Seit der Erfindung des Apple-App-Stores im Jahr 2008 galt im iPhone-Universum eine eherne Regel: Auf den iOS-Geräten läuft nur die Software, die Apples strenge Aufnahme-Prüfung für den App-Laden durchlaufen hat. Apple kassiert zwischen 15 und 30 Prozent Umsatzbeteiligung, quasi für die Eintrittskarte in den Apple-Store.
Doch diese lukrative Geldquelle droht nun zu versiegen. Dank eines neuen EU-Gesetzes und diverser Gerichtsverfahren gegen Apple könnte der Konzern gezwungen sein, alternative App-Stores auf seinen Mobilgeräten zuzulassen.
Konkret plane Apple laut einer Meldung der Agentur Bloomberg bereits für die kommende iOS-Version 17 den Bruch mit der ehernen Regel. Ab Ende kommenden Jahres könnten dann zumindest in der EU Apple-Nutzer Apps auch ohne Apples Segen auf ihren Telefonen spielen. Die kommende iOS-Version wird traditionell im Herbst zeitgleich mit der nächsten iPhone-Generation vorgestellt. Ob die Funktion sofort freigeschaltet wird, ist noch nicht bekannt.
Laut Bloomberg wird Apple seinen Nutzern erlauben, App-Stores von Drittanbietern zu installieren. Eine weitere Möglichkeit soll sein, Apps direkt, im sogenannten Sideload-Verfahren, an jeder App-Store-Prüfung vorbei zu installieren.
Apple hatte sich bislang stets gegen jedes Begehren von großen Software-Anbietern gewehrt, die sich solche Möglichkeiten schon lange wünschen. Der Konzern hatte stets mit dem Schutz der Nutzer vor Datenklau und Schadsoftware argumentiert und auf dem US-Heimatmarkt durch geschicktes Lobbying alle politischen Vorstöße gegen seine App-Regeln geblockt.
Doch nun stößt Apple auf einen Giganten, der sich nicht leicht beeindrucken lässt: Die Europäische Union hat in ihrem neuen Gesetz zur Regulierung der Internetgiganten, dem Digital Markets Act, deutliche Vorschriften für alle Plattform-Betreiber gemacht: Die Beschränkung der Nutzer auf hauseigene Zahlungssysteme und eigene App-Vermarktungsplattformen ist nicht länger zulässig.
Zum einen sollen Nutzer in der EU laut der Vorgabe aus Brüssel künftig Apps aus jeder Quelle installieren und – aus Sicht der Software-Anbieter noch wichtiger – auch außerhalb von Apples Ökosystem für Apps bezahlen.
Damit steht für Apple ein Milliardengeschäft infrage: Gut 80 Milliarden Euro App-Umsätze verbuchte Apple im vergangenen Jahr, zwischen 15 und 30 Prozent davon kassiert der Konzern als Umsatzbeteiligung. Dagegen klagen App-Anbieter wie etwa Epic Games seit Jahren.
Entwickler jubeln über die Nachricht
In Südkorea muss Apple seit dem Sommer alternative Bezahlmethoden für App-Käufe zulassen. Auch in den USA gab es erste Urteile gegen Apples Ökosystem-Zwang. Doch erst der Digital Marktes Act der EU wird Apple in einem wichtigen Kernmarkt zum Einlenken zwingen.
Apple macht in Europa knapp 100 Milliarden Umsatz im Jahr. Der Markt ist zu wichtig, als dass man Sanktionsmaßnahmen von EU-Wettbewerbshütern und Gerichten riskieren könnte. Ob die Revolution auch anderswo kommt, ist vorerst zweifelhaft.
Entwickler jubeln dennoch: „Halleluja! Dies ist ehrlich gesagt die aufregendste Entwicklung in der Tech-Welt, seit ich weiß nicht wann“, kommentiert David Heinemeier Hansson die Nachricht. Der Gründer und Chef des App-Startups Hey kämpft seit Jahren gegen Apples rigide Umsatz-Beteiligungsregeln bei Einkäufen und Abonnement-Gebühren in seinen Apps.
Er hofft auf den großen Umbruch für App-Entwickler: „Freiheit für alle Geschäftsmodelle, die mit einer Umsatzbeteiligung von 30 Prozent nicht funktionieren könnten. Freiheit von dem Gatekeeper-Unsinn, der Entwickler davon abhält, Software zu veröffentlichen, und Freiheit für Benutzer, die Apps zu installieren, die ihnen verdammt noch mal gefallen“, sagt er.
Weg frei für Sex- und Glücksspiel-Apps
Insbesondere große Spielefirmen wie Epic Games dürften die neue Freiheit schnell nutzen, um eigene Spiele-Appstores auf die Apple-Geräte zu bringen. Aber auch Apps, die bislang unter Apples strengen Regeln nicht erlaubt waren, wie etwa Apps mit sexuellen Inhalten oder auch mit kommerziellen Glücksspiel-Komponenten, könnten nun ihren Weg aufs iPhone finden.
Für die Nutzer bringt die Revolution in iOS zunächst viele Vorteile: Die Preise für Abonnements und App-Käufe dürften sinken, wenn Apple nicht länger mitkassiert. Weiter könnte auch das Innovationstempo steigen, wenn App-Anbieter nicht länger jedes Update langwierig durch Apple prüfen lassen müssen.
Doch die Freiheit bringt auch Gefahren. Denn bislang dürfen sich Apple-Nutzer stets sicher fühlen: Software, die von Apple geprüft wurde, ist virenfrei, birgt keinen versteckten Schadcode, und versucht aller Wahrscheinlichkeit nach nicht, die Daten der Nutzer zu stehlen. Auch betrügerische In-App-Kauffunktionen, die Nutzer zum Einkauf teurer Zusatzoptionen anregen, sind in Apples heiler App-Store-Welt deutlich seltener als etwa bei Google.
Mit der Öffnung von iOS stehen die Nutzer vor der Grundsatzfrage, ob sie einem anderen Anbieter als Apple vertrauen. Fraglich ist, ob sie eine Wahl haben. Sollten große Software-Anbieter wie Meta (Facebook) künftig aus der Sicht vieler Nutzer essenzielle Apps wie WhatsApp nur noch über eigene App-Stores vertreiben, dann bleibt den Nutzern nichts anderes übrig, als mitzuspielen und Apples sichere Softwarewelt zu verlassen. Für Apples Nutzer in der EU wird die Smartphone-Welt ab 2024 vielleicht innovativer und günstiger – andererseits allerdings komplizierter und risikoreicher.
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