Wednesday, April 24, 2024

Abschied von den Benin-Bronzen: Die ungewisse Zukunft der Artefakte aus Deutschlands Völkerkundemuseen

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Das Packen hat begonnen. In fünf deutschen Museen von Berlin, Sachsen, Hamburg, Köln und Stuttgart stehen maßgeschneiderte Transportboxen bereit. In ihnen werden noch vor Weihnachten etwa 20 der Jahrhunderte alten Metallgüsse aus dem ehemaligen Königreich Benin in das heutige Nigeria zurückkehren. Genauere Informationen über diese erste Fracht sollen noch nicht in die Öffentlichkeit gelangen, obwohl der Reisetermin von Außenministerin Annalena Baerbock in die Hauptstadt Abuja feststeht und auch, welche der Museumsobjekte im Regierungsflugzeug mitreisen werden.

Nigerias oberster Museumschef, Abba Tijani, hat einen Querschnitt durch fünf Jahrhunderte höfischer Kunstgießerei in verschiedenen Objektgruppen wie Skulpturen, Königsgedenkköpfe, Reliefs mit historischen Abbildungen, Schmuck, Ritual- und Gebrauchsgegenstände ausgewählt, aber auch eine winzige geschnitzte Elfenbeinmaske. Kurz vor Abreise wird Tijani die noch ausstehenden Unterschriften bei den Museumsträgern einholen – den einzelnen Ländern und der Stadt Köln. Nur die bundesweite Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu Berlin (SPK) übertrug ihr Eigentum an 514 Benin-Artefakten bereits zuvor juristisch an Nigeria – die größte Einzel-Restitution außereuropäischer Sammlungsstücke weltweit.

Streit zwischen dem Königshaus und dem Gouverneur

Der damit verbundene beachtliche materielle Wert und die in vielerlei Hinsicht enorme Bedeutung der als „Benin-Bronzen“ zu internationaler Bekanntheit gelangten Antiquitäten führen offensichtlich zu Bedenken um deren Sicherheit. Alle Eingeweihten schweigen jedenfalls über die genauen Rückgabeumstände. Hinter vorgehaltener Hand wird von einigen Museumsverantwortlichen davon gesprochen, dass diese erste kleine Übergabe auch ein Test sein wird. Schließlich drohen nicht nur im Norden Nigerias Anschläge der islamistischen Boko Haram. Entführungen machen landesweit das Reisen gefährlich. Blutige Konflikte zwischen Hirten-Nomaden und Farmern erreichen sogar den bisher als relativ sicher geltenden Bundestaat Edo – dort, wo der Ursprung der Benin-Bronzen ist. Hinzu kommen überzogene Vorstellungen vom Finanzmotor einer künftigen Dauerausstellung für die Region, die jüngst bereits zum Streit zwischen Königshaus und Gouverneur über die Zuständigkeit führten, und die auch Begehrlichkeiten der ehemals von den Benin-Königen unterdrückten Nachbarvölker wecken könnten.

Zwar spielen politische Vertreter den finanziellen Aspekt der Rückgabe herunter. In der Kulturausschusssitzung des Bundestages vom Oktober äußerte Claudia Roths Amtsleiter Andreas Görgen: „Wir glauben nicht, dass es einen Markt für diese Objekte gibt.“ Dagegen stehen Auktionszuschläge in zweistelliger Millionenhöhe für äußerst selten angebotene Gedenkköpfe. Realistischer als die Berliner Kulturstaatsbehörde bezifferte der Hamburger Senat den Wert seiner 179 Benin-Objekte mit 58,7 Millionen Euro.

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Allein schon der Rücktransport der Bronzen nach Nigeria könne gefährlich werden, warnte der Erzbischof von Abuja, Ignatius Kaigama. Anlässlich seiner Besichtigung der Benin-Bronzen-Ausstellung im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum im Oktober 2021 zitierte ihn Domradio: „Ich möchte nicht, dass diese wertvollen Artefakte verloren gehen. Die Gefahr besteht, wenn die Rückgabe übereilt geschieht.“ Dennoch erscheint das aktuelle Vorgehen nun überstürzt. Sicherlich möchte die deutsche Ampelregierung endlich Erfolge vorweisen. Denn die Restitution lässt sich medienwirksam als die im Koalitionsvertrag vereinbarte Aufarbeitung des kolonialen Erbes Deutschlands darstellen. Dagegen könnten die immer ungeduldiger auftretende Regierung Nigerias und der einflussreiche Hof von Benin für negative Schlagzeilen über deutsche Zögerlichkeit sorgen, wenn es nicht bald konkrete Ergebnisse gibt.

Wo werden die Schätze aufbewahrt?

Ein entscheidender Schritt vor der Übergabe wurde jedoch übersprungen: Für die heimkehrenden Schätze einen Ausstellungsort zu schaffen. Stehen sollte der eigentlich schon seit dem Frühjahr in Benin City, dem früheren Kerngebiet des Königreiches – der heutigen Hauptstadt vom Edo-State. Obwohl das eigentlich in der Verantwortung Nigerias liegt, sicherte der damalige Außenminister Heiko Maas im Sommer 2021 Finanzhilfe zu, als ihm eine nigerianische Regierungsdelegation und der britisch-tansanische Stararchitekt Sir David Adjaye die Fassadenentwürfe für ein Edo Museum of West African Art (EMOWAA) präsentierten. Dessen erster Teil sollte ein Pavillon sein, in dem das wiedererlangte kulturelle Erbe der Bevölkerung gezeigt wird.

