Der Gang zum Briefkasten jagt vielen Verbrauchern in diesen Tagen einen Schrecken ein. Denn Millionen von ihnen bekommen derzeit einen Brief von ihrem Stromversorger. Inhalt: eine zum Teil drastische Preiserhöhung.
Nach Zahlen des Verbraucherportals Check24 müssen 7,4 Millionen Haushalte im Januar mit höheren Kosten für ihren Strom in der Grundversorgung rechnen. Etwa 600 Anbieter haben für den Jahresbeginn Aufschläge angekündigt – im Schnitt um 60,5 Prozent im Vergleich zum 30. September.
Für eine vierköpfige Familie mit einem Jahresverbrauch von 5000 Kilowattstunden entspricht das Mehrkosten von 960 Euro im Jahr. Doch das sind nur Durchschnittswerte. Die Stadtwerke München (SWM) zum Beispiel erhöhen ihren Strompreis sogar um 123 Prozent, von knapp 25 Cent pro Kilowattstunde auf fast 62 Cent.
„Die sehr hohen Beschaffungspreise, die die SWM auf den Terminmärkten für die Energiebeschaffung 2023 zahlen müssen, wirken sich zunehmend auch auf die Preise unserer Kunden aus“, heißt es in einer Erklärung des Unternehmens. Und: „Wir bedauern die Entwicklung und die damit verbundenen stark steigenden Belastungen sehr.“
Dass die Preise schnell wieder sinken, ist kaum zu erwarten. „Die Energiekosten sind bereits Ende 2021 regelrecht explodiert und werden voraussichtlich auch weiter steigen“, heißt es bei Check24. Vor allem der Krieg in der Ukraine und die Ausfälle von Kernkraftwerken in Frankreich trieben diese nach oben.
„Mit dem Preisanstieg bei den örtlichen Grundversorgungstarifen kommen die Kosten der Energiekrise bei immer mehr Haushalten an“, sagt auch Thorsten Storck, Energieexperte beim Verbraucherportal Verivox. Strom wird immer mehr zur Luxusware.
Um den Anstieg zu bremsen, plant die Bundesregierung eine Strompreisbremse. Für 80 Prozent des Verbrauchs sollen die Kosten auf 40 Cent je Kilowattstunde begrenzt werden. Viele Details sind noch offen. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen rät Kunden derzeit, bei Briefen von ihren Stromanbietern in jedem Fall genau hinzusehen. „Nicht jede Erhöhung ist zulässig“, erklären die Experten.
Preiserhöhungen und Kündigung
Nicht jeder Brief oder jede E-Mail eines Stromversorgers ist gleich als Ankündigung einer Preiserhöhung zu erkennen. Manchmal sehen die Schreiben aus wie Werbung, oder der Betreff hat ein ganz anderes Thema. Es kommt sogar vor, dass Aufschläge nur auf der Jahresrechnung mitgeteilt werden. Verbraucherzentralen haben Anbieter dafür bereits abgemahnt. Kunden sollten also jedes Schreiben ihres Anbieters sorgfältig durchlesen.
Eine Preiserhöhung in der Grundversorgung muss mindestens sechs Wochen vor ihrer Gültigkeit mitgeteilt werden, in einem Sondervertrag beträgt die Frist einen Monat. Ein Sondervertrag besteht, wenn ein Verbraucher diesen Tarif aktiv ausgesucht hat, oftmals mit einer festgelegten Laufzeit.
Der Anbieter muss zugleich seinen Kunden auf sein Sonderkündigungsrecht hinweisen, sonst ist die Preiserhöhung unwirksam. Verbraucher, die kündigen wollen, sollten das dann schnellstmöglich tun. Als Gültigkeitsdatum für die Kündigung sollten sie den Tag vor Inkrafttreten der Preiserhöhung wählen.
Wer in der Grundversorgung ist, kann dafür eine E-Mail schicken. Wer einen Sondervertrag hat, sollte in den allgemeinen Geschäftsbedingungen nachsehen, in welcher Form die Kündigung akzeptiert wird. Der Anbieter muss die Kündigung binnen einer Woche bestätigen.
Grund- und Ersatzversorgung
Wer keinen Sondervertrag mit einem Anbieter abgeschlossen hat, landet automatisch in der Grundversorgung. Dies gilt für etwa ein Viertel der Stromkunden in Deutschland. Grundversorger ist das Unternehmen, das die meisten Haushalte an einem Ort beliefert. Die Grundversorgung bleibt auch nach einer Kündigung des bisherigen Vertrags ohne Abschluss einer neuen Belieferung bestehen.
In der Vergangenheit lag ihr Preis meist über dem von Sonderverträgen. Das gilt mittlerweile allerdings nicht mehr unbedingt. In Berlin beispielsweise beträgt der Grundversorgerpreis derzeit gut 33 Cent pro Kilowattstunde. Sonderverträge für Neukunden starten dagegen bei knapp 50 Cent. In der Grundversorgung gilt eine Kündigungsfrist von zwei Wochen.
