WELT: Herr Huber, Ihre Amtsvorgänger sind viele Jahre als Mitglieder der Regierungspartei nach Berlin gekommen, Sie sind jetzt als Vertreter der Opposition in der Hauptstadt. Wie sehr schmerzt Sie der Verlust an Macht und Einfluss Bayerns sowie Ihrer CSU in Deutschland?
Martin Huber: Wenn man sich die Arbeit der Ampel anschaut, ist es für das ganze Land schmerzhaft, dass die CSU nicht mehr mitregiert. Die Bilanz dieser Koalition nach einem Jahr ist kümmerlich. Das reicht von der vermurksten Gasumlage, viel zu spät gestarteten Gas- und Strompreisbremsen bis hin zu einer Erbschaftsteuer, die durch die Hintertür praktisch eine kalte Enteignung ist.
WELT: Trotzdem nimmt man die CSU bundesweit wenig wahr. Die Partei konzentriert sich viel stärker als früher auf Bayern. Ist die CSU auf dem Weg zur Regionalpartei?
Huber: Da muss ich widersprechen. Die CSU ist in ganz Deutschland gut wahrnehmbar: Wir gestalten mit. Das Bürgergeld zum Beispiel wäre ohne den Einsatz von CDU und CSU tatsächlich der Auftakt zum bedingungslosen Grundeinkommen geworden.
Ohne unseren Druck wären die Gasspeicher im Süden nicht gefüllt worden, und es hätte nicht mal die Mini-Laufzeitverlängerung der Kernkraft gegeben. Oder beim Thema Wasserkraftanlagen, da haben wir in der Frage der Förderung klar Akzente gesetzt. Wir ziehen uns nicht nach Bayern zurück, weder aus Berlin, noch aus Brüssel.
WELT: Es kommt einem dennoch so vor, als würden CSU und CDU einen oppositionellen Zickzack-Kurs fahren. Beispiel Bürgergeld: Erst war die CSU gegen höhere Regelsätze, dann dafür. Wo ist der rote Faden?
Huber: Wir haben bereits im Juni ein 15-Punkte-Programm vorgelegt, um das Land sicher durch die Krise zu bringen. Wir haben im Juni eine Gas- und Strompreisbremse vorgeschlagen. Die Ampel hat Monate später diese Idee aufgegriffen. Wir haben im Juni den Plan vorgelegt, die Laufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern.
Die Ampel hat gezögert und gezaudert und hat das dann übernommen, aber nur halbherzig. Wir haben im Juni angeregt, neue Handelsabkommen und Gas-Lieferverträge abzuschließen, weil das das beste Mittel ist, um die Inflation einzudämmen.
WELT: Jetzt hat die Ampel die Strom- und Gaspreisbremse beschlossen. Warum ist das der CSU auch wieder nicht recht?
Huber: Die Bremsen kommen viel zu spät, das sagt selbst die Expertenkommission, die die Bundesregierung dazu selbst eingesetzt hat. Und die Durchführung ist ein einziges Tohuwabohu. Die Stadtwerke wissen nicht, wie sie das organisatorisch stemmen sollen, und die Bürger wissen nicht, was sie wann und wie bekommen. Oder wissen Sie das? Und dann ist noch offen, wann die Gasbremse greift.
„Das legt die Axt an den Standort Deutschland“
Der Bundestag stimmt über die Gas- und Strompreisbremse ab. „Das Problem ist, diese Preisbremse wird für viele nicht helfen“, sagt Unionsfraktionsvize Jens Spahn. Er fürchtet außerdem, dass Unternehmen künftig in anderen Ländern investieren könnten.
WELT: Ab dem 1. Januar.
Huber: Im März, rückwirkend zu Januar. Und was ist bis dahin mit den hohen Rechnungen? Ich bleibe dabei: ein einziges Tohuwabohu.
WELT: Immerhin hat es die Ampel geschafft, das Land in diesem Winter wohl mit genug Gasvorräten auszustatten. Müssen Sie das der Koalition nicht zugestehen?
Huber: Sie sprachen gerade von „Zickzack-Kurs“ – das passt bestens zum Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller (früher Grünen-Politiker, d. Red.). Der erzählt mal, die Speicher sind voll, und alles ist gut, mal das Gegenteil und dass wir dringend sparen und das Duschen aufhören sollen. Am Anfang hat er gesagt, es würde keinen Strommangel geben.
Inzwischen weiß jeder: Das Gegenteil ist der Fall. Man kann den Aussagen des Präsidenten der Bundesnetzagentur ganz offensichtlich nicht vertrauen. Das verunsichert die Menschen.
WELT: Für Bayern hat die Bundesnetzagentur immer vor Gasengpässen gewarnt. Wie schätzen Sie die Versorgungslage in Süddeutschland ein?
