Am Dienstagmorgen haben Polizisten elf Wohnungen der Klimaprotestgruppe „Letzte Generation“ durchsucht. Die Ermittler beschlagnahmten Laptops, Handys, Briefe und Plakate. Die Razzia richtete sich gegen zehn Beschuldigte. Nur ein Verdächtiger wurde an seiner Anschrift angetroffen.
Die Staatsanwaltschaft Neuruppin verantwortet die Ermittlungen federführend.
Diese richten sich insgesamt gegen 34 Beschuldigte in acht Bundesländern, wie WELT aus Sicherheitskreisen erfuhr. Über die Beschuldigten sollen umfangreiche staatsschutzrelevante Erkenntnisse vorliegen.
Oberstaatsanwalt Cyrill Klement sagte am Dienstag, es würden verteilt über die Bundesrepublik Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgerichts Neuruppin vollstreckt. Unter den durchsuchten Objekten waren nach Angaben der „Letzten Generation“ Wohnungen in Bayern, Hessen, Niedersachsen, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern sowie nach Informationen von WELT in Brandenburg.
Auslöser der Ermittlungen waren Sabotage-Aktionen der „Letzten Generation“ an einer Pipeline in Schwedt. Dort hatten Aktivisten seit dem Frühjahr mehrfach versucht, den Ölfluss zu unterbrechen. Die betroffene PCK-Raffinerie hatte den Aktivisten nach eigenen Angaben im Oktober einen Dialog angeboten. Weitere Protestaktionen an einer Pumpstation sorgten jedoch für einen ergebnislosen Abbruch der Gespräche.
Nach Angaben von Oberstaatsanwaltschaft Klement geht es auch um den Vorwurf der Bildung und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung nach Paragraf 129 StGB. Der Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung könne dadurch gegeben sein, wenn sich Beschuldigte wiederholt zu Straftaten verabredeten.
Am Mittwoch teilte die Staatsanwaltschaft mit, es lägen Hinweise bezüglich einer auf längere Zeit ausgerichteten Tätigkeit der Gruppierung vor. Das Vorgehen der Gruppe sei von einer klaren Rollenverteilung und einer kontinuierlichen Struktur geprägt. Es bestehe daher der Verdacht, dass der Zweck der Gruppierung „zumindest auch auf die Begehung von Straftaten hinreichenden Gewichts ausgerichtet ist“.
Die Ermittlungen markieren eine Kurswende der Behörden im Umgang mit den Aktivisten. Zuletzt war die Berliner Generalstaatsanwaltschaft zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei der „Letzten Generation“ nicht um eine kriminelle Vereinigung handelt. Die Innenminister der Länder hatten kurz darauf beschlossen, ein bundesweites Lagebild zu den Protestaktionen der Gruppe zu erstellen.
Kritik von Neubauer
Der Paragraf 129 StGB ist in Deutschland nicht unumstritten. Kritiker bezeichnen ihn als „Schnüffelparagrafen“. Wenn die Behörden wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermitteln, eröffnet das ihnen unter bestimmten Voraussetzungen weitreichende Möglichkeiten. Ermittler können dann etwa Telefone abhören, Räume verwanzen und Personen observieren. Bundesweit führen jedoch nur etwa fünf Prozent aller Ermittlungen nach Paragraf 129 zur Anklage.
Aimée van Baalen, Sprecherin der „Letzten Generation“, sagte zu den Durchsuchungen: „Das alles, weil die Bundesregierung unser Grundgesetz bricht und noch immer nicht das Pariser Abkommen einhält und diese Leute deswegen auf die Straße gehen.“ In einer Pressemitteilung der Gruppe heißt es: „Voraussetzung für den demokratischen Prozess ist die Möglichkeit, sich frei und öffentlich zu versammeln, sich als Gruppe zusammenzuschließen und auch Widerstand zu leisten. Wenn dieses Prinzip Kriminalisierung erfährt, bedroht das die demokratischen Grundfesten.“
Auch Luisa Neubauer, eine der bekanntesten deutschen Klimaaktivistinnen, bezeichnete die Durchsuchungen als „grenzenlos unverhältnismäßiges“ und „absurdes Vorgehen“.
Die Ermittlungen richten sich unter anderem gegen „Letzte Generation“-Sprecherin Carla Hinrichs. Hinrichs schrieb bei Twitter: „Das ist beängstigend, wenn die Polizei deinen Kleiderschrank durchwühlt. Aber denkt ihr ernsthaft, dass wir jetzt aufhören werden?“
Aktivisten der „Letzten Generation“ hatten seit dem Frühjahr mehrfach an Pumpstationen in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg die Erdölzufuhr zur Raffinerie PCK Schwedt unterbrochen. In einigen Fällen sei es beim Versuch geblieben. Dafür waren Aktivisten auf das Betriebsgelände der Pumpstationen eingedrungen. PCK Schwedt ist mit 1200 Arbeitsplätzen die wichtigste Raffinerie zur Versorgung der ostdeutschen Tankstellen mit Treibstoff.
Im Auftrag der Staatsanwaltschaft Dresden waren bereits im November die Wohnungen mehrerer Aktivisten durchsucht worden. Gegen sie besteht der Verdacht der gemeinschädlichen Sachbeschädigung. Ihnen wird vorgeworfen, sich im August an den Rahmen des Gemäldes Sixtinische Madonna in Dresden geklebt zu haben. Der Sachschaden betrug 4000 Euro.