Zehn Monate nach Kanzler Olaf Scholz‘ (SPD) Zeitenwenden-Rede und ein halbes Jahr nach dem Ende der russischen Gaslieferungen verfügt Deutschland über ein erstes schwimmendes Flüssiggas-Terminal. Die „Höegh Esperanza“ machte am Donnerstagnachmittag in Wilhelmshaven fest. Ab kommender Woche soll sie Gas ins deutsche Netz pumpen.
Das Empfangskommando war stattlich. Auf dem Wasser: ein halbes Dutzend Schlepper aus dem Hamburger Hafen, ein Dutzend Boote der Wasserschutzpolizei; eine Einheit SEK-Beamte, die mit ihrem schwarzen Schnellboot den blau-weißen Gastanker umkreisten; und ein Hubschrauber, der die Manöver der blau-weißen „Höegh Esperanza“ aus der Luft überwachte.
Bloß kein Risiko mehr eingehen auf der letzten Seemeile vor dem in Rekordzeit aufgerüsteten, 1,3 Kilometer in die Nordsee ragenden Anleger. Noch ein letztes Wendemanöver – dann lag Deutschlands erstes schwimmendes LNG-Terminal fest vor Wilhelmshaven. Für die nächsten Monate, vermutlich Jahre soll es ein Hoffnungsträger sein.
In den kommenden Jahren sollen von hier aus jeweils rund fünf Milliarden Kubikmeter Erdgas ins deutsche Gasnetz gepumpt werden. Das ist in etwa ein Zehntel jener Menge, die Deutschland bisher pro Jahr via Pipeline aus Russland importierte. Vier weitere solche im Auftrag der Bundesregierung gecharterte Flüssiggas-Tanker mit Regasifizierungsmöglichkeit – auf Englisch „Floating Storage and Regasification Unit“ genannte Schiffe – sollen in den kommenden zwölf Monaten in verschiedenen Nord- und Ostseehäfen festmachen.
Ihre Funktion ist relativ einfach: Die Schiffe können Flüssiggas von anderen Gastankern aufnehmen, es bei Temperaturen um minus 164 Grad Celsius speichern und es bei Bedarf wieder in einen gasförmigen Zustand versetzen. Danach kann es in die Erdgasnetze eingespeist und von Industrie und Haushalten genutzt werden. Der Vorteil: Flüssiggas hat ein deutlich geringeres Volumen und kann somit viel effizienter transportiert werden.
Sorgen von Umweltschützern werden laut
Ab Mitte Januar, so der Plan des Betreiber-Unternehmens Uniper, sollen regelmäßig Gastanker an der 294 Meter langen „Höegh Esperanza“ festmachen und Flüssiggas für das deutsche und europäische Gasnetz anliefern. Ein erster Schritt zurück zu mehr Energie-Souveränität.
Am Samstag will Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) das Terminal mit einem kleinen Festakt auf See einweihen. Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) werden zu der Zeremonie erwartet.
Rund 170.000 Kubikmeter Flüssiggas hat die „Esperanza“ aus dem spanischen Valencia bereits mit nach Wilhelmshaven gebracht. Eine Menge, mit der man nach Auskunft eines Uniper-Sprechers 50.000 bis 80.000 Haushalte ein Jahr lang versorgen kann. Das Gas soll bereits ab kommender Woche in das Gasnetz eingespeist werden.
Kritik an dem Terminal kommt von den Umweltverbänden Nabu und BUND. Sie beklagen, dass die Leitungen des Schiffs mit Chlorverbindungen frei von Algen, Muscheln und Besatz gehalten werden. Diese werden nach der Reinigung in die Nordsee gepumpt. Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) hat angekündigt, die Meeres-Umgebung der „Höegh Esperanza“ engmaschig überwachen zu lassen: Alle gesetzlichen Grenzwerte müssten eingehalten werden.
„Kick-off Politik“ ist der tägliche Nachrichtenpodcast von WELT. Das wichtigste Thema analysiert von WELT-Redakteuren und die Termine des Tages. Abonnieren Sie den Podcast unter anderem bei Spotify, Apple Podcasts, Amazon Music oder direkt per RSS-Feed.