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Benin-Bronzen

Erst jetzt beziffert das Auswärtige Amt auf Nachfrage die Höhe der Bauzuschüsse mit 4,9 Millionen Euro bis ins Jahr 2024 und nochmals 1,9 Millionen Euro für Planungsaufgaben. Aber immernoch ist nicht einmal der Grundstein gelegt. Bei Anfragen zum Vorhaben verweist das Londoner Büro Adjaye an den Auftraggeber – den Legacy Restitution Fonds (LRT). Diese nigerianische Stiftung sammelt in privater Partnerschaft Geld für den Bau, äußert sich aber ebenfalls nicht. Auf ihrer Website kündigte der LRT den ersten Spatenstich bereits für Mitte 2022 an, sodass der anvisierte Bauabschluss bereits im nächsten Jahr als wenig realistisch erscheint.

Da Deutschland bedingungslos zurückgibt, muss sich die nigerianische Seite bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nciht beeilen. Kritik daran weist der für Kultur zuständige Prinz Aghatise Erediauwa zurück: „Wir werden keine Probleme damit haben. Wir haben Kapazitäten in den Lagern, Kuratoren, Klimatisierung und alles, was es dazu braucht, ein Museum aufzubauen“, äußerte er 2021 gegenüber dem britisch-nigerianischen Sender Arise News. Auch deutsche Museumsdirektoren betonen immer wieder, dass nach der Eigentumsübertragung die Verantwortung in der Hand Nigerias läge. Selbst zum anstehenden Rücktransport hält sich Nigeria anscheinend bedeckt. „Was mit den Objekten passiert, wird Herr Tijani uns noch sagen“, hofft etwa Lars-Christian Koch, der Direktor des Ethnologischen Museums der SPK zu Berlin. Die Möglichkeit, dass die nigerianische Museumsbehörde seinerseits die Rückgaben auch an den Palast überträgt, wird von deutscher Seite akzeptiert. Bereits 2019 herrschte innerhalb der von der heutigen Hamburger Museumsdirektorin, Barbara Plankensteiner, gegründeten internationalen Benin Dialog Gruppe Konsens darüber, „ein neues Königliches Museum zu errichten“ und zu unterstützen.

Sklaverei in Benin

Was bei dieser Rückgabe erstaunt, ist die einseitige moralische Argumentation. In ihrer Rede zur Unterzeichnung der Absichtserklärung betonte Kulturstaatsministerin Claudia Roth: „Wir erkennen die Morde und Plünderungen an, wir erkennen den Rassismus und die Sklaverei an, wir erkennen die Ungerechtigkeit und das Trauma an, die bis heute sichtbare Narben hinterlassen haben.“ Jedoch profitierten keineswegs nur Europäer von der Sklaverei. Vielmehr griffen sie auf bereits existierende Handelsstrukturen Westafrikas zurück.

Benins Herrscher verkauften schon immer Gefangene an arabische Staaten. Ihr Geschäft wurde seit dem 16. Jahrhundert durch den Bedarf der transatlantischen Kolonien angekurbelt. Daher eignen sich die Benin-Bronzen so schlecht für eine moralische Wiedergutmachung einer umstrittenen Geschichte. Denn die Briten setzten mit dem Überfall auf Benin City und der Plünderung des Palastes 1897 auch ihr bereits zuvor erlassenes Verbot der Sklaverei durch und beendeten die Menschenopfer während höfischer Zeremonien.

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Benin-Bronzen nach Nigeria

Die Direktorin der Restitution Study Group, Deadria Farmer-Paellmann, vertritt die Interessen von Sklavennachfahren in den USA. Sie wies Ende August in einem Rundbrief an verschiedene deutsche Museumsdirektoren und Politiker auf diesen Ursprung vieler Bronzen hin: Dass Afrikaner aus eroberten Nachbargebieten gegen europäische Kupfer- und Messingreife eingetauscht worden sind, weil dieses Material zum massenhaften Gießen der heute hochgeschätzten höfischen Ritualgegenstände benötigt worden ist. Also wären demnach die Nachkommen der damals Verschleppten ebenfalls moralische Miteigentümer und hätten ein Anrecht auf den Verbleib der Zeugen ihrer Geschichte in ihren Museen in Amerika und Europa. Ihre Interessen wären demnach nicht geringer zu bewerten als die der Erben der schwarzen Sklavenhändler.

Eine Antwort auf ihren Brief hat Frau Farmer-Paellmann von niemandem bekommen. Die Pressestelle des Auswärtigen Amtes begründet auf Nachfrage: „Öffentliche Briefe beantwortet die Bundesregierung grundsätzlich nicht.“ In der Rede von Ministerin Annalena Baerbock anlässlich der Absichtserklärung klang das aber noch ganz anders: „Wir stellen uns unserer Geschichte des Kolonialismus.“

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