Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat Vorwürfe zurückgewiesen, seine Regierung habe Einfluss auf ein Urteil gegen einen aussichtsreichen Herausforderer genommen. Die Justiz sei unabhängig, sagte Erdogan am Samstag in seiner ersten Stellungnahme zur Verurteilung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu zu einem Politikverbot und einer Haftstrafe. Das Gericht werde die „notwendigen Vorkehrungen“ treffen, sollten „irgendwelche Fehler“ gemacht worden sein, fügte Erdogan hinzu. Die türkische Justiz ist weitgehend unter Kontrolle der Regierung und die Gewaltenteilung ist seit der Einführung des Präsidialsystems quasi aufgehoben.
Ekrem Imamoglu ist Politiker der landesweit stärksten Oppositionspartei CHP und galt bisher als chancenreicher Kandidat für die Präsidentenwahl im kommenden Jahr. Der 52-Jährige war am Mittwoch wegen Beamtenbeleidigung mit einem Politikverbot belegt und zu einer Haft von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt worden. Erst wenn das Urteil rechtskräftig ist, muss Imamoglu sein Amt als Bürgermeister aufgeben. Vorher muss es noch durch zwei Instanzen. Dass die Entscheidung widerrufen wird, gilt als unwahrscheinlich.
Das Urteil war unter anderem vom Auswärtigen Amt in Berlin, den USA und der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisiert worden. Imamoglu hatte das politisch einflussreiche Amt des Istanbuler Bürgermeisters 2019 gewonnen und Erdogan und dessen islamisch-konservativer Partei AKP damit eine herbe Niederlage zugefügt. Angesichts von mehr als 80 Prozent Inflation steht Erdogan erheblich unter Druck. Erdogan ist seit fast 20 Jahren an der Macht.
Die sechs Oppositionsparteien, darunter die Mitte-Links Partei CHP, haben sich mit der Absicht zusammengeschlossen, Erdogan abzulösen. Einen Präsidentschaftskandidaten hat das Bündnis noch nicht bekannt gegeben. Erdogan forderte die Oppositionsparteien am Samstag auf, ihren Kandidaten zu benennen.
Kubickis Äußerungen bleiben ohne Folgen
Die Äußerungen von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) über den türkischen Präsidenten bleiben offenbar vorerst ohne strafrechtliche Folgen. Die Staatsanwaltschaft Hildesheim sehe keinen Anlass für Ermittlungen, berichtete der „Spiegel“ unter Berufung auf ein offizielles Schreiben der Behörde von Ende November. Erdogans Anwalt will demnach Beschwerde gegen die Entscheidung einlegen.
Bei einer Veranstaltung im Vorfeld der niedersächsischen Landtagswahl hatte Kubicki den türkischen Präsidenten als „Kanalratte“ bezeichnet. Er warf Erdogan dabei vor, Flüchtlinge als Druckmittel gegen den Westen zu benutzen. „Mangels des Vorliegens zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte“ für eine Straftat sei „das Verfahren entsprechend eingestellt worden“, zitierte der „Spiegel“ aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft. Diese wolle eine Strafanzeige von Erdogan, der Kubicki Beleidigung und Verleumdung vorgeworfen hatte, nicht weiter verfolgen.