Huber: In diesem Winter werden wir wohl mit den vorhandenen Reserven auskommen. Schwieriger wird der darauffolgende. Das Problem ist, dass die Bundesregierung zwar mit geschwellter Brust hohe Füllstände der Gasspeicher verkündet, aber unterschlägt, dass uns viel von diesen Reserven in Deutschland gar nicht gehört, sondern Kunden im Ausland. Wie hoch dieser Anteil ist, weiß niemand.
Daher haben wir, Politik, Bürger wie Wirtschaft, keinerlei Planungssicherheit. Ich fordere die Bundesregierung daher auf, noch in diesem Jahr zu klären und transparent zu machen, über welche Gasreserven Deutschland tatsächlich verfügt und wie lange die vorhalten.
WELT: Strom ist ebenfalls knapp. Wie groß ist die Gefahr von Blackouts?
Huber: Messungen in den vergangenen Tagen haben gezeigt, dass die Netzstabilität stellen- und zeitweise am Anschlag ist. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns auf regionale Stromausfälle einstellen, die Folge von Energieknappheit sind. Diese Gefahr hätte man mit einer wirksameren Vorsorge- und Beschaffungspolitik minimieren können.
Andere Länder haben da besser reagiert, sich auch mehr Gas gesichert. Italien zum Beispiel. Wir müssen jetzt schauen, wie stabil unsere Netze sind. Deshalb fordern wir einen weiteren Stresstest, das ist dringend nötig.
WELT: Die CSU hat heftig dafür gekämpft, dass das AKW Isar II am Netz bleibt. Aber das ist doch zur Versorgung Bayerns nicht kriegsentscheidend. Geht es der CSU damit nicht grundsätzlich darum, dass Kernkraftwerke länger in Betrieb bleiben?
Huber: Am Ziel der Klimaneutralität darf es keinerlei Abstriche geben. Fossile Brennstoffe, die heute verbrannt werden, werden durch saubere, erneuerbare Energien ersetzt. Die Elektrifizierung wird stark ausgeweitet, dafür brauchen wir in Zukunft viel, viel mehr Strom als heute. Dazu benötigen wir auch die Atomkraft. Auf die können wir vorerst nicht verzichten.
WELT: Das AKW Isar II soll also dauerhaft weiterlaufen?
Huber: Die CSU will keine Renaissance der Atomkraft, aber auf Energie aus dem AKW Isar II sind wir in der aktuellen Lage angewiesen. Mindestens bis ins Jahr 2024 hinein. So lange muss es am Netz bleiben.
WELT: Ihre Partei weist gerne auf die Möglichkeiten der Gasförderung oder des Frackings im eigenen Land hin. Aber in Norddeutschland, bitte nicht in Bayern. Ist das nicht ziemlich durchsichtig?
Huber: Wir haben dazu eine klare Haltung: Wir müssen alle Energiequellen nutzen, die es gibt, auch in Bayern.
WELT: Warum werden dann die Gasvorräte im oberbayerischen Holzkirchen, mit einem CSU-Bürgermeister an der Spitze, nicht angezapft?
Huber: Wir schauen uns derzeit alle Vorkommen an, die es in Bayern gibt und lassen prüfen, wo sich die Erschließung lohnt.
WELT: Auch im Fall Holzkirchen?
Huber: Wie gesagt, wir prüfen alle Möglichkeiten.
WELT: Das gilt auch für Fracking in Bayern?
Huber: Wir müssen uns alles anschauen, aber vermutlich sind die Möglichkeiten im Norden Deutschlands besser. Natürlich muss der Fokus auf Initiativen wie dem Ausbau des Wasserstoffnetzes liegen, da ist Bayern bereits Vorreiter. Und dem Bau neuer Windkraftanlagen, den wir nun massiv beschleunigen.
WELT: Bislang ist davon nicht viel zu sehen.
Huber: Der Landtag hat dazu alle nötigen Entscheidungen getroffen, aber das bedeutet natürlich nicht, dass nun bis Weihnachten überall Windräder aus dem Boden wachsen. Die Beschleunigung ist aber schon jetzt stark zu spüren: Derzeit sind 340 Windkraft-Projekte in Vorbereitung, und der größte Onshore-Windpark Deutschlands ist derzeit in meiner Heimatregion Altötting in Planung.
WELT: Zuletzt eine Frage im Zusammenhang mit den aufdeckten Putschplänen von „Reichsbürgern“: Für wie gefährlich halten Sie diese Bewegung?
Huber: „Reichsbürger“ sind brandgefährlich. Die „Reichsbürger“ wie auch die AfD, mit der sie eng verwoben sind, stehen nicht auf dem Boden unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung und müssen deshalb vom Verfassungsschutz genau beobachtet werden.
WELT: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will extremistische Beamte schneller aus dem Staatsdienst entlassen, wie steht Bayern dazu?
Huber: Ein nachweislicher „Reichsbürger“ kann und darf in Bayern nicht im Staatsdienst stehen. Die AfD ist ebenfalls eine extremistische Bewegung, alle gemäßigten Kräfte wurden oder werden aus der Partei gedrängt. Da muss man sich jeden Einzelfall genau ansehen.
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