Thursday, April 18, 2024

Gaspreisbremse: Europas Bürokratie lähmt die deutsche Regelung – WELT

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Am Donnerstag soll der Bundestag die Strom- und Gaspreisbremse beschließen. Die Bremse soll Haushalte und Unternehmen entlasten und dafür sorgen, dass Industriebetriebe in Deutschland trotz der hohen Energiekosten auf den Weltmärkten weiterhin wettbewerbsfähig sind. Soweit die Theorie. Tatsächlich gehen die geplanten Regeln aber am Bedarf besonders betroffener Unternehmen weit vorbei.

Vertreter besonders energieintensiver Branchen wie Stahl, Aluminium, Kalk oder Glas warnen, dass ausgerechnet die energieintensiven Unternehmen, die staatliche Hilfen am nötigsten haben, von den Hilfen ausgeschlossen sein könnten.

Der Grund liegt in Brüssel: Die strengen Beihilferegeln der Europäischen Union lassen staatliche Hilfen wie die Strom- und Gaspreisbremse grundsätzlich nur unter sehr strengen Vorgaben oder gar nicht zu. Aus Sicht der Europäischen Kommission, die das EU-Wettbewerbsrecht durchsetzt, gefährden solche Subventionen den fairen Wettbewerb auf dem EU-Binnenmarkt.

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In der Energiekrise hat Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager bereits schnell reagiert. Ihre Abteilung hat wie in der Corona-Krise die Wettbewerbsregeln gelockert, um Energiehilfen für darbende Unternehmen zuzulassen. Bereits im März, kurz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine wurden die Regeln zum ersten Mal gelockert, zuletzt wurden sie Ende Oktober ein weiteres Mal verlängert und ausgeweitet.

Energiehungrige Branchen klagen

Allerdings: Der sogenannte „Befristete Krisenrahmen“, englisch Temporary Crisis Framework (TCF), macht immer noch Vorgaben, die aus Sicht vieler Unternehmen zu streng sind. „Wir wissen, dass die Kommission beim TCF bereits Zugeständnisse gemacht hat“, sagt ein Unternehmenslobbyist in Brüssel. „Aber das genügt nicht.“

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Kritik kommt vor allem aus energiehungrigen Branchen mit Großverbrauchern. „Es besteht die Gefahr, dass aufgrund der Restriktionen durch den TCF gerade größere Verbraucher aus energieintensiven Branchen keine wirkungsvolle Entlastung erfahren, was wiederum nachgelagerte Wertschöpfungsketten beeinträchtigen kann“, heißt es in einem gemeinsamen Brief von Vertretern energieintensiver Branchen.

Zudem, heißt es weiter, sorgten die EU-Vorgaben für „einen extremen Bürokratieaufwand für die Unternehmen, was dem Grundgedanken des Vorschlags der Gaskommission über ein einfach und schnell umsetzbares Unterstützungssystem, diametral entgegenläuft.“

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Die Wirtschaftsvertreter kritisieren vor allem zwei Vorgaben: Zum einen sind die Hilfen für Unternehmen gedeckelt. Grundsätzlich können Unternehmen zwei Millionen Euro bekommen, um die hohen Energiepreise abzufedern. Für besonders energieintensive Branchen und Unternehmen sehen die EU-Regeln allerdings Ausnahmen vor. Energieintensive Unternehmen können unter bestimmten Bedingungen bis zu 150 Millionen Euro an Hilfen beantragen.

Großverbrauchern reicht auch das nicht. „Die Leistungen aus den Strom-, Gas- und Wärmebremsen werden zusammen bei 150 Millionen Euro pro Unternehmen gedeckelt. Das klingt vielleicht undankbar, aber das ist für die Großverbraucher in unserer Branche viel zu wenig“, sagt Wolfgang Große Entrup, der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI). „Für sie verpufft die Wirkung der Preisbremsen faktisch“. Über die 150 Millionen hinaus ist eine Förderung nur über eine aufwendige Einzelfall-Notifizierung bei der EU-Kommission möglich. Die Bedingungen dafür sind bislang noch nicht klar.

Gewinn muss vorher deutlich einbrechen

Der zweite Punkt, der die Energie-Großverbraucher auf die Palme bringt: Aus ihrer Sicht qualifizieren sich nur Unternehmen, die kurz vor der Pleite stehen überhaupt für die Hilfen aus den größten Beihilfekategorien. Anspruch darauf haben aber nur Unternehmen, deren Gewinne aus dem operationalen Geschäft dramatisch eingebrochen sind.

Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass Unternehmen, die die Höchstfördergrenzen von 50, 100 oder 150 Millionen Euro ausschöpfen wollen, nachweisen müssen, dass ihr EBITDA im Vergleich zur Vorjahresperiode um 40 Prozent geschrumpft ist. Das EBITDA, der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, spiegelt die Rentabilität des operativen Geschäfts wider.

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Gas und Strom

„Bei solch einem Rückgang hat ein Unternehmen ganz andere Probleme als hohe Energiekosten. Solch eine Entwicklung würde bedeuten, dass es kaum noch kreditwürdig ist“, sagt Franziska Erdle, die Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Metalle (WVM), zu deren Mitgliedern Hüttenbetriebe und andere Unternehmen der Metallindustrie gehören.

Tatsächlich verfolgen die EU-Kommission und die Bundesregierung unterschiedliche Ziele: Aus Sicht der EU-Kommission sollen Unternehmen unterstützt werden, denen es wirklich schlecht geht, um Insolvenzen zu verhindern. Aber die Bundesregierung und die Gaspreis-Kommission wollten mit der Gaspreisbremse den Industriestandort erhalten und gleichzeitig dafür sorgen, dass die hohen Energiepreise gleich am Anfang der Wertschöpfungskette gestoppt werden, damit sie nicht weiter die Inflation treiben.

Lobbyisten warnen vor Insolvenzen

Die Empfehlungen der Gaspreiskommission und die Vorgaben aus Brüssel passen deshalb nicht zusammen. Hinzu kommt, dass Manager nicht wissen, wie ihre Geschäfte 2023 laufen werden. Sie müssen hohe Rückstellungen bilden, wenn sie die Energiebremsen in Anspruch nehmen, weil es sein könnte, dass sie die Hilfen zurückzahlen müssen, wenn die Geschäfte besser laufen als erwartet. Davor scheuen viele Unternehmen offenbar zurück.

Es ist eine ungute Gemengelage. „Bei vielen Unternehmen laufen Ende des Jahres Strom- und Gaslieferverträge aus. Viele von ihnen hatten gehofft, dass sie ab Anfang Januar von den Energiepreisbremsen geschützt werden und mit einigermaßen erträglichen Energiekosten rechnen können“, sagt Chemie-Vertreter Entrup. „Aber diese Hoffnung zerschlägt sich gerade brutal. Ich rechne täglich mit Insolvenzen von Mittelständlern in unserer Branche. Und große internationale Unternehmen werden ihre Produktion aus Europa verlagern.“

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Riskanter Markteingriff

Die betroffenen Industrien haben denn auch ganz klare Forderungen an die Bundesregierung: „Die Bundesregierung muss mit der Europäische Kommission darüber verhandeln, dass das Temporary Crisis Framework geändert wird. Die maximalen Fördersummen müssen höher sein und die Bedingungen für das EBITDA sollten wegfallen. Solche Verhandlungen dürften allerdings eine Weile dauern, deshalb brauchen wir schnell eine Härtefallregelung für energieintensive Unternehmen, die außerhalb der Gaspreisbremse läuft“, sagte WVM-Lobbyistin Erdle.

Die Bundesregierung kennt die Sorgen der Unternehmen. Eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums verweist aber darauf, dass man sich an die Vorgaben der Kommission halten müsse. Es werde aber gerade an Härtefallregelungen gearbeitet. Ob die Bundesregierung sich bei der Kommission um eine Lockerung der Regeln bemüht, wollte sie nicht kommentieren.

Bei der EU-Kommission in Brüssel verweisen Beamte darauf, dass die Generaldirektion Wettbewerb sich bemühe, möglichst unbürokratische Hilfen möglich zu machen. Die Mitarbeiter arbeiteten unter hohem Zeitdruck daran, die unterschiedlichen Hilfsprogramme der EU-Staaten zu genehmigen.

Grundsätzlich dringt die Bundesregierung aber offenbar auf ein Umdenken bei den Beihilferegeln. „Die EU muss sich darüber Gedanken machen, dass die Beihilfevorgaben schneller und weniger restriktiv sind“, sagt ein hoher Regierungsbeamter. Die Diskussion um die Strom- und Gaspreisbremse sei ein Beispiel dafür, dass die Regeln zu restriktiv seien.

„Gerade bei den Unternehmen mit hohen Energiekosten sorgt der befristete Krisenrahmen dafür, dass unsere Möglichkeiten, die Unternehmen zu stützen deutlich eingeschränkt sind.“ Im schärferen Wettbewerb mit den USA, die Unternehmen mit hohen Subventionen und niedrigen Energiekosten lockten, müssten Deutschland und die EU wettbewerbsfähig bleiben. Dass auch Ursula von der Leyen jüngst angekündigt hat, die EU-Beihilferegeln zu überarbeiten, dürfte Berlin mit Wohlwollen registriert haben.

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