten zu wollen.
Man kann diese Argumentation mit guten Argumenten kritisieren. Gerade im Saarland handelt sich um eine Umgehung der Schuldenbremse, da eine Notlage postuliert wird, wo keine ist. Und auch im Bund sind die Begründungen nicht für alle Sondervermögen gleich plausibel.
Da sie jetzt aber nun einmal in der Welt sind, ist es notwendig, dafür zu sorgen, dass Sondervermögen von den einzelnen Ressorts der jeweiligen Regierung nicht für ihre originären Haushaltsaufgaben in Anspruch genommen werden. Diese Abgrenzung ist durch den Gesetzgeber noch nicht abschließend geregelt. Sie ist aus ordnungspolitischer Perspektive aber geradezu zwingend, da ohne eine klare Regelung Fehlanreize entstehen.
Im Gesetz zur Reaktivierung und Neuausrichtung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds, welches das Sondervermögen zur Finanzierung der Gas- und Strompreisbremse ermöglicht, ist dies recht gut gelungen. Das Gesetz zählt abschließend und klar definiert die möglichen Verwendungszwecke auf; eine Zweckentfremdung ist schwierig.
Sondervermögen darf keine Haushaltsmittel ersetzen
Zu einem anderen Ergebnis kommt man aber beim Blick in den Wehretat. Die dort bereits öffentlich bekannten Entwicklungen legen die Vermutung nahe, dass die Ressortleitung versuchen wird, Mittel aus dem Sondervermögen durch ministerialbürokratische Spitzfindigkeiten zur Finanzierung von Aufgaben zu nutzen, die ihren Platz im regulären Verteidigungshaushalt hätten.
So sieht der Haushalt für das Jahr 2023 aktuell nur geringfügige Mehrausgaben im Wehretat vor. Es ist bereits jetzt zu erwarten, dass die Kostensteigerungen im Bereich der Munitions- und Waffensystembeschaffung sowie in den Bereichen der Roh-, Hilfs und Betriebsstoffe weit oberhalb der Konsumentenpreisinflation liegen. Damit ist zu erwarten, dass der Haushalt nicht ausreichend bemessen ist, oder eben bereits jetzt Sparmaßnahmen in nicht zwingend notwendigen Bereichen vorgenommen werden müssen.
Es ist kaum im Sinne des Gesetzgebers, wenn die im Sondervermögen für das Jahr 2023 vorgesehenen Mittel auch nur teilweise dazu herangezogen werden müssen, fehlende laufende Haushaltsmittel zu ersetzen, die für den Betrieb der Bundeswehr notwendig wären.
Daher sollte der Gesetzgeber nun mit Nachdruck darauf achten, die Anreize für die Umwidmung von Mitteln für Ausgabetitel zu beschränken und die Haushaltsplanung entlang von Priorisierungsregeln zu restrukturieren.
Es ist nicht nur der Kostendruck, sondern der gesamte Munitionierungsbedarf der zu haushaltspolitischer Lauterkeit und einer realistischen Analyse des Finanzierungsbedarfs mahnt: Die rückblickend als mangelhaft zu beurteilende finanzielle Ausstattung der Bundeswehr hat dazu geführt, dass Munitionsbestände und -reserven über die Zeit hinweg abgebaut wurden.
Diese fehlen nun und müssen teilweise ersetzt oder in Gänze neu beschafft werden. Auf der Angebotsseite fehlen jedoch kurzfristig oft Industriekapazitäten.
Die erwartbaren ökonomischen Effekte einer ernstgemeinten und sicherheitspolitisch dringend gebotenen Aufmunitionierung der Bundeswehr hätten zur Folge, dass der Bund höhere Preise zahlen muss. Im ungünstigsten Fall muss er aber auch mit Lieferschwierigkeiten oder gar mit Ausfällen von Lieferketten rechnen.
Dieser Fall ist bereits bei der Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard eingetreten. Streng genommen müssten der Bund Munition und Waffensysteme von Anbietern in (Nato-)Partnerstaaten „aus dem Regal“ kaufen, um die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr aufgrund sehr knapper Produktions- und Logistikkapazitäten im Verteidigungssektor zu gewährleisten.
Verteidigungsbereitschaft muss der Kernhaushalt tragen
Selbst bei einer raschen Entspannung an der östlichen Nato-Grenze zöge die Nachfrage nach Munitions- und Rüstungsgütern im Bündnis weiter an, da ein „kalter Konflikt“ mit einer weiterhin hohen Nachfrage nach Rüstungsgütern einherginge.
Selbst für ein so bescheidenes Ziel wie die Aufmunitionierung der drei Teilstreitkräfte für eine Durchhaltefähigkeit von wenigen Wochen Landesverteidigung wird derzeit ein Ausgabenbedarf von mindestens 20 Milliarden Euro geschätzt, wie die Wehrbeauftragte der Bundeswehr, Eva Högl, im Juni gegenüber der Rheinischen Post verriet.
Wenn all dies offen zutage liegt, spricht haushaltspolitisch alles dafür, dass hierfür im regulären Wehretat Vorkehrungen getroffen werden sollten. Das Instrument des Sondervermögens ist dafür gedacht, längerfristig wirksame Investitionen zu tätigen. Aufwendungen für die Herstellung der unmittelbaren Verteidigungsbereitschaft muss dagegen der Kernhaushalt tragen. Das ist im Wehretat bisher ganz klar nicht der Fall.
Es ist bemerkenswert, dass das Kanzleramt erst am Tag der dritten und letzten Lesung des Bundeshaushalts im Bundestag die Rüstungsindustrie zu einem Munitionsgipfel eingeladen hat, der kurz darauf ein Thema adressiert, welches im Haushalt ungenügend berücksichtigt wurde: das Problem der Munitionsknappheit und der hohen Kosten bei der Beschaffung.
Was hier für den Bereich der Bundeswehr nur exemplarisch gezeigt wurde, ist vor allem auch bei den Investitions-Sondervermögen, die zuerst im Saarland und dann auch in anderen Bundesländern initiiert wurden, ebenfalls zu befürchten.
Polit-ökonomisch sind mit Sondervermögen immer auch Verdrängungsanreize verbunden. Eigentlich zur langfristig-investiven Verwendung bestimmte Mittel aus Sondervermögen werden doch eher für Kernaufgaben der Ressorts verwendet. Oder man fährt Investitionsausgaben in den Kernhaushalten hinunter und schiebt sie stattdessen in die Sondervermögen, um sich neue Spielräume für konsumtive Ausgaben mit kurzfristig positiven politischen Erträgen zu schaffen.
Es ist zwingend, bei der Einrichtung von Sondervermögen in Bund und Ländern darauf zu achten, dass diese mit ordnungspolitischen Leitplanken verbunden werden, um solche Fehlanreize zu vermeiden.
Die Schuldenbremse droht durch den inflationären Einsatz von Sondervermögen ohnehin zur Luftnummer zu werden. Dieses Problem wird noch verschärft, wenn es zu den oben skizzierten Verdrängungseffekten kommt. Ein weiterer Verlust an Glaubwürdigkeit der Finanzpolitik ist nur zu vermeiden, wenn Sondervermögen erstens die absolute Ausnahme bleiben und zweitens mit strikten Regeln für die Verwendung der Mittel versehen werden.
Ekkehard A. Köhler ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Siegen. Jan Schnellenbach ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus
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