Sollte nicht klar sein, welcher Versorger für einen Stromnutzer zuständig ist, gilt die Ersatzversorgung. Das stellt beispielsweise sicher, dass Strom verfügbar ist, obwohl ein Anbieter pleitegegangen ist. In der Ersatzversorgung liegen die Preise oftmals deutlich über denen der Grundversorgung. Grundversorger sollen so die Möglichkeit bekommen, höhere Einkaufspreise an ihre neuen Kunden weiterzugeben.
Nach drei Monaten endet die Ersatzversorgung aber und wandelt sich in die Grundversorgung. Sie endet auch, wenn ein Sondervertrag abgeschlossen wird, entweder mit dem Grundversorger oder einem anderen Anbieter. Die Verbraucherzentralen empfehlen den Ersatzversorgten jedoch grundsätzlich, ihren Willen schriftlich den Lieferanten mitzuteilen, dass sie in die Grundversorgung wechseln wollen.
Anbieterwechsel
In Deutschland gibt es mehr als 1000 Stromanbieter mit etwa 15.000 Tarifen. Viele von ihnen sind nur regional begrenzt verfügbar. Trotzdem kann ein Verbraucher an seinem Wohnort aus einer Vielzahl von Anbietern wählen. Verbraucherportale ermöglichen hier einen Vergleich, für den Interessenten auf den Internetseiten ihre Postleitzahl und eine Einschätzung ihres Jahresverbrauchs angeben.
Bei den dann ausgegebenen monatlichen Abschlagszahlungen sollte aber die Berechnung von einmaligen Bonuszahlungen berücksichtigt werden, die auf die Kosten im ersten Jahr umgelegt werden. Im zweiten Jahr steigen die Zahlungen dann deutlich. Zu den bekanntesten Vergleichsportalen gehören Check24 und Verivox.
Die Suche nach einem passenden Tarif kann mit Filtern verfeinert werden, sodass beispielsweise nur Angebote mit Ökostrom oder einer bestimmten Vertragslaufzeit angezeigt werden. Wer regulär nach seiner vereinbarten Vertragslaufzeit wechseln will, kann die Kündigung seinem neuen Anbieter überlassen. Das gilt jedoch nicht für die Sonderkündigung, die der Kunde selbst erledigen muss. Erst wenn die Bestätigung vorliegt, sollte ein neuer Lieferant gewählt werden.
Preisgarantie
Sonderverträge werden häufig nicht nur mit einer Mindestlaufzeit, sondern auch mit einer Preisgarantie angeboten, die bis zu zwei Jahre gelten kann. In einem solchen Vertrag ist der Verbraucher weitestgehend geschützt vor Ausschlägen nach oben oder unten.
Dass die Preisgarantie oft keine vollständige Absicherung ist, zeigt ein Blick in die allgemeinen Geschäftsbedingungen. Handelt es sich um eine eingeschränkte Preisgarantie, wie sie von den meisten Versorgern angeboten wird, können die Abschläge trotzdem wegen gestiegener Steuern, Abgaben oder Umlagen anziehen. Deren Anteil am Strompreis liegt immerhin bei etwa der Hälfte.
Gestiegene Beschaffungskosten auf dem Großhandelsmarkt sind aber kein Grund für eine Preiserhöhung in Verträgen mit einer solchen Preisgarantie, wie das Landgericht Düsseldorf zuletzt im August entschieden hat. Eine Vollpreisgarantie, die steigende Steuern, Abgaben oder Umlagen abfedert, wird hingegen nur selten angeboten.
Die schwächste Form ist die Energiepreisgarantie, die nur die Bestandteile des Strompreises abdeckt, die der Anbieter beeinflussen kann. Änderungen bei Steuern, Abgaben und Umlagen oder auch bei den Netzentgelten können dann an den Verbraucher weitergegeben werden.
Strompreisbremse
Dieser Preis schließt Steuern, Abgaben, Umlagen und Netzentgelte mit ein. Wer einen Sondervertrag oder eine Grundversorgung mit günstigeren Tarifen hat, profitiert davon nicht. Die Preisbremse soll zwar von Januar an gelten, wird aber aus technischen Gründen erst im März umgesetzt, dann werden rückwirkend auch die Entlastungsbeträge für Januar und Februar angerechnet.
Die 80-Prozent-Grenze soll Haushalte zum Stromsparen animieren. Wenn der bisherige Preis mit 30 Cent und der neue mit 50 Cent pro Kilowattstunde zugrunde gelegt wird, würde ein Haushalt mit einem Verbrauch von 4500 Kilowattstunden nach Berechnung des Wirtschaftsministeriums einen monatlichen Abschlag von 158 Euro pro Monat zahlen, 30 Euro weniger als ohne Preisbremse. Für große Industrieverbraucher liegt die Obergrenze bei 13 Cent zuzüglich Steuern, Abgaben und Umlagen für 70 Prozent ihres bisherigen Verbrauchs